"Er hatte immer so eine unheimliche Präsenz"

Moderation: Liane von Billerbeck |
Vor 20 Jahren starb der exzentrische Schauspieler Klaus Kinski. Der Schweizer Fotograf Beat Presser, der mit Kinski gearbeitet hat, erinnert sich an einen Perfektionisten, der mit schönen Frauen charmant, mit Regisseuren, Technikern und Kritikern aggressiv umging.
Liane von Billerbeck: Klaus Kinski in Werner Herzogs Film "Fitzcarraldo" aus dem Jahr 1982. Heute vor 20 Jahren ist der Schauspieler gestorben, und vor unserer Sendung habe ich in Basel mit dem Fotografen Beat Presser gesprochen. Schönen guten Tag, Herr Presser!

Beat Presser: Guten Tag, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: Sie waren damals vor fast 30 Jahren mit dabei, im Urwald von Peru, bei den Dreharbeiten zu "Fitzcarraldo", und diese Dreharbeiten, die sind heute fast genauso legendär wie der Film. Wie haben Sie Klaus Kinski dort erlebt?

Presser: Ich habe Klaus Kinski ja schon vorher gekannt. Ich habe Kinski schon 1977 in Paris kennengelernt, und das war natürlich sehr gut für mich, weil er kannte mich schon. Und aus dem Grund war diese Zusammenarbeit von Anfang an nicht mit Konflikten belegt, weil wir wussten damals schon, dass wir miteinander gut arbeiten.

von Billerbeck: Sie haben gesagt, Sie haben sich schon 1977 in Paris kennengelernt – wie war denn diese erste Begegnung?

Presser: Die war total spannend, weil ich wollte für meine Zeitung einen Bericht machen und hatte von der Firma Sigma das Verbot, auf das Set zu gehen, kannte aber den Regisseur. Der Regisseur hat mich mitgenommen. Unter einer Hundedecke hat er mich da in das Schloss hineingeschmuggelt und hat mich dem Klaus vorgestellt.

Und dann hat er gesagt – in Englisch haben wir zuerst gesprochen: Klaus, this is a friend of mine, he likes to take photographs. Und dann hab ich gewusst, dass ich jetzt sofort reagieren muss. Dann habe ich meine Zeitung ausgepackt, eine der Vorausgaben, und habe ihm das auf den Tisch gelegt und hab gesagt: Mister Kinski, would you like to be on the cover of this magazine – wollen Sie auf dem Titel sein?

Und dann hat er sich in aller Ruhe diese Zeitung angeschaut, und dann hat er mich so mit seinen großen Augen fixiert und sagt: Only on the cover – also nur auf dem Titelbild? Hab ich gesagt: Nein, nein, nein, Herr Kinski, Sie können so viele Seiten haben, wie Sie wollen – und dann haben wir zwölf Seiten zusammen gemacht damals. Und das haben wir alles an einem Tag gemacht, und das war total friedlich.

von Billerbeck: In der öffentlichen Wahrnehmung ist Klaus Kinski aber genau das Gegenteil: Er ist hauptsächlich der ausgeflippte Exzentriker, der Rasende, vor dem man in Deckung gehen muss. War er das bei Ihnen nie, in der konkreten Arbeit?

Presser: Nee, das hab ich nicht so wahrgenommen. Aber wissen Sie, ich glaube, man muss da ein bisschen aufpassen, wie man Sachen wahrnimmt, die man wirklich wahrnimmt, weil man mit dabei ist, und solche, die halt dann geschrieben werden. Weil die meisten Leute, die ja über diese Geschichte schreiben, die waren ja zehntausende Kilometer weg von dem, was wirklich passiert ist. Natürlich gab es Schwierigkeiten, das will ich jetzt nicht ausradieren.

von Billerbeck: Welche denn?

Presser: Ja, es gab sicher Schwierigkeiten zwischen der Produktion und Klaus und ab und zu auch zwischen dem Regisseur Werner Herzog und Klaus, aber das Wichtige, man hat ja diesen wunderbaren Film gemacht. Es ist ja nicht so, dass das nicht realisiert werden konnte wegen all diesen Konflikten. Und wenn halt ganz starke Persönlichkeiten aufeinanderprallen, dann gibt es halt Konflikte.

Aber wie es dann nachher ausgelegt wird, das Beste und das Eitle und dies und das – der Klaus hat sich mir anders offenbart, dass es so nachher wiedergegeben wird. Er hatte natürlich diese Möglichkeiten, die Stimme hochzuziehen und unheimlich aggressiv zu wirken, nur durch das Tonale. "Aber hören Sie mal" – zum Beispiel so. Also er hatte diese Möglichkeit, und da haben natürlich alle Angst bekommen. Und da hat er drei, vier Sätze so geschrien, und dann waren alle irgendwie vollkommen konsterniert, ja, was ist denn da los. Und dann hatten natürlich gewisse Leute auch Angst.

von Billerbeck: Das kann man sich sehr gut vorstellen.

Presser: Und ich finde das gut, das habe ich auch übernommen. Das war immer wieder ein Schutz. Kann ich Ihnen auch anraten. Einfach so lauter werden …

von Billerbeck: Mal kurz!

Presser: … und zwar aus dem Stand, nicht langsam lauter werden. Weil sonst sagen die Leute, ja, ja, der hat sich da aufgeregt. Einfach wie der Lichtschalter. Dann sind die Leute völlig durcheinander.

von Billerbeck: Gerade bei Fotografie stellt sich ja sicher auch dem Fotografen die Frage, wie viel ist von der Person vor meiner Kamera Inszenierung, wie viel Pose, wie viel Selbstdarstellung und wie viel authentisch. Wie war das bei Klaus Kinski?

Presser: Ja, wissen Sie, das ist ja nicht nur so, dass nur der, den man darstellt, der tut sich da so darstellen, sondern Sie als Fotograf ja eben auch. Das ist ja immer eine Symbiose, das ist ja nicht, dass Sie mit der Kamera dahin kommen und jemanden abbilden, der sich so und so sehen will, sondern Sie tun sich ja eben auch inszenieren.

Das ist ja die gute Fotografie, dass man sich auch total mit einbringt. Das ist nicht nur mit Klaus Kinski der Fall, das ist mit allen großen Fotografen, da ist immer auch ein Stück vom Fotografen mit dabei. Wir sind ja nicht nur der, der klick und klackt macht und die Blende richtig einstellt, sondern wir sind ja eben auch Regisseur. Und die gute Fotografie ist nur möglich, wenn die beiden, die aufeinanderkommen, in diesem Moment, in dieser Hundertstelsekunde sich in absoluter Topform befinden. Nur so ist die gute Fotografie möglich, behaupte ich jetzt.

von Billerbeck: Klaus Kinski, heute vor 20 Jahren starb der Schauspieler. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Fotografen und Weggefährten Beat Presser. Jeder hat, glaube ich, der so in den 70er-, 80er-Jahren erwachsen war und sich für Film und Schauspiel interessiert hat, ein eigenes Kinski-Bild, je nachdem, auf wen man dabei blickt – auf den Schauspieler, den Dichter, der Villon interpretierte, den Schriftsteller auch. Was war denn für Sie der künstlerische Kern des Klaus Kinski?

Presser: Für mich war einfach – ob er jetzt große und lange Rollen hatte im Film – er hatte immer so eine unheimliche Präsenz. Und was ich natürlich auch gesehen habe bei den Filmen, wo ich mit dabei war, er war eben "Fitzcarraldo", er war gar nicht irgendwie der Klaus Kinski, der am Morgen da kommt und sein Kostüm anzieht und seinen Hut und dann schlüpft er in die Rolle, sondern er war eben die Bestie von "Cobra Verde". Das ist das, was mich am meisten an Klaus fasziniert hat.

Und diese unheimliche Professionalität. Also der hat gewusst, was hinter der Kamera läuft, ebenso wie er aussieht. Und wenn mal ein Licht nicht richtig war auf seinem Gesicht, dann hat er das auch sofort angemeldet und hat nach einem Spiegel gerufen und hat allen auf dem Set bewiesen, dass er besser sieht als alle anderen auf dem Set. Das hat mich schon sehr fasziniert.

von Billerbeck: Seine Autobiografie "Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund" – in den 70ern war das ja ein Riesen-Bestseller –, die hat ihn auch ganz stark als Erotiker gezeichnet, mit einem unglaublich starken erotischen Impuls. War das auch so ein Brennpunkt seines Wesens als Mensch?

Presser: Da müssen Sie seine Weggefährtinnen fragen, ich weiß nicht, ob ich da der richtige Ansprechpartner bin. Ich weiß, dass er immer eine starke Ausstrahlung gehabt hat auf Frauen, und sein Verständnis zu Frauen und wie er mit ihnen umgegangen ist, das war immer viel, viel delikater und viel angenehmer, als er zum Beispiel mit Technikern oder mit anderen Leuten umgegangen ist. Aber ich würde sagen, er war ein großer Charmeur und er hat die Frauen massenweise angezogen. Auch auf diesen Sets – also die schönen jungen Damen, die sind da alle dahergekommen.

von Billerbeck: Präsenz ist das eine, aber immer wird auch von seiner überbordenden Aggressivität gesprochen, wenn es um diesen Mann, um Klaus Kinski geht – seine Ausbrüche, seine gewalttätigen Attacken. Es gibt die legendäre Anekdote, als er einem Theaterkritiker in einem Restaurant heiße Kartoffeln ins Gesicht warf und geschrien hat: "Ich bin nicht hervorragend, ich bin monumental!" Ist das dieser Wahnsinn, den man gemeinhin dem Genie zuspricht – was würden Sie sagen?

Presser: Ja, ich weiß. Wissen Sie, diese Ausbrüche, die gab es ganz sicher auch während unseren Dreharbeiten, aber es hatte dann auch manchmal seine Gründe. Und Sie müssen sehen, wo wir das gedreht haben, das war wirklich am Ende der Welt, da hat es nur noch Krokodile und Schlangen und Urwald und Geräusche – und das sind einfach Extremsituationen, sowohl von der Geografie her als auch von den menschlichen Konstellationen und von der Arbeit, die wir gemacht haben. Dass es da natürlich zu Ausbrüchen kommen kann, das ist glaubhaft verständlich, vor allem, wenn man sehr impulsiv ist wie der Klaus und wenn man auch so einen Status hat, den er ja damals auch hatte.

Wobei ich glaube, in zunehmendem Alter hat er sich schon hineingesteigert in seine … Ich war ja dann auch noch dabei bei "Paganini" kurz, und da war er schon sehr schwer verständlich, also auch für mich. Ich hab dann nicht mehr immer begriffen, was da abgeht. Aber dann war er eben wieder total nett und total zuvorkommend. Gegen den Schluss hatte er diese Möglichkeit gehabt, einfach wie ein Lichtschalter, den tun Sie an und dann geht er in die Luft, und dann tun Sie ihn wieder runter, dann ist er wieder ganz normal. Und wie weit das dann gespielt war und Realität, ich weiß nicht, das war vielleicht schon fast ein krankhaftes Verhalten gegen den Schluss.

von Billerbeck: Heute vor 20 Jahren starb Klaus Kinski. Der Schweizer Fotograf Beat Presser war mein Gesprächspartner, der viele Jahre mit dem Schauspieler zusammen gearbeitet hat, und ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit, das kann man sich auch ansehen, denn im Moser-Verlag ist sein Bildband "Kinski" erschienen. Ganz herzlichen Dank, Herr Presser!

Presser: Herzlichen Dank Ihnen auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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