"Er ist der Falsche"

Albrecht Müller im Gespräch mit Christopher Ricke |
Albrecht Müller, früher Planungschef im Kanzleramt, sieht für die SPD keine Chance, die kommenden Bundestagswahlen mit Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zu gewinnen. Steinbrück sei "sehr eng mit der Bankenwelt und den ganzen Zockerbuden verbunden", kritisierte der Sozialdemokrat.
Christopher Ricke: Es gibt einen Mann bei der SPD, der hat sehr gute Chancen, seinen Traumjob zurückzukriegen: Das ist Frank-Walter Steinmeier. Der will wieder Außenminister werden, am liebsten natürlich unter einem rot-grünen Kanzler Peer Steinbrück, es ginge wohl aber auch unter einer großkoalitionären Kanzlerin Angela Merkel.

Beim Kanzlerkandidaten der SPD ist das nicht so einfach: Peer Steinbrück will, das hat er deutlich erklärt, siegen oder untergehen, so wie er als Norddeutscher überhaupt gern etwas seemännisch auftritt. Ich spreche jetzt mit Albrecht Müller, das ist Steinbrücks Parteifreund, er war Planungschef im Kanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt, außerdem ist er mit dem Internetangebot nachdenkseiten.de im Netz unterwegs. Guten Morgen, Herr Müller!

Albrecht Müller: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Brauchen wir denn einen politisch differenzierten Wahlkampf, wie es vielleicht auch die Nachdenkseiten politisch differenziert sehen oder brauchen wir etwas Holzschnittartiges jetzt?

Müller: Wir brauchen etwas ... ja, beides eigentlich, aber wir brauchen auf jeden Fall eine Alternative zu Angela Merkel und der schwarz-gelben Koalition, und die bietet Peer Steinbrück nicht.

Ricke: Er bietet sie nicht, ist also der falsche Kanzlerkandidat der Sozialdemokratie?

Müller: Ja, davon gehe ich schon aus, dass ziemlich deutlich der Falsche ist. Er ist der Falsche, weil er – wie auch die jetzige Koalition – sehr eng mit der Bankenwelt und den ganzen Zockerbuden verbunden ist, er ist der Falsche, weil er vermutlich keine Chancen haben wird, und er ist der Falsche, weil er auch von Makroökonomie und vor allem von Beschäftigungspolitik wenig versteht.

Ricke: Lassen Sie mich versuchen, dagegen zu halten, dann sage ich: Steinbrück hat doch dazugelernt – aus dem einstigen Deregulierer und Bankenretter mit Steuergeld ist ein Bankenkritiker geworden. Und außerdem muss man Wahlen in der Mitte gewinnen: Wenn man einen ganz Linken nach vorne stellt, wird man nicht ins bürgerliche Lager einbrechen können.

Müller: Ja, es geht aber nicht um links oder rechts in diesem Fall, sondern es geht zum Beispiel um Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von der Bankenwelt. Und dass er unabhängig ist, glaube ich nicht, auch nicht nach seinen Papier zur Regulierung der Bankenwelt. Da muss man erst mal auch sagen, dass man sich geirrt hat, und das hört man bei ihm nie. Er tritt auf wie ein forscher Norddeutscher, das beeindruckt uns Süddeutsche manchmal, aber mich beeindruckt das nicht mehr, weil zur Verantwortung gehört – das hat Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" sehr schön geschrieben gestern –, zur Verantwortung gehört, dass man auch einsieht und auch sagt, was man an Fehlern gemacht hat. Also das ist bei Steinbrück nicht gegeben.

Ricke: Na ja, Steinbrück steht natürlich auch für die Agenda 2010, aber er steht auch dazu und sieht das nicht unbedingt als Fehler.

Müller: Ja, es war aber aus sozialdemokratischer Sicht ein sehr großer Fehler. Es hat - das hat der Gerhard Schröder selbst bekannt - den größten und besten Niedriglohnsektor geschaffen, den wir haben. Das kann kein sozialdemokratisches Programm sein. Also meine These ist ja, dass in dem Paket, was uns Herr Steinbrück anbietet, wenig Sozialdemokratie enthalten ist, und das wünsche ich mir nicht nur persönlich, sondern das halte ich für die Voraussetzung dafür, dass die SPD überhaupt Chancen hat, diese Wahl zu gewinnen.

Ricke: Einige Parteilinke haben aber doch schon ganz offiziell ihren Frieden mit Steinbrück gemacht. Ist das dann nur deshalb, weil sie unbedingt an die Macht wollen?

Müller: Weil sie keine Alternative hatten zu Peer Steinbrück oder zumindest meinten, keine zu haben. Das war der eigentliche Hintergrund. Und in dieser jetzigen Situation, wo Peer Steinbrück in den Medien zum tollsten Kandidaten aller Zeiten gemacht wird, ist es auch sehr schwierig, dagegenzuhalten. Ich würde trotzdem die Linke in der SPD kritisieren, dass sie nicht den Mut gehabt hat und dass sie vor allem auch nicht sagt, welche Defizite an diesem Mann sind.

Ich will noch mal auf eins zurückkommen, was seine Unabhängigkeit von den Banken betrifft: Es gibt nach wie vor ein Steuerprivileg, das Schröder und Eichel eingeführt haben, nämlich: Wenn sie ein Riesen-Aktienpaket – wie es von der Allianz mehrmals geschehen oder anderen großen Banken geschehen ist – verkaufen, dann müssen Sie für die dabei realisierten Gewinne keine Steuern bezahlen. Das ist damals eingeführt worden zum 01.01.2002, und das existiert immer noch, und Dutzende, hunderte, tausende Unternehmen in Deutschland sind auf diese Weise verscherbelt worden, ohne dass der Steuerzahler ... ohne dass der Staat irgendwas davon hatte. Das wäre aber wichtig gewesen. Und das besteht nach wie vor. Und wenn Herr Steinbrück es ernst meint mit der Regulierung, damit, dass er sagt, die Banken müssen unter Aufsicht gestellt werden, und wir müssen auch die packen, dann müsste er dieses Privileg erst mal abschaffen.

Ricke: Schauen wir noch mal etwas an, was Steinbrück auf keinen Fall will: Das ist die Organisation einer linken Mehrheit, die es ja rein strukturell in Deutschland geben könnte - wenn man denn die Grünen noch für links hält und die Nachfolgepartei von SED und PDS, die Linke, für regierungsfähig. Geht das zur Not auch mit Steinbrück?

Müller: Nein, das geht offensichtlich nicht, weil Steinbrück wie auch andere ganz deutlich abhängig ist von Leuten, die (…) die im Hintergrund wahrscheinlich dieses politische Geschehen in Deutschland bestimmen. Also wenn man als sozialdemokratischer Kanzlerkandidat eine mögliche Koalition mit der Linkspartei ablehnt und gleichzeitig Angebote an die FDP macht – an diesen desolaten Haufen, der ganz offen, siehe Hotels, Privilegien vergeben hat, um dann Spenden zu bekommen –, wenn man denen eine Koalition anbietet und die andere ablehnt, dann meint man es mit einer sozialdemokratischen Mehrheit nicht ernst.

Ricke: Herr Müller, haben Sie das Parteibuch noch, oder haben Sie es schon zurückgeschickt?

Müller: Ja, diese Frage müssen Sie dem Herrn Steinbrück stellen, denn bei mir ist noch Sozialdemokratie drin in dem, was ich denke und tue. Bei ihm sehe ich es nicht.

Ricke: Der Publizist und Sozialdemokrat Albrecht Müller, das Internetangebot des ehemaligen Planungschefs im Kanzleramt heißt nachdenkseiten.de – vielen Dank, Herr Müller!

Müller: Ja, auf Wiederhören!


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