Enzyklopädie der vergessenen Sportarten

Grausam, tödlich, lächerlich

Auto-Polo
Auto-Polo ist eine der Disziplinen, die Edward Brooke-Hitching für seine "Enzyklopädie der vergessenen Sportarten" wiederentdeckt hat. © Foto: Verlagsbuchhandlung Liebeskind
Von Carsten Hueck |
Katzenkopfstoßen, Brei-Wettessen oder Auto-Polo - was bizarr klingt, waren einst verbreitete Sportarten. Edward Brooke-Hitching hat sie in einer unterhaltsamen Enzyklopädie zusammengetragen und führt den Leser in eine bizarre Welt sportlicher Aktivitäten.
Tauziehen, Polo und Cricket? Diese Sportarten sind zwar längst keine olympischen Disziplinen mehr, aber nach wie vor allgemein bekannt. Der britische Autor Edward Brooke-Hitching hat sich auf die Suche nach Sportarten gemacht, die vollständig in Vergessenheit geraten sind. Ein Jahr lang durchstöberte er Bibliotheken und Archive. Was er dort fand, hat er nun in seiner reich bebilderten "Enzyklopädie der vergessenen Sportarten" versammelt. "Fox Tossing, Octopus Wrestling and other Forgotten Sports", so der englische Originaltitel, führt in eine bizarre Welt sportlicher Aktivitäten, die grausam, mitunter tödlich oder einfach lächerlich waren.

Neben dem Fuchsprellen, dem Oktopus-Ringkampf, dem italienischen Katzenkopfstoßen, dem Nahkampf mit Bären, dem Feuerwerksboxen und Brei-Wettessen, dem Telefonzellenstopfen, Goldfischschlucken, Wasserfallreiten und Fahnenmastsitzen, stellt der Autor knapp 100 Aktivitäten vor, die von der Antike bis in die 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts als Volks- oder Elitensport ihre Anhänger fanden. Brooke-Hitching demonstriert durchaus genüsslich, dass Sport ursprünglich nichts anderes als "Zerstreuung" und "tumultuöse Heiterkeit" bedeutete. Selbstverständlich durfte dabei auch Blut fließen oder gar gestorben werden. Vom gesunden Geist im gesunden Körper konnte nur in Ausnahmefällen die Rede sein, Sport war oft Mord oder Selbstmord.
 Eine Punt Gun
Schießen mit einem verlängerten Luftdruckgewehr, im Englischen Punt Gun, war vor allem im 19. Jahrhundert verbreitet.© Foto: Verlagsbuchhandlung Liebeskind

Dadaistisch bis sadomasochistisch

Die Lust an der Ausübung der vom Autor beschriebenen Sportarten wirkt aus heutiger Perspektive wie die Performance dadaistischer Aktionskünstler mit stark sadomasochistischen Neigungen. Deutlich wird: Die menschliche Vergnügungs- und Gefallsucht, die Sensationsgier und das Ausleben gewalttätiger Triebe fanden in der Vergangenheit Formen, die zwar zu Recht nicht mehr praktiziert, aber zu Unrecht vergessen sind.


Brooke-Hitchings kurze und prägnante Schilderungen, dezent ironisch, gewürzt mit Understatement und Humor, sind ein absolutes Lesevergnügen. Sie geben Einblick nicht nur in den Erfindungsreichtum des Menschen, wenn es um Spielarten derben Vergnügens geht, sondern eröffnen immer auch einen kulturgeschichtlichen Hintergrund: Im 14. Jahrhundert verbot der englische König so harmlose Sportarten wie Handball oder Fußball – seine Untertanen sollten sich im Bogenschießen und im Schwertkampf trainieren, da er sein durch die Pest dezimiertes Heer auffüllen musste. Die Erfindung des Automobils führte dazu, dass in Frankreich ein Stier gegen einen gepanzerten Peugeot antreten musste und in den USA Autopolo bis in die 1930er-Jahre äußerst populär war. Für Fahrer, vor allem aber auch für die Schiedsrichter, ein äußerst risikoreicher Sport.
Die Beschreibung dieser vergessenen Sportarten fasziniert – seien sie grausam wie das Menschenangeln oder skurril wie das Bierwatschen. Denn bei allen stehen Experimentierfreude und Originalität im Vordergrund, nicht Perfektion und absolvierte Trainingseinheiten.
Eis-Tennis
Eis-Tennis war auch einmal eine beliebte Sportart.© Foto: Verlagsbuchhandlung Liebeskind

Edward Brooke-Hitching: Enzyklopädie der vergessenen Sportarten
Aus dem Englischen übertragen von Matthias Müller
Verlagsbuchhandlung Liebeskind
München 2016, 195 Seiten, 29,00 Euro