"Er war wirklich ein Kämpfer, ein aufrechter kritischer Christenmensch"
Der verstorbene Philologe Walter Jens sei eine "ehrliche Haut" und ein "couragierter Freund" gewesen, sagte der katholische Theologe Hans Küng. Er würdigte Jens als "unerschrockenen Kämpfer für Demokratie und freie Meinungsäußerung".
Frank Meyer: Sie haben es in unseren Nachrichten vielleicht schon gehört, der Publizist und Philologe Walter Jens ist tot. Er ist gestern im Alter von 90 Jahren gestorben. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich schon zu Wort gemeldet und gesagt, Walter Jens habe die Streitkultur in der Bundesrepublik beispielhaft verkörpert. Eine moralische Instanz wurde Walter Jens auch immer wieder genannt. Walter Jens hat mehrfach mit seinem Freund und Tübinger Nachbarn Hans Küng zusammengearbeitet, und Hans Küng ist jetzt in Tübingen für uns am Telefon. Seien Sie herzlich willkommen, Herr Küng!
Hans Küng: Na ja.
Meyer: Herr Küng, wann haben Sie denn Walter Jens zuletzt gesehen, und wie ging es ihm da?
Küng: Ja, ich hätte ihn diese Woche wieder sehen sollen, das war schon abgemacht, und ich war das letzte Mal vor ein paar Wochen bei ihm. Er hat in der letzten Zeit leider nicht mehr gemerkt, ob man sich vor einem Tag oder vor zehn Tagen oder zehn Wochen gesehen hat. Er war in einem erbärmlichen Zustand, und vor allem, seitdem er die Wunde auf dem Rücken hatte, hab ich gedacht, hoffentlich kann er bald sterben.
Meyer: Sie haben ja mit ihm unter anderem zusammengearbeitet an einem Buch über Sterbehilfe im Jahr 1995. Walter Jens hat sich damals sehr engagiert für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe eingesetzt. Vor diesem Hintergrund, wie sehen Sie da auf das Leben von Walter Jens in den letzten zehn Jahren als ja zunehmend schwer Demenzkranker?
Küng: Ja, ich habe mit ihm übereingestimmt darin, dass der Mensch selbst verantwortlich ist für sein Sterben, wann und wie er sterben will. Und ich habe eigentlich gehofft, er würde einen Weg finden, um ein gnädiges Ende zu haben. Er hat meines Erachtens den Zeitpunkt verpasst, wo er noch frei entscheiden konnte. Das ist auch die Auffassung seiner Frau Inge. Und jetzt hatte er sehr, sehr, zwar nicht körperlich zu leiden, aber es war ein Elend, ihm zuzusehen, wie er immer mehr verfiel. Und auch geistig überhaupt nicht mehr kommunizieren konnte. Es ist schon ein schweres Übel, was da ihn getroffen hat, und was für viele Menschen, glaube ich, wichtig ist zu sehen, dass es da einen Zeitpunkt gibt, wo der Mensch eigentlich am besten sterben kann.
Meyer: Herr Küng, wenn wir auf die Zeit davor schauen, auf die Zeit vor der Erkrankung von Walter Jens, ein Begriff, auf den man immer wieder stößt, wenn man etwas über ihn liest, ist Radikaldemokrat. Was ja erst mal ein Widerspruch zu sein scheint zwischen Radikalismus und demokratischen Überzeugungen. Wie sehen Sie das? Inwiefern war Walter Jens ein Radikaldemokrat?
Küng: Ja gut, er hat sich natürlich ausgesprochen als links verstanden, und er hat mir einmal gesagt, du bist doch sonst, also im Kirchenbereich, links, warum bist du nicht auch politisch links. Ich hab ihm gesagt, ich bin weder da noch dort links, ich bin centro sinistra, also linke Mitte, und da war er natürlich sehr viel extremer, und das habe ich nicht immer alles mitgemacht. Aber er war eine ehrliche Haut, er hat sich eingesetzt und er hat also wirklich als Demokrat gewirkt, sowohl im politischen Bereich wie im Kirchenbereich. Also ich vermisse ihn sehr als einen couragierten Freund, der einem gerade in schwierigsten Zuständen des Lebens helfen kann, wie er mir geholfen hat in der Auseinandersetzung mit Rom.
Meyer: Weil Sie gerade sagen, ehrliche Haut, das hat ja einmal eine Delle sozusagen bekommen, diese ehrliche Haut, als bekannt wurde, dass er in seiner Jugend Mitglied der NSDAP war. Er hat zunächst gesagt, er kann sich nicht erinnern, später hat er bedauert, dass er nach dem Krieg darüber nicht offener gesprochen hat. Wie haben Sie das Verhalten von Walter Jens in dieser Frage wahrgenommen?
Küng: Ja, das war natürlich eine lange Geschichte, und ich muss mich als Schweizer Bürger da sehr zurückhalten in Bezug auf die Beurteilung von Leuten, die damals lebten, die meine Altersgenossen waren, faktisch, die Flak-Generation, sogenannte. Das sind ja nicht nur wenige, die damals also die Sache schwer verdaut haben und einiges verdrängt haben, das hatte er zweifellos auch. Das war mir am Anfang nicht so klar, ich hab geglaubt, was er selber geglaubt hat mit der Zeit, dass er eben doch nicht freiwillig beigetreten ist. Das hat sich, glaube ich, aufgelöst, und das hat ihm sicher auch schwer zugesetzt.
Meyer: Ist denn Walter Jens für Sie, trotz dieser Geschichte, ist er für Sie eine moralische Instanz geblieben, wie es immer über ihn hieß?
Küng: Ich glaube, dass er nach wie vor gilt als ein unerschrockener Kämpfer für Demokratie und freie Meinungsäußerung. Auch was damals war, kann man ja nicht, einem jungen Mann mit 18, 19 Jahren, wie wir damals waren, nun ernst nehmen, was er sein ganzes Leben hindurch gut gewirkt hat. Er war wirklich ein Kämpfer, ein aufrechter, kritischer Christenmensch und ein unerschrockener Kämpfer für Demokratie und freie Meinungsäußerung. Auch was damals war, kann man ja nicht einem jungen Mann mit 18, 19 Jahren, wie wir damals waren, nun ernst nehmen, was er sein ganzes Leben hindurch gut gewirkt hat. Er war wirklich ein Kämpfer, ein aufrechter kritischer Christenmensch und ein unerschrockener Kämpfer für Demokratie und freie Meinungsäußerung.
Meyer: Und für Sie als Freund, was war für Sie am wichtigsten an Walter Jens?
Küng: Ja, einfach mal der gute Ratgeber. Wir haben oft miteinander geredet, soll man es so machen, soll man es anders machen? Gerade in publizistischen Dingen war er natürlich genauso beschlagen wie in literarischen Dingen. Er hatte auch manche Dinge von mir gelesen. Er hat immer Anteil genommen, und ich werde ihn sehr vermissen. Sein Urteil war mir sehr viel wert.
Meyer: Hans Küng, Freund, Nachbar und bei einigen Projekten Mitstreiter von Walter Jens. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Küng!
Küng: Ich danke Ihnen, Herr Meyer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Hans Küng: Na ja.
Meyer: Herr Küng, wann haben Sie denn Walter Jens zuletzt gesehen, und wie ging es ihm da?
Küng: Ja, ich hätte ihn diese Woche wieder sehen sollen, das war schon abgemacht, und ich war das letzte Mal vor ein paar Wochen bei ihm. Er hat in der letzten Zeit leider nicht mehr gemerkt, ob man sich vor einem Tag oder vor zehn Tagen oder zehn Wochen gesehen hat. Er war in einem erbärmlichen Zustand, und vor allem, seitdem er die Wunde auf dem Rücken hatte, hab ich gedacht, hoffentlich kann er bald sterben.
Meyer: Sie haben ja mit ihm unter anderem zusammengearbeitet an einem Buch über Sterbehilfe im Jahr 1995. Walter Jens hat sich damals sehr engagiert für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe eingesetzt. Vor diesem Hintergrund, wie sehen Sie da auf das Leben von Walter Jens in den letzten zehn Jahren als ja zunehmend schwer Demenzkranker?
Küng: Ja, ich habe mit ihm übereingestimmt darin, dass der Mensch selbst verantwortlich ist für sein Sterben, wann und wie er sterben will. Und ich habe eigentlich gehofft, er würde einen Weg finden, um ein gnädiges Ende zu haben. Er hat meines Erachtens den Zeitpunkt verpasst, wo er noch frei entscheiden konnte. Das ist auch die Auffassung seiner Frau Inge. Und jetzt hatte er sehr, sehr, zwar nicht körperlich zu leiden, aber es war ein Elend, ihm zuzusehen, wie er immer mehr verfiel. Und auch geistig überhaupt nicht mehr kommunizieren konnte. Es ist schon ein schweres Übel, was da ihn getroffen hat, und was für viele Menschen, glaube ich, wichtig ist zu sehen, dass es da einen Zeitpunkt gibt, wo der Mensch eigentlich am besten sterben kann.
Meyer: Herr Küng, wenn wir auf die Zeit davor schauen, auf die Zeit vor der Erkrankung von Walter Jens, ein Begriff, auf den man immer wieder stößt, wenn man etwas über ihn liest, ist Radikaldemokrat. Was ja erst mal ein Widerspruch zu sein scheint zwischen Radikalismus und demokratischen Überzeugungen. Wie sehen Sie das? Inwiefern war Walter Jens ein Radikaldemokrat?
Küng: Ja gut, er hat sich natürlich ausgesprochen als links verstanden, und er hat mir einmal gesagt, du bist doch sonst, also im Kirchenbereich, links, warum bist du nicht auch politisch links. Ich hab ihm gesagt, ich bin weder da noch dort links, ich bin centro sinistra, also linke Mitte, und da war er natürlich sehr viel extremer, und das habe ich nicht immer alles mitgemacht. Aber er war eine ehrliche Haut, er hat sich eingesetzt und er hat also wirklich als Demokrat gewirkt, sowohl im politischen Bereich wie im Kirchenbereich. Also ich vermisse ihn sehr als einen couragierten Freund, der einem gerade in schwierigsten Zuständen des Lebens helfen kann, wie er mir geholfen hat in der Auseinandersetzung mit Rom.
Meyer: Weil Sie gerade sagen, ehrliche Haut, das hat ja einmal eine Delle sozusagen bekommen, diese ehrliche Haut, als bekannt wurde, dass er in seiner Jugend Mitglied der NSDAP war. Er hat zunächst gesagt, er kann sich nicht erinnern, später hat er bedauert, dass er nach dem Krieg darüber nicht offener gesprochen hat. Wie haben Sie das Verhalten von Walter Jens in dieser Frage wahrgenommen?
Küng: Ja, das war natürlich eine lange Geschichte, und ich muss mich als Schweizer Bürger da sehr zurückhalten in Bezug auf die Beurteilung von Leuten, die damals lebten, die meine Altersgenossen waren, faktisch, die Flak-Generation, sogenannte. Das sind ja nicht nur wenige, die damals also die Sache schwer verdaut haben und einiges verdrängt haben, das hatte er zweifellos auch. Das war mir am Anfang nicht so klar, ich hab geglaubt, was er selber geglaubt hat mit der Zeit, dass er eben doch nicht freiwillig beigetreten ist. Das hat sich, glaube ich, aufgelöst, und das hat ihm sicher auch schwer zugesetzt.
Meyer: Ist denn Walter Jens für Sie, trotz dieser Geschichte, ist er für Sie eine moralische Instanz geblieben, wie es immer über ihn hieß?
Küng: Ich glaube, dass er nach wie vor gilt als ein unerschrockener Kämpfer für Demokratie und freie Meinungsäußerung. Auch was damals war, kann man ja nicht, einem jungen Mann mit 18, 19 Jahren, wie wir damals waren, nun ernst nehmen, was er sein ganzes Leben hindurch gut gewirkt hat. Er war wirklich ein Kämpfer, ein aufrechter, kritischer Christenmensch und ein unerschrockener Kämpfer für Demokratie und freie Meinungsäußerung. Auch was damals war, kann man ja nicht einem jungen Mann mit 18, 19 Jahren, wie wir damals waren, nun ernst nehmen, was er sein ganzes Leben hindurch gut gewirkt hat. Er war wirklich ein Kämpfer, ein aufrechter kritischer Christenmensch und ein unerschrockener Kämpfer für Demokratie und freie Meinungsäußerung.
Meyer: Und für Sie als Freund, was war für Sie am wichtigsten an Walter Jens?
Küng: Ja, einfach mal der gute Ratgeber. Wir haben oft miteinander geredet, soll man es so machen, soll man es anders machen? Gerade in publizistischen Dingen war er natürlich genauso beschlagen wie in literarischen Dingen. Er hatte auch manche Dinge von mir gelesen. Er hat immer Anteil genommen, und ich werde ihn sehr vermissen. Sein Urteil war mir sehr viel wert.
Meyer: Hans Küng, Freund, Nachbar und bei einigen Projekten Mitstreiter von Walter Jens. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Küng!
Küng: Ich danke Ihnen, Herr Meyer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.