"Er hat das Komische aus allem gezogen"
Die Schauspielerin Geraldine Chaplin erinnert sich an Charlie Chaplin als an einen sehr strengen, aber auch humorvollen Vater. Als Filmregisseur sei seine Komik einzigartig gewesen. In Berlin werden derzeit alle 80 Filme Chaplins gezeigt. Vor dem Brandenburger Tor wurde zur Eröffnung "Der große Diktator" präsentiert.
Geraldine Chaplin: Ich denke, das ist ein unglaublicher historischer Moment, zumindest für mich, hier in diesem Hotel. Und ich finde es einen historischen Moment, dass der Film hier gezeigt wird, am Brandenburger Tor.
Ich hab hier in diesem schönen Hotel Adlon ein Fenster von meinem Zimmer aus, was zum Brandenburger Tor geht, und ich gehe da alle fünf Minuten hin, sage, ich muss mal kurz aufs Klo oder so, nur um einen Blick aufs Brandenburger Tor erhaschen zu können. Ich gucke raus und denke, das ist fantastisch, dass dieser Film hier gezeigt wird, "Der große Diktator".
Mein Vater ging selbst durch die Geschichte, und er wurde Geschichte, und ich denke, es ist auf jeden Fall ein historischer Moment und ich werde hier nichts darüber sagen, wer der Gewinner ist, denn das wäre zu platt.
Frank Meyer: Haben Sie eine Idee, was Ihr Vater dazu gesagt hätte, wenn er das selbst erlebt hätte?
Chaplin: Ich denke, mein Vater hätte das ganz hervorragend gefunden, es hätte ihm eine große Freude bereitet, auch alle seine 80 Filme hier in Berlin im Babylon gespielt zu sehen. 24 Tage hintereinander, einer nach dem anderen, teilweise in Begleitung des Orchesters von Tim Brock oder Neil Brand am Piano. Das hätte er ganz fantastisch gefunden. Ich bin mir sicher, er wäre begeistert gewesen. Und jetzt "Der große Diktator", nun ja, da hätte er sicher sehr bescheiden reagiert.
Meyer: Hat Ihr Vater das getan, hat er sich seine eigenen Filme auch immer wieder selbst angeschaut?
Chaplin: Er war immer sehr zurückhaltend, was das betraf, er wollte das eigentlich nicht. Und er war auch sehr unsicher, was das betraf, was seine Arbeit betraf, wie viele große Künstler, obwohl er natürlich der größte war. Aber meine Mutter war es, die uns manchmal die Filme zeigte. Wir hatten natürlich Exemplare davon, wir hatten Kopien der Filme, und wir haben immer gefragt: Bitte, bitte, bitte, können wir die Filme sehe?. Und er hat dann immer gesagt, nein, nein, das taugt nichts, das ist nicht gut und so weiter. Aber wenn wir es dann doch geschafft haben, wenn meine Mutter uns dann die Filme gezeigt hat und er auch mit zugeguckt hat, dann war er wirklich ein gutes Publikum, dann hat er Kommentare gemacht, als sei er ganz jemand anders. Dann hat er gesagt: Oh, guck mal, der ist gut! Oder: Guck mal, wie der das macht, der ist super, der ist ein guter Schauspieler, und so weiter. Das war sehr schön mit ihm.
Meyer: Ihr Vater war selbst auch in Berlin, er war mehrfach hier. Vor 80 Jahren war er hier, um für seinen Film "City Lights" damals Werbung zu machen. Was hat er von dieser Reise erzählt? Das war ja Berlin am Vorabend auch des Nationalsozialismus. Was für Eindrücke hat er mitgebracht?
Chaplin: Also, er war vorher schon mal da, er war ja schon einmal 1921 in Berlin, nach einem Triumphzug in London und in Paris. Dann kam er nach Berlin, wo seine Filme noch nicht gezeigt worden waren, hier kannte ihn noch niemand – das schreibt er auch so in seinem kleinen Buch, er sagt: Oh, super! Ich komme da hin, keiner kennt mich, ich kann ein ganz normaler Mensch sein! Aber am Ende sah das so aus, dass er das gar nicht mehr so gut fand. Ich glaube, er wollte ein paar Mädchen anmachen, und die gingen dann lieber mit seinem Freund weg. Und dann dachte er: Oha, meine Persönlichkeit ist wohl gar nichts ohne meinen Ruf, ohne meine Prominenz. Das war allerdings, bevor Pola Negri ihn angesprochen hat, und die Leute dachten: Oh, die kennt ihn? Dann muss er ja doch etwas Großes sein.
Er kam dann ja 31 wieder, um Werbung für seinen Film "City Lights" zu machen, und das war ein Riesenerfolg, und ich denke, sogar Marlene Dietrich hat ihn vom Bahnhof abgeholt, und es gab einen sehr kleinen Teil der Presse, das war eigentlich die Nazipresse, die ihn unfreundlich aufgenommen hat, aber der Rest der Presse war hervorragend. Und er hat über diese Reise nicht geredet, aber ich habe einiges darüber gelesen.
Und es gibt eine persönliche Erinnerung, die ich habe: Ich habe früher immer als Kind viel an der Tür gelauscht, und da habe ich einmal gehört, wie er mit einem deutschen Freund sprach und sagte, er habe sich in Berlin verliebt. Und da fiel ein Name, und ich wusste, das war nicht der Name meiner Mutter. Und ich habe mir große Sorgen gemacht, war ganz durcheinander, bin in die Küche gegangen, wo meine Mutter gerade kochte und war wirklich fix und fertig, bis ich dann herausbekommen habe, dass es sich um Nofretete handelte. Diese Statue, von der er sich dann auch eine Reproduktion anfertigen ließ, die er überall hin mitgenommen hat, und sagte, die geht überall dahin, wo ich auch hingehe, das war natürlich dann etwas ganz anderes.
Ich habe mal in einem Interview gelesen im "Life Magazine", dass er Richard Merryman gegeben hatte, als dieser ihn fragte, was er denn von Hitlers Schauspielkunst hält, oder seine Auftrittskunst, da hat er überlegt und gesagt: Na ja, ich finde er ist etwas zu oratorisch, auch wenn er vielleicht die ganz große Ansprache halten will, er macht zu große Gesten, und ich denke, dass dieser Mann nicht sehr selbstsicher ist, dass er immer jemanden hinter sich braucht, der sagt: Ja, das machst du gut! Du machst einen guten Job, ja, du kannst das! Und so weiter, und das hängt noch ein bisschen hinter dem "großen Diktator", zu wissen, da ist jemand, der dir sagt: Ja, ja, du machst das gut!
Meyer: Ihr Vater war ja ungeheuer produktiv. Er hat 80 Filme gedreht in diesem halben Jahrhundert zwischen 1914 und 1967 – eben die 80 Filme, die jetzt hier alle in Berlin gezeigt werden. Hatte ihr Vater neben diesem großen Werk, hatte er da überhaupt Zeit für so etwas wie Familie, wie Sie?
Chaplin: Oh ja! Ich bin ja 1944 geboren, und ich denke, in meinem Leben hat er wirklich nur vier längere Filme gemacht. Und er hat zwar jeden Tag gearbeitet, auch hart gearbeitet, aber wenn er dann zuhause war, dann hatte er auch Zeit für uns, um zu sagen, die qualitativ hochwertige Zeit mit seinen Kindern, wie man heutzutage sagt.
Meyer: Sie haben aber auch in einem Interview mal erzählt, dass ihr Vater sehr, sehr streng war, fast viktorianisch, sehr fordernd, dass Sie richtig aufgelebt sind, als sie dann woanders gelebt haben, außerhalb des Bannkreises ihres Vaters. Das heißt, müssen wir uns das so vorstellen, der strenge Charlie Chaplin zuhause, dass dieser – was wir alle vor Augen haben! – dieser Mann mit seinem Watschelgang, dieser komische Mann, dass sie diesen Mann zuhause nie erlebt haben, dass er zuhause diesen Watschelgang nicht vorgeführt hat?
Chaplin: Nein, er war wirklich sehr lustig mit seinen Kindern, eigentlich immer, wenn er Publikum hatte, war er ganz großartig. Manchmal habe ich mich gefragt, ob er deshalb so viele Kinder bekommen hat, um ein großes Publikum zu haben. Nein, aber im Ernst, er war tatsächlich ein sehr strenger Mann. Er war ja viktorianisch erzogen. Er ist 1889 geboren, und er hat in seinem Leben viele junge Frauen gehabt, Teenager sogar, die er dann auch geheiratet hat – er hat das anständig gemacht! –, aber er wollte keine wilden Töchter haben, und wir waren tatsächlich ein ganz schön wilder Haufen Kinder bei uns zuhause.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Geraldine Chaplin, die als Ehrengast zum "Chaplin complete"-Festival nach Berlin gekommen ist. Ihr Vater war ja britischer Staatsbürger, hat aber die meiste Zeit seines Lebens in den USA gearbeitet. Als er 1952 nach einer Europareise in die USA zurückkehren wollte, da wurde er ja praktisch ausgesperrt, und mit ihm seine ganze Familie. Er ist erst 20 Jahre später in die USA zurückgekehrt, um da den Ehren-Oscar für seine Filme, für sein Lebenswerk entgegenzunehmen. Was hat das für ihn bedeutet, dieses ausgesperrt werden aus dem Land seiner Filmarbeit?
Chaplin: Er hat oft gesagt, nach dieser Zeit: Ich bin nicht verbittert! Nein, nein, das ärgert mich nicht! Ich bin nicht verbittert, überhaupt nicht! Gar nicht! Und natürlich fragt man sich da: War er nicht doch ein bisschen verletzt? Bestimmt hat es ihn sehr verletzt, so genau kann ich das nicht sagen. Aber er war ein Mann, der sehr schnell reagiert hat. Er hat schnell eine Antwort gefunden auf das, was um ihn herum passiert ist, er hat sich jeder Situation gewappnet gesehen. Er hat sich den verschiedenen Zeiten gewidmet und ihnen entgegengestellt. Das ging hervorragend bei ihm!
Er hat das Komische aus allem gezogen, er hat etwas daraus gemacht! So hat er zum Beispiel den Film "Ein König in New York" gedreht, was damals eigentlich die härteste politische Satire war, oder eine inkorrekte Form des Angriffes auf die USA, könnte man sagen. Es war immer gewagt, und es war immer lustig, und es war auch inkorrekt, wie man es damals von anderen kaum kannte. Alles zusammen, diese Geschichte, wie er auf die reagiert hat, wie er auf seine Zeit reagiert hat, das sieht man jetzt hervorragend in den Filmen, die im Babylon gezeigt werden, dass alle diese Filme gezeigt werden – Filme zum Lachen, zum Denken und zum Wachsen.
Meyer: Die Filme Ihres Vaters – weil Sie auch gerade vom Humor, vom Witz dieser Filme sprechen –, die, die ich kenne, die haben ja eine sehr eigene Komik, eine sehr melancholische, sehr existenzielle Komik. Und man kann ja vielleicht sagen, dass Filmkomiker einem auch etwas abnehmen in dem, was sie auf der Leinwand tun. Wenn man an Stan und Ollie zum Beispiel denkt, diese Lust, mal alles zu zerstören, um einen herum, oder an die Marx Brothers, diese Lust am Anarchischen. Die Komik, die Ihr Vater gezeigt hat in seinen Filmen – was denken Sie, wie nehmen Sie das wahr? Wofür steht die, was ist das für eine Form der Komik?
Chaplin: Erst mal denke ich, dass er viel lustiger war als all die anderen, die Sie eben genannt haben. Aber was ihn auch auszeichnete, war, dass er zum Beispiel der Vagabund war, der sehr stark auf Schönheit und Romantik ansprach. Und das auf eine sehr wahrhaftige Art und Weise. Und ich denke, das unterscheidet ihn von den Anderen, das kam immer noch als Element dazu. Er hat das ja dann auch zusammengebracht, zum Beispiel in "The Kid", Slapstick, Comedy und Romantik, das passt doch nicht, das geht doch nicht zusammen! Aber er hat es gemacht. Er hat zwar Kritiken dafür bekommen, die nicht so gut waren, aber es hat wunderbar funktioniert!
Meyer: Jetzt sind sie hier als Ehrengast, um das "Chaplin complete"-Festival zu eröffnen, zu begleiten auch zum Teil. Wie oft können Sie so etwas eigentlich tun? Wie oft gibt es solche Chaplin-Festivals weltweit?
Chaplin: Soweit ich weiß, ist das das erste Mal, dass so ein komplettes Festival stattfindet, und, ja, das finde ich ganz hervorragend! Und Friedemann Beyer, dem gebührt mein ganzer Dank! Er ist ein Genie, dass er das zustande gebracht hat. Er hatte die Idee dafür, ist der Kurator, und das Babylon scheint mir der perfekte Ort dafür zu sein, das ist ein Kino von 1924. Es hat noch eine Orgel. Wo gibt es so etwas noch? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Filme meines Vaters in einem Cineplex-Kino gezeigt werden, in einem Multicine mit vielen, vielen Sälen – das passt nicht, das wäre ... nun ja, man kann nicht sagen, wie ihn in eine andere Zeit zu versetzen, denn die Filme sind ja trotzdem immer noch modern, aber passend wäre das nicht. Vielleicht wird dieses Programm ja jetzt anfangen, auf Reisen zu gehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ich hab hier in diesem schönen Hotel Adlon ein Fenster von meinem Zimmer aus, was zum Brandenburger Tor geht, und ich gehe da alle fünf Minuten hin, sage, ich muss mal kurz aufs Klo oder so, nur um einen Blick aufs Brandenburger Tor erhaschen zu können. Ich gucke raus und denke, das ist fantastisch, dass dieser Film hier gezeigt wird, "Der große Diktator".
Mein Vater ging selbst durch die Geschichte, und er wurde Geschichte, und ich denke, es ist auf jeden Fall ein historischer Moment und ich werde hier nichts darüber sagen, wer der Gewinner ist, denn das wäre zu platt.
Frank Meyer: Haben Sie eine Idee, was Ihr Vater dazu gesagt hätte, wenn er das selbst erlebt hätte?
Chaplin: Ich denke, mein Vater hätte das ganz hervorragend gefunden, es hätte ihm eine große Freude bereitet, auch alle seine 80 Filme hier in Berlin im Babylon gespielt zu sehen. 24 Tage hintereinander, einer nach dem anderen, teilweise in Begleitung des Orchesters von Tim Brock oder Neil Brand am Piano. Das hätte er ganz fantastisch gefunden. Ich bin mir sicher, er wäre begeistert gewesen. Und jetzt "Der große Diktator", nun ja, da hätte er sicher sehr bescheiden reagiert.
Meyer: Hat Ihr Vater das getan, hat er sich seine eigenen Filme auch immer wieder selbst angeschaut?
Chaplin: Er war immer sehr zurückhaltend, was das betraf, er wollte das eigentlich nicht. Und er war auch sehr unsicher, was das betraf, was seine Arbeit betraf, wie viele große Künstler, obwohl er natürlich der größte war. Aber meine Mutter war es, die uns manchmal die Filme zeigte. Wir hatten natürlich Exemplare davon, wir hatten Kopien der Filme, und wir haben immer gefragt: Bitte, bitte, bitte, können wir die Filme sehe?. Und er hat dann immer gesagt, nein, nein, das taugt nichts, das ist nicht gut und so weiter. Aber wenn wir es dann doch geschafft haben, wenn meine Mutter uns dann die Filme gezeigt hat und er auch mit zugeguckt hat, dann war er wirklich ein gutes Publikum, dann hat er Kommentare gemacht, als sei er ganz jemand anders. Dann hat er gesagt: Oh, guck mal, der ist gut! Oder: Guck mal, wie der das macht, der ist super, der ist ein guter Schauspieler, und so weiter. Das war sehr schön mit ihm.
Meyer: Ihr Vater war selbst auch in Berlin, er war mehrfach hier. Vor 80 Jahren war er hier, um für seinen Film "City Lights" damals Werbung zu machen. Was hat er von dieser Reise erzählt? Das war ja Berlin am Vorabend auch des Nationalsozialismus. Was für Eindrücke hat er mitgebracht?
Chaplin: Also, er war vorher schon mal da, er war ja schon einmal 1921 in Berlin, nach einem Triumphzug in London und in Paris. Dann kam er nach Berlin, wo seine Filme noch nicht gezeigt worden waren, hier kannte ihn noch niemand – das schreibt er auch so in seinem kleinen Buch, er sagt: Oh, super! Ich komme da hin, keiner kennt mich, ich kann ein ganz normaler Mensch sein! Aber am Ende sah das so aus, dass er das gar nicht mehr so gut fand. Ich glaube, er wollte ein paar Mädchen anmachen, und die gingen dann lieber mit seinem Freund weg. Und dann dachte er: Oha, meine Persönlichkeit ist wohl gar nichts ohne meinen Ruf, ohne meine Prominenz. Das war allerdings, bevor Pola Negri ihn angesprochen hat, und die Leute dachten: Oh, die kennt ihn? Dann muss er ja doch etwas Großes sein.
Er kam dann ja 31 wieder, um Werbung für seinen Film "City Lights" zu machen, und das war ein Riesenerfolg, und ich denke, sogar Marlene Dietrich hat ihn vom Bahnhof abgeholt, und es gab einen sehr kleinen Teil der Presse, das war eigentlich die Nazipresse, die ihn unfreundlich aufgenommen hat, aber der Rest der Presse war hervorragend. Und er hat über diese Reise nicht geredet, aber ich habe einiges darüber gelesen.
Und es gibt eine persönliche Erinnerung, die ich habe: Ich habe früher immer als Kind viel an der Tür gelauscht, und da habe ich einmal gehört, wie er mit einem deutschen Freund sprach und sagte, er habe sich in Berlin verliebt. Und da fiel ein Name, und ich wusste, das war nicht der Name meiner Mutter. Und ich habe mir große Sorgen gemacht, war ganz durcheinander, bin in die Küche gegangen, wo meine Mutter gerade kochte und war wirklich fix und fertig, bis ich dann herausbekommen habe, dass es sich um Nofretete handelte. Diese Statue, von der er sich dann auch eine Reproduktion anfertigen ließ, die er überall hin mitgenommen hat, und sagte, die geht überall dahin, wo ich auch hingehe, das war natürlich dann etwas ganz anderes.
Ich habe mal in einem Interview gelesen im "Life Magazine", dass er Richard Merryman gegeben hatte, als dieser ihn fragte, was er denn von Hitlers Schauspielkunst hält, oder seine Auftrittskunst, da hat er überlegt und gesagt: Na ja, ich finde er ist etwas zu oratorisch, auch wenn er vielleicht die ganz große Ansprache halten will, er macht zu große Gesten, und ich denke, dass dieser Mann nicht sehr selbstsicher ist, dass er immer jemanden hinter sich braucht, der sagt: Ja, das machst du gut! Du machst einen guten Job, ja, du kannst das! Und so weiter, und das hängt noch ein bisschen hinter dem "großen Diktator", zu wissen, da ist jemand, der dir sagt: Ja, ja, du machst das gut!
Meyer: Ihr Vater war ja ungeheuer produktiv. Er hat 80 Filme gedreht in diesem halben Jahrhundert zwischen 1914 und 1967 – eben die 80 Filme, die jetzt hier alle in Berlin gezeigt werden. Hatte ihr Vater neben diesem großen Werk, hatte er da überhaupt Zeit für so etwas wie Familie, wie Sie?
Chaplin: Oh ja! Ich bin ja 1944 geboren, und ich denke, in meinem Leben hat er wirklich nur vier längere Filme gemacht. Und er hat zwar jeden Tag gearbeitet, auch hart gearbeitet, aber wenn er dann zuhause war, dann hatte er auch Zeit für uns, um zu sagen, die qualitativ hochwertige Zeit mit seinen Kindern, wie man heutzutage sagt.
Meyer: Sie haben aber auch in einem Interview mal erzählt, dass ihr Vater sehr, sehr streng war, fast viktorianisch, sehr fordernd, dass Sie richtig aufgelebt sind, als sie dann woanders gelebt haben, außerhalb des Bannkreises ihres Vaters. Das heißt, müssen wir uns das so vorstellen, der strenge Charlie Chaplin zuhause, dass dieser – was wir alle vor Augen haben! – dieser Mann mit seinem Watschelgang, dieser komische Mann, dass sie diesen Mann zuhause nie erlebt haben, dass er zuhause diesen Watschelgang nicht vorgeführt hat?
Chaplin: Nein, er war wirklich sehr lustig mit seinen Kindern, eigentlich immer, wenn er Publikum hatte, war er ganz großartig. Manchmal habe ich mich gefragt, ob er deshalb so viele Kinder bekommen hat, um ein großes Publikum zu haben. Nein, aber im Ernst, er war tatsächlich ein sehr strenger Mann. Er war ja viktorianisch erzogen. Er ist 1889 geboren, und er hat in seinem Leben viele junge Frauen gehabt, Teenager sogar, die er dann auch geheiratet hat – er hat das anständig gemacht! –, aber er wollte keine wilden Töchter haben, und wir waren tatsächlich ein ganz schön wilder Haufen Kinder bei uns zuhause.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Geraldine Chaplin, die als Ehrengast zum "Chaplin complete"-Festival nach Berlin gekommen ist. Ihr Vater war ja britischer Staatsbürger, hat aber die meiste Zeit seines Lebens in den USA gearbeitet. Als er 1952 nach einer Europareise in die USA zurückkehren wollte, da wurde er ja praktisch ausgesperrt, und mit ihm seine ganze Familie. Er ist erst 20 Jahre später in die USA zurückgekehrt, um da den Ehren-Oscar für seine Filme, für sein Lebenswerk entgegenzunehmen. Was hat das für ihn bedeutet, dieses ausgesperrt werden aus dem Land seiner Filmarbeit?
Chaplin: Er hat oft gesagt, nach dieser Zeit: Ich bin nicht verbittert! Nein, nein, das ärgert mich nicht! Ich bin nicht verbittert, überhaupt nicht! Gar nicht! Und natürlich fragt man sich da: War er nicht doch ein bisschen verletzt? Bestimmt hat es ihn sehr verletzt, so genau kann ich das nicht sagen. Aber er war ein Mann, der sehr schnell reagiert hat. Er hat schnell eine Antwort gefunden auf das, was um ihn herum passiert ist, er hat sich jeder Situation gewappnet gesehen. Er hat sich den verschiedenen Zeiten gewidmet und ihnen entgegengestellt. Das ging hervorragend bei ihm!
Er hat das Komische aus allem gezogen, er hat etwas daraus gemacht! So hat er zum Beispiel den Film "Ein König in New York" gedreht, was damals eigentlich die härteste politische Satire war, oder eine inkorrekte Form des Angriffes auf die USA, könnte man sagen. Es war immer gewagt, und es war immer lustig, und es war auch inkorrekt, wie man es damals von anderen kaum kannte. Alles zusammen, diese Geschichte, wie er auf die reagiert hat, wie er auf seine Zeit reagiert hat, das sieht man jetzt hervorragend in den Filmen, die im Babylon gezeigt werden, dass alle diese Filme gezeigt werden – Filme zum Lachen, zum Denken und zum Wachsen.
Meyer: Die Filme Ihres Vaters – weil Sie auch gerade vom Humor, vom Witz dieser Filme sprechen –, die, die ich kenne, die haben ja eine sehr eigene Komik, eine sehr melancholische, sehr existenzielle Komik. Und man kann ja vielleicht sagen, dass Filmkomiker einem auch etwas abnehmen in dem, was sie auf der Leinwand tun. Wenn man an Stan und Ollie zum Beispiel denkt, diese Lust, mal alles zu zerstören, um einen herum, oder an die Marx Brothers, diese Lust am Anarchischen. Die Komik, die Ihr Vater gezeigt hat in seinen Filmen – was denken Sie, wie nehmen Sie das wahr? Wofür steht die, was ist das für eine Form der Komik?
Chaplin: Erst mal denke ich, dass er viel lustiger war als all die anderen, die Sie eben genannt haben. Aber was ihn auch auszeichnete, war, dass er zum Beispiel der Vagabund war, der sehr stark auf Schönheit und Romantik ansprach. Und das auf eine sehr wahrhaftige Art und Weise. Und ich denke, das unterscheidet ihn von den Anderen, das kam immer noch als Element dazu. Er hat das ja dann auch zusammengebracht, zum Beispiel in "The Kid", Slapstick, Comedy und Romantik, das passt doch nicht, das geht doch nicht zusammen! Aber er hat es gemacht. Er hat zwar Kritiken dafür bekommen, die nicht so gut waren, aber es hat wunderbar funktioniert!
Meyer: Jetzt sind sie hier als Ehrengast, um das "Chaplin complete"-Festival zu eröffnen, zu begleiten auch zum Teil. Wie oft können Sie so etwas eigentlich tun? Wie oft gibt es solche Chaplin-Festivals weltweit?
Chaplin: Soweit ich weiß, ist das das erste Mal, dass so ein komplettes Festival stattfindet, und, ja, das finde ich ganz hervorragend! Und Friedemann Beyer, dem gebührt mein ganzer Dank! Er ist ein Genie, dass er das zustande gebracht hat. Er hatte die Idee dafür, ist der Kurator, und das Babylon scheint mir der perfekte Ort dafür zu sein, das ist ein Kino von 1924. Es hat noch eine Orgel. Wo gibt es so etwas noch? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Filme meines Vaters in einem Cineplex-Kino gezeigt werden, in einem Multicine mit vielen, vielen Sälen – das passt nicht, das wäre ... nun ja, man kann nicht sagen, wie ihn in eine andere Zeit zu versetzen, denn die Filme sind ja trotzdem immer noch modern, aber passend wäre das nicht. Vielleicht wird dieses Programm ja jetzt anfangen, auf Reisen zu gehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.