100. Geburtstag von Ephraim Kishon
Ephraim Kishon: Viele Deutsche sahen in ihm einen Brückenbauer zwischen Deutschland und Israel. © imago stock&people
Der Überlebende, der die Deutschen zum Lachen brachte
Am 23. August wäre Ephraim Kishon hundert Jahre alt geworden. Der israelische Satiriker war jahrzehntelang unglaublich erfolgreich in Deutschland. Seine Popularität im Land der Täter erzählt viel über deutsche Wünsche nach Entlastung und Versöhnung.
43 Millionen Bücher hat Ephraim Kishon weltweit verkauft, davon rund 34 Millionen in deutscher Sprache. Viele Jahre war er einer der zentralen Intellektuellen, wenn es um das komplizierte Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ging.
„Mein Vater war der zweitbekannteste israelische Jude in Deutschland, Österreich und Schweiz. Der erste israelische Jude, der mehr bekannt war, heißt Jesus.“ Das sagt der Tierarzt Raphael Kishon über seinen Vater, den Bestsellerautor und Satiriker. „In den 70er- und 80er-Jahren, vor allem Mitte der 70er-Jahre, war Kishon überall“, so die Historikerin Silja Behre.
Heute spielt Kishons Werk in Debatten dagegen kaum noch eine Rolle, jüngere Menschen können mit seinem Namen oft gar nichts mehr anfangen. Wie kam es zu diesem Bedeutungsverlust?
Zur Antwort auf diese Frage gehört der Blick darauf, dass Kishons Erfolg geradezu unwahrscheinlich anmutet. Ephraim Kishon hat einmal gesagt, dass eine ganze Reihe von Wundern nötig gewesen sei, um die Nazi-Zeit zu überleben. Seine Lebensgeschichte wurde einem Großteil des deutschen Publikums aber erst wirklich bewusst, als 1993 seine Erinnerungen erschienen - unter dem Titel „Nichts zu lachen“.
Kishon wurde am 23. August 1924 in Budapest unter dem Namen Ferenc Hoffmann in eine jüdische Familie hineingeboren. Sein Vater, ein Bankdirektor, verlor durch die sogenannten Judengesetze seine Arbeit und wurde 1942 in ein Arbeitslager deportiert.
Auch der Sohn wurde in verschiedenen Konzentrationslagern interniert. Mehrmals konnte er fliehen und überlebte aufgrund seiner Chuzpe und seiner vielen Talente – unter anderem als Schachlehrer eines Lagerkommandanten. Seine Eltern und seine Schwester überlebten ebenfalls, viele Verwandte wurden hingegen in den Gaskammern der Vernichtungslager ermordet.
„Drehen Sie sich um, Frau Lot!“
1949 zog Kishon dann nach Israel. Ab 1952 schrieb er eine tägliche Zeitungskolumne, die die Grundlage für seine in Büchern zusammengefassten Satiren wurde. Der Band „Drehen Sie sich um, Frau Lot!“ erschien 1959 auf Englisch und war 1961 sein erstes Buch auf Deutsch.
Der große Erfolg von Ephraim Kishon lag zunächst einmal an der Leichtigkeit seiner Texte. Die Historikerin Silja Behre hat ein Buch mit dem Titel „Ephraim Kishon – Ein Leben für den Humor“ veröffentlicht. Für Kishons Erfolg sei zentral gewesen, dass "die Leute darüber lachen konnten, weil sie es gerne gelesen haben, das war Unterhaltung, Entspannung, Ablenkung.“
Kishon hatte auf dem deutschen Buchmarkt einen wichtigen Verbündeten: Axel Springer. Der mächtige, konservative Verleger von „Bild“ und „Welt“ hatte seinem Haus einen pro-israelischen Kurs verordnet und habe „mehr israelische Stimmen“ in seinen Zeitungen gewollt, so Behre. Kishon begann, erste Satiren in der „Welt“ zu veröffentlichen.
Israel und der Sechstagekrieg
1967 flog Israel angesichts der Bedrohung durch arabische Staaten einen Präventivangriff auf ägyptische Flugplätze – und besetzte dann im Sechstagekrieg das Westjordanland, den Gazastreifen, Ost-Jerusalem, die Golanhöhen und den Sinai.
Damals änderte sich in Deutschland das Bild von Israel. Nach dem Sechstagekrieg sei Kishon bei der westdeutschen Linken zur „Persona non grata“ geworden, sagt die Historikerin Behre.
Und Ephraim Kishon? 1968 erschien in Deutschland sein Buch mit dem Titel „Pardon, wir haben gewonnen.“ Das war, angesichts einer sich verändernden politischen Stimmung gegenüber Israel und wachsender Kritik an der neuen Besatzungsmacht, nicht ohne verlegerisches Risiko.
Auch deshalb bekam das deutschsprachige Publikum in den kommenden Jahren nicht alles von Kishon zu lesen. „Satiren, die zu tagesaktuell waren, die für ein deutsches Publikum nicht nachvollziehbar waren oder zu kontrovers, wurden nicht übersetzt“, berichtet Behre.
Immer wieder im deutschen Fernsehen
Immer wieder war Ephraim Kishon im deutschen Fernsehen, vor allem, wenn es darum ging, ein neues Buch zu vermarkten - und es kamen viele neue Bücher. Scheinbar leicht sprach er über den Nahostkonflikt, wenn er gefragt wurde. Er schrieb darüber auch auf Hebräisch. Aber das meiste davon erreichte seine deutschsprachigen Leserinnen und Leser nicht.
Den Einwand in einem ZDF-Interview, so habe man in Deutschland ja nur Kishon, den Spaßmacher, kennengelernt, beantwortete er naturgemäß mit Humor:
Ich habe politische Bücher geschrieben, auch (welche), die in deutschsprachigen Gebieten erschienen sind: „Wie unfair, David!“, „Pardon, wir haben gewonnen“, „Undank ist der Welten Lohn“. Das sind politische Bücher, aber Sie müssen sich nicht zu verlegen fühlen, dass Sie (sie) nicht gelesen haben, alle meiner Bücher, ich selbst habe nicht alle gelesen.
Wie Kishon den Deutschen erschien, daran hatte auch sein Übersetzer Friedrich Torberg großen Anteil. Dieser habe nicht nur übersetzt, sondern literarisch einen neuen Kishon auf Deutsch erschaffen, sagt Behre. Torberg habe Israel so normal wie möglich darstellen, zugleich aber das Besondere zeigen wollen. In den Alltagssituationen, Peinlichkeiten, Tücken, Schwächen, dem Scheitern: Daran konnten sich die Leser wiedererkennen.
Bemühungen um Normalisierung
Das kann man als Teil der Bemühungen um Normalisierung deuten, zwischen dem Publikum im Land der Täter und Israel, dem jüdischen Staat. Ganz normale, anschlussfähige Geschichten, die zwar in Tel Aviv spielen, aber die gar nicht so anders sind als der ganz normale Wahnsinn, den jede und jeder kennt. Viele Deutsche sahen in Kishon einen Brückenbauer zwischen Israelis und Deutschen.
Demnach entsprang die Popularität Kishons zumindest ein wenig auch dem Wunsch, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Und der Kauf seiner Bücher war vielleicht ein kleines Stück Wiedergutmachung. Der Literaturexperte Jörg Magenau formuliert es so: „Ephraim Kishon war der Lieblingsjude der Nation, auch wenn er selber es als Ironie empfand, ausgerechnet in Deutschland am erfolgreichsten zu sein.“
Keine Feierlichkeiten in Israel und Deutschland
Was bleibt von Ephraim Kishon? Obwohl er 2002 noch den Israel-Preis für sein Lebenswerk bekam, finden zu seinem 100. Geburtstag keine großen Feierlichkeiten in Israel statt.
Auch in Deutschland gibt es keine Ausstellungen oder Gedenkveranstaltungen. Das mag am Dünkel des Kulturbetriebs liegen, der Franz Kafka ehrt, aber Kishon und seine Satiren gelten als kleinbürgerliche Literatur ohne besondere Qualität.
Und dann hat sich auch das Israel-Bild in Deutschland verändert: Das, was einmal als Wille zur Wiedergutmachung nach dem Holocaust von vielen Menschen in Deutschland empfunden wurde, ist inzwischen „deutsche Staatsräson“, die angesichts von Gewalt durch jüdische Siedler, Unterdrückung von Palästinensern und einer in Teilen rechtsextremen und ultrareligiösen Regierung in Jerusalem immer mehr kritisiert wird.
Und auch der Hamas-Terror des 7. Oktober, der andauernde Krieg und die Bedrohung Israels von innen und außen sorgen dafür, dass die „Normalität“ in Kishons Texten hinter der Gewalt weitgehend verschwunden ist – nach Lachen über das skurrile Land Israel ist heute kaum jemandem zumute.