Episodenroman

Porträt der philippinischen Gesellschaft

Philippinen, Manila
Die philippinische Hauptstadt Manila © dpa / picture alliance / Lutz Knauth
Von Katharina Borchardt |
Francisco Sionil José gilt als der wichtigste Autor der Philippinen. In seinem Episodenroman "Gagamba" aus dem Jahr 1991 durchleuchtet er das Geflecht aus Macht und Korruption in seiner Heimat. Jetzt erscheint das Buch auf Deutsch.
Am 15. Juli 1990 bebt auf den Philippinen die Erde, auch in der Hauptstadt Manila werden viele Häuser beschädigt. Doch nur das Nobelrestaurant "Camarin" im schicken Stadtteil Ermita, so beschreibt es der philippinische Autor Francisco Sionil José in seinem Episodenroman "Gagamba", stürzt komplett ein. Jede der zwölf locker miteinander verknüpften Geschichten spielt in eben jenem "Camarin" und steuert auf den Moment der Katastrophe zu. Nur drei Gäste des Restaurants, verrät José gleich zu Anfang des Romans, werden überleben. Aus dieser gewieften Konstruktion gewinnt der bereits 1991 auf den Philippinen erschienene Roman ein beträchtliches Maß an Spannung. Denn natürlich fragt man sich immer wieder aufs Neue: Wer wird durchkommen?
In jedem der zwölf Kapitel porträtiert Francisco Sionil José eine dem Restaurant verbundene Person näher. Er schildert, woher sie stammt, welche politischen Überzeugungen sie besitzt und was sie ins "Camarin" führt. Seine Figuren hat Sionil José sorgfältig ausgewählt – fast ein wenig zu sorgfältig, stellen sie doch einen exakten Querschnitt durch die philippinische Gesellschaft der frühen 1990er Jahre dar: ein Bettlerpaar, ehemalige Studentenführer, ein Menschenrechtsaktivist, ein katholischer Missionar, dazu Geschäftsleute, Großgrundbesitzer und hochrangige Militärs.
Es sind also nicht nur Schurken, die dem Beben zum Opfer fallen, das an einigen Stellen als Strafe Gottes gedeutet wird. Auch die Gliederung des Romans in zwölf Kapitel besitzt einen biblischen Beiklang und lässt etwa an die zwölf Apostel oder die zwölf Stämme Israels denken. Vertieft wird diese Symbolik im Roman aber nicht.
Spannend, präzise - mit kleinen Schwächen
Vernehmbarer ist hingegen sein politischer Gehalt. Francisco Sionil José übt sehr deutlich Kritik an der bis 1986 währenden Marcos-Diktatur und den immer gleichen Nutznießern, die auch unter der demokratisch gewählten Präsidentin Corazon Aquino ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen wissen. Leider konzentriert sich der Autor dabei allein auf die männliche Hälfte der Gesellschaft; Frauen kommen in den zwölf Episoden seines Romans nur am Rand vor.
Eine Randfigur ist auch der titelgebende Gagamba. Er verkauft vor dem "Camarin" Lotterielose und wird "der Spinnenmann" genannt. Seine Beine sind verkrüppelt, weshalb er in einer Kiste mit Rollen sitzt und sich mit ausholenden Armbewegungen fortbewegt. Gagamba soll, so wird anfangs suggeriert, der Erzähler aller Episoden sein, da er seine Lose schon seit Jahren vor dem "Camarin" anbietet und alle Gäste gut kennt.
Hier aber liegt ein Konstruktionsfehler vor. Als Bürgersteigexistenz kann Gagamba die Gespräche im exklusiven "Camarin" weder belauschen noch detailliert über die Vergangenheit der Gäste Bescheid wissen. Dies vermag nur der allwissende Erzähler. So hat der Episodenroman "Gagamba" kleine Schwächen – auch die größtenteils solide Übersetzung holpert hin und wieder –, doch seine Stärken überwiegen deutlich: die Spannung jedes einzelnen Kapitels und das präzise Porträt der philippinischen Gesellschaft.

Francisco Sionil José: Gagamba. Der Spinnenmann
Aus dem philippinischen Englisch von Markus Ruckstuhl
Horlemann Verlag, Unkel 2014,
200 Seiten, 16,90 Euro