"Er ist das, was man einen Citoyen nennt"
Der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, hat das Engagement des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker für die deutsche Einheit gewürdigt. Er habe der Präsident aller Deutschen sein wollen und sich schon frühzeitig zu Berlin als Hauptstadt bekannt.
Ute Welty: Der eine wird heute 90, der andere ist vor Kurzem 70 geworden. Der eine war der erste Bundespräsident aller Deutschen und der andere der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident der DDR, und beide stammen aus einflussreichen deutschen Familien. Mit Lothar de Maizière spreche ich über Richard von Weizsäcker. Guten Morgen, Herr de Maizière.
Lothar de Maizière: Guten Morgen!
Welty: Wie und wann haben Sie beide sich kennengelernt?
de Maizière: Das war in der Zeit, als Herr von Weizsäcker nicht mehr Regierender Bürgermeister war, aber schon als Bundespräsident gewählt war, aber das Amt noch nicht antrat. Da lebte er noch in Westberlin, wie es damals hieß, und ein Mitarbeiter der ständigen Vertretung organisierte für ihn Veranstaltungen hier in Ostberlin, wo er Ostberliner Menschen kennen lernen wollte, weil er sagte, ich will Bundespräsident aller Deutschen sein.
Welty: Und da waren Sie mit dabei?
de Maizière: Da war ich mit dabei, ja, ein Herr Kulitzus, der bei der ständigen Vertretung damals tätig war, und ich entsinne mich an einen sehr interessanten Abend mit Alexander Lang vom Deutschen Theater, einem Regisseur, und einem anderen Historiker noch und ich war dabei.
Welty: Würden Sie sagen, dass in solchen Zirkeln, in solchen Gesprächen der Boden bereitet worden ist für die deutsche Einheit, jetzt nicht was die politischen Fakten angeht, aber was so ein Gefühl füreinander angeht?
de Maizière: Jedenfalls hatte ich damals den Eindruck, dass Herr von Weizsäcker sich ganz bewusst darauf vorbereitete, auch wenn er Bundespräsident der Westdeutschen wird, ein Präsident aller Deutschen sein zu wollen und inhaltlich auch genau sich erkundigte. Zum Beispiel mich hat er gefragt über Strafrecht oder Strafvollzug und solche Dinge, die uns damals sehr bewegten.
Welty: Und wie haben Sie dann Richard von Weizsäcker im eigentlichen Prozess der Wende und der Vereinigung erlebt?
de Maizière: Nun, ich habe, als ich Ministerpräsident war, mehrfach mit ihm gesprochen. Wir hatten ja damals kurzzeitig die Idee, ob er nicht schon noch der letzte Präsident der DDR werden wollte, und ich habe ihm damals gesagt, ich sorge dafür, dass Sie keinesfalls Vorlagen kriegen, die Sie in Interessenskollisionen bringen. Aber das war denn doch staatsrechtlich nicht zu machen. Mir hat vor allen Dingen nachher, nach der Wiedervereinigung gefallen, dass er sich ganz bewusst für Berlin bekannt hat und gesagt hat, wenn im Einigungsvertrag steht, Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen, dann gehe ich als Bundespräsident als Erster dahin, und zwar das zu einem Zeitpunkt, als die Frage, ob nun Regierungs- und Parlamentssitz Berlin sein würde, noch gar nicht entschieden war.
Welty: Weizsäcker sagt über Sie und über diese Zeit der Wende, Sie hätten eine sehr gute Rolle gespielt, auch wenn Sie es nicht leicht gehabt hätten. Fühlen Sie sich mit diesen Worten gut beschrieben?
de Maizière: Das stimmt wohl, ja. Ich meine, leicht war es sicherlich nicht, ein Staatswesen, das quasi am Abgrund steht, nicht in den Abgrund schlittern zu lassen, sondern in geordneter Weise in ein neues Wesen zu überführen. Das war keine leichte Aufgabe.
Welty: Sie selbst nennen von Weizsäcker die zur Person gewordene bürgerliche Gesinnung. Das ist durchaus eine Formulierung mit Interpretationsspielraum. Würden Sie den bitte für uns ausfüllen?
de Maizière: Bürgerliche Gesinnung? Ich glaube, er ist das, was man einen Citoyen nennt. So muss bürgerliches Bewusstsein für sein Gemeinwesen aussehen: Man ist der erste Diener des Staates und zugleich ist man Bestandteil desselben. Wenn ich einen solchen Bundespräsidenten beschreiben sollte, dann würde ich versuchen, Richard von Weizsäcker nachzuzeichnen.
Welty: Sie haben ja dann Ende der 90er in der sogenannten Weizsäcker-Kommission zur Zukunft der Bundeswehr noch mal zusammengearbeitet. Haben Sie da einen anderen Mann kennengelernt als in Ihren ersten Begegnungen?
de Maizière: Nein. Ich habe ihn da erstmals, sagen wir mal, in Work erlebt, in Arbeit erlebt, und da ist mir schon seine sehr stringente Führung dieser Kommission aufgefallen, eine sehr straffe Verhandlungsführung. Schwafelei war ihm zum Beispiel abhold, das konnte er gar nicht gut ertragen, aber er war für Problemstellungen offen.
Ich entsinne mich an die erste Sitzung. Diese Kommission hieß ja "gemeinsame Sicherheit" und da sagte ich, das ist ja ein Begriff aus der Zeit des Kalten Krieges, nur beide Seiten können gemeinsam Sicherheit erbringen. Ich wollte wissen, wer gehört denn jetzt zur Gemeinsamkeit dazu. Gehört Russland dazu oder gehört Russland nicht dazu? Das war dann sofort eine sehr spannende Diskussion, die er aufgriff, und ich merkte, dass die meisten noch in dem alten Begriff "gemeinsame Sicherheit" lebten, dort gibt es ein Gegenüber, ein Feindbild. Da war er derjenige, der ganz bewusst auch am Abbau an Feindbildern mitarbeitete.
Welty: Macht es es leichter, diese Unterschiede im Denken zu überwinden, wenn man einen ähnlichen Hintergrund hat? In ihrer beider Familien ist ja immer viel gedacht worden, es hat immer wieder führende Persönlichkeiten gegeben und es spielt eine protestantische Haltung den Dingen gegenüber eine große Rolle.
de Maizière: Das weiß ich nicht, ob das einem das erleichtert. Man ist halt so und man tut eine Sache um ihrer selbst willen. Ich glaube, dass wir einen ganz ähnlichen Erziehungshintergrund haben, das ist wohl wahr, ziemlich preußisch und protestantisch. Das macht es einem leichter und macht es einem auch manchmal etwas schwerer. Man ist nicht so frei, an bestimmte Dinge heranzugehen, wie es manch anderer tut.
Welty: Gestatten Sie mir noch eine persönliche Frage. Wie gratuliert man einem Mann wie Richard von Weizsäcker zum Geburtstag? Sie werden ja wohl kaum heute eine SMS schreiben oder so etwas.
de Maizière: Ich habe ihm einen Brief geschrieben.
Welty: Lothar de Maizière über Richard von Weizsäcker, zu dessen 90. Geburtstag in Deutschlandradio Kultur. Danke sehr herzlich fürs Gespräch.
de Maizière: Danke auch. Auf Wiederhören!
Lothar de Maizière: Guten Morgen!
Welty: Wie und wann haben Sie beide sich kennengelernt?
de Maizière: Das war in der Zeit, als Herr von Weizsäcker nicht mehr Regierender Bürgermeister war, aber schon als Bundespräsident gewählt war, aber das Amt noch nicht antrat. Da lebte er noch in Westberlin, wie es damals hieß, und ein Mitarbeiter der ständigen Vertretung organisierte für ihn Veranstaltungen hier in Ostberlin, wo er Ostberliner Menschen kennen lernen wollte, weil er sagte, ich will Bundespräsident aller Deutschen sein.
Welty: Und da waren Sie mit dabei?
de Maizière: Da war ich mit dabei, ja, ein Herr Kulitzus, der bei der ständigen Vertretung damals tätig war, und ich entsinne mich an einen sehr interessanten Abend mit Alexander Lang vom Deutschen Theater, einem Regisseur, und einem anderen Historiker noch und ich war dabei.
Welty: Würden Sie sagen, dass in solchen Zirkeln, in solchen Gesprächen der Boden bereitet worden ist für die deutsche Einheit, jetzt nicht was die politischen Fakten angeht, aber was so ein Gefühl füreinander angeht?
de Maizière: Jedenfalls hatte ich damals den Eindruck, dass Herr von Weizsäcker sich ganz bewusst darauf vorbereitete, auch wenn er Bundespräsident der Westdeutschen wird, ein Präsident aller Deutschen sein zu wollen und inhaltlich auch genau sich erkundigte. Zum Beispiel mich hat er gefragt über Strafrecht oder Strafvollzug und solche Dinge, die uns damals sehr bewegten.
Welty: Und wie haben Sie dann Richard von Weizsäcker im eigentlichen Prozess der Wende und der Vereinigung erlebt?
de Maizière: Nun, ich habe, als ich Ministerpräsident war, mehrfach mit ihm gesprochen. Wir hatten ja damals kurzzeitig die Idee, ob er nicht schon noch der letzte Präsident der DDR werden wollte, und ich habe ihm damals gesagt, ich sorge dafür, dass Sie keinesfalls Vorlagen kriegen, die Sie in Interessenskollisionen bringen. Aber das war denn doch staatsrechtlich nicht zu machen. Mir hat vor allen Dingen nachher, nach der Wiedervereinigung gefallen, dass er sich ganz bewusst für Berlin bekannt hat und gesagt hat, wenn im Einigungsvertrag steht, Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen, dann gehe ich als Bundespräsident als Erster dahin, und zwar das zu einem Zeitpunkt, als die Frage, ob nun Regierungs- und Parlamentssitz Berlin sein würde, noch gar nicht entschieden war.
Welty: Weizsäcker sagt über Sie und über diese Zeit der Wende, Sie hätten eine sehr gute Rolle gespielt, auch wenn Sie es nicht leicht gehabt hätten. Fühlen Sie sich mit diesen Worten gut beschrieben?
de Maizière: Das stimmt wohl, ja. Ich meine, leicht war es sicherlich nicht, ein Staatswesen, das quasi am Abgrund steht, nicht in den Abgrund schlittern zu lassen, sondern in geordneter Weise in ein neues Wesen zu überführen. Das war keine leichte Aufgabe.
Welty: Sie selbst nennen von Weizsäcker die zur Person gewordene bürgerliche Gesinnung. Das ist durchaus eine Formulierung mit Interpretationsspielraum. Würden Sie den bitte für uns ausfüllen?
de Maizière: Bürgerliche Gesinnung? Ich glaube, er ist das, was man einen Citoyen nennt. So muss bürgerliches Bewusstsein für sein Gemeinwesen aussehen: Man ist der erste Diener des Staates und zugleich ist man Bestandteil desselben. Wenn ich einen solchen Bundespräsidenten beschreiben sollte, dann würde ich versuchen, Richard von Weizsäcker nachzuzeichnen.
Welty: Sie haben ja dann Ende der 90er in der sogenannten Weizsäcker-Kommission zur Zukunft der Bundeswehr noch mal zusammengearbeitet. Haben Sie da einen anderen Mann kennengelernt als in Ihren ersten Begegnungen?
de Maizière: Nein. Ich habe ihn da erstmals, sagen wir mal, in Work erlebt, in Arbeit erlebt, und da ist mir schon seine sehr stringente Führung dieser Kommission aufgefallen, eine sehr straffe Verhandlungsführung. Schwafelei war ihm zum Beispiel abhold, das konnte er gar nicht gut ertragen, aber er war für Problemstellungen offen.
Ich entsinne mich an die erste Sitzung. Diese Kommission hieß ja "gemeinsame Sicherheit" und da sagte ich, das ist ja ein Begriff aus der Zeit des Kalten Krieges, nur beide Seiten können gemeinsam Sicherheit erbringen. Ich wollte wissen, wer gehört denn jetzt zur Gemeinsamkeit dazu. Gehört Russland dazu oder gehört Russland nicht dazu? Das war dann sofort eine sehr spannende Diskussion, die er aufgriff, und ich merkte, dass die meisten noch in dem alten Begriff "gemeinsame Sicherheit" lebten, dort gibt es ein Gegenüber, ein Feindbild. Da war er derjenige, der ganz bewusst auch am Abbau an Feindbildern mitarbeitete.
Welty: Macht es es leichter, diese Unterschiede im Denken zu überwinden, wenn man einen ähnlichen Hintergrund hat? In ihrer beider Familien ist ja immer viel gedacht worden, es hat immer wieder führende Persönlichkeiten gegeben und es spielt eine protestantische Haltung den Dingen gegenüber eine große Rolle.
de Maizière: Das weiß ich nicht, ob das einem das erleichtert. Man ist halt so und man tut eine Sache um ihrer selbst willen. Ich glaube, dass wir einen ganz ähnlichen Erziehungshintergrund haben, das ist wohl wahr, ziemlich preußisch und protestantisch. Das macht es einem leichter und macht es einem auch manchmal etwas schwerer. Man ist nicht so frei, an bestimmte Dinge heranzugehen, wie es manch anderer tut.
Welty: Gestatten Sie mir noch eine persönliche Frage. Wie gratuliert man einem Mann wie Richard von Weizsäcker zum Geburtstag? Sie werden ja wohl kaum heute eine SMS schreiben oder so etwas.
de Maizière: Ich habe ihm einen Brief geschrieben.
Welty: Lothar de Maizière über Richard von Weizsäcker, zu dessen 90. Geburtstag in Deutschlandradio Kultur. Danke sehr herzlich fürs Gespräch.
de Maizière: Danke auch. Auf Wiederhören!