"Er wollte ganz nach oben"
Die Stigmatisierung des Namens "Hartz" sei es gewesen, die den Filmemacher Lutz Hachmeister auf die Spur des Sozialreformers gebracht habe. Doch er habe einen Idealisten kennen gelernt, für den die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine Lebensaufgabe sei - "warum auch immer."
Katrin Heise: Peter Hartz, er war Topmanager bei VW und machte durch unkonventionelle Ideen zu Tarifpolitik und Arbeitsplatzsicherung auf sich aufmerksam. Das gleichzeitig bestehende Geflecht von Beziehungen und Gefälligkeiten zwischen VW-Vorstand und Gewerkschaft bis hin zu Prostituierten in Brasilien, das wurde später öffentlich und auch weidlich beleuchtet.
Peter Hartz: Sein Ziel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, das verfolgt er bis heute, auch wenn sein Name unabänderlich mit einem Arbeitsmarktprogramm verbunden ist, gegen das Abertausende auf die Straße gehen. Peter Hartz hat sechs Jahre lang geschwiegen. Nun hat er dem Journalisten Lutz Hachmeister Rede und Antwort gestanden. Heute Abend läuft dessen Film in der ARD, ich grüße Sie, Herr Hachmeister.
Lutz Hachmeister: Ich grüße Sie!
Heise: Was interessierte Sie an Peter Hartz besonders, als Sie den Film machen wollten? War es der erlebte Fall dieses Mannes aus großer Höhe, oder die Idee, die ihn antreibt?
Hachmeister: Eigentlich die Stigmatisierung des Namens. Also, das hat es eigentlich, glaube ich, in der Geschichte der Bundesrepublik nach 1945 noch nie gegeben, dass jemand mit seinem Namen für dieses Konvolut von Sozialgesetzgebung, Hartz IV, Prostituiertenaffären steht. Und dann kommt tatsächlich dazu, dass er aus den höchsten Höhen – er war sogar mal im Gespräch als Bundeswirtschaftsminister – dann herabfällt in diesen Fluch, Hartz zu heißen.
Heise: Und was für einen Mann hatten Sie erwartet?
Hachmeister: Ich kannte ihn gar nicht. Ich hatte ihn im Fernsehen damals gesehen, als er diese berühmte Mini-CD an Kanzler Gerhard Schröder übergab, und ich habe hier in meiner Tasche diese CD und wir werden die Arbeitslosigkeit …
Heise: … die er Ihnen im Film noch mal zeigt …
Hachmeister: … – die er noch mal vorzeigt, ganz stolz –, wir werden die Arbeitslosigkeit halbieren. Und das fand ich damals ein prä-potentes Programm. Was mich damals sehr gestört hat, war die Sprache der Hartz-Kommission, die im Wesentlichen eine McKinsey-Sprache gemischt mit Ministerialbürokratie ist. Also, wir alle kennen diesen Begriff noch, Job-Floater, Ich-AG, Bridge-System … Das fand ich… Aus sprachästhetischen Gründen damals war das für mich ein Indiz, dass das Ganze nicht funktionieren konnte, weil es die Leute gar nicht verstehen.
Die Begegnung mit ihm war anders. Ich habe dann begriffen, dass er schon einen großen Charme des Vermittlers hat, also, man begreift, warum er auch so weit aufgestiegen ist und warum es diesen Typus eigentlich sehr selten gibt. Also, jemand, der sich in diesem Dickicht zwischen Gewerkschaften und Großunternehmen auskennt, der zwischen den Mächtigen vermittelt, also, seine großen Vorbilder waren dann Lafontaine auf der einen Seite, Schröder, Ferdinand Piech, das sind wirkliche politische und unternehmerische Führungsfiguren. Da hat er so in der zweiten Reihe versucht, deren Verhalten sozial abzufedern.
Und dann kommt dazu, dass er wirklich ein Idealist ist, das habe ich ihm auch abgenommen, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seine Lebensaufgabe ist, warum auch immer. Das ist noch mal eine …
Heise: … aus sehr kleinen Verhältnissen auch kommend, er kommt ja irgendwie, wurde ja auch immer mit Arbeitslosigkeit oder mit Den-Job-Verlieren konfrontiert …
Hachmeister: … ja, er kommt aus, heute würde man sagen, prekären Verhältnissen im Saarland. Der Vater war ein einfacher Hüttenarbeiter, es musste dazuverdient werden, er musste nach der Schule sofort auch mit arbeiten, um die Familie mit zu ernähren. Dann eine klassische Karriere über den zweiten Bildungsweg, auch seine Brüder sind übrigens etwas geworden, der eine wurde Bürgermeister, der andere Unternehmer. Und diese Aufstiegsmentalität, auch diese Vorstellung, wenn man einen Arbeitsplatz hat, dann bedeutet man etwas in der Gesellschaft, wenn man keinen hat, ist man durch alle sozialen Netze hindurchgefallen, das hat ihn sein Leben lang motiviert.
Heise: Wie geht er denn jetzt eigentlich damit um, also, dass sein Name so ein Schimpfwort ist? Wie geht er mit diesem Absturz um?
Hachmeister: Er kann damit schlecht umgehen, ich glaube, wie wir beide auch schlecht damit umgehen können oder viele der Hörer. Also, wenn man vorher Professor Dr. Hartz, der gefeierte Sozialreformer ist und dann jemand, der mit Rotlichtaffären und einer nur in Teilen gelungenen Sozialreform, um es milde auszudrücken, in Verbindung gebracht wird, das würde jedem schwerfallen, damit kommod weiterzuleben.
Er versucht, glaube ich, an seinen Lebensprojekten weiterzuarbeiten, er ist gerade 70 geworden, er kümmert sich immer noch um Langzeitarbeitslose im Saarland. Und zum anderen ist er, soweit ich das mitbekommen habe, im Saarland durchaus eine respektierte Figur, er fährt ein teures VW-Auto mit Fahrer, er hat eine gehobene Pension, also, er ist nicht, wie man in Westfalen sagen würde, ins Bergfreie gefallen.
Heise: Ja, das war auch nicht zu erwarten, denke ich. In der "Zeit" habe ich neulich gelesen, er hat Mitleid mit sich selbst, nicht mit jenen, die mit seiner Reform leben müssen. Wie sehen Sie das? Also, Erschütterung, Selbstmitleid, ja, auch Selbstmitleid, würde ich sagen, sieht man im Film schon. Er spricht von einem medialen Tsunami, der über ihn hergefallen ist.
Hachmeister: Ja, er hat sich übrigens sehr über diesen "Zeit"-Artikel aufgeregt, der auch ein bisschen hart ist zum 70. Geburtstag. Also, da fand ich auch, entweder man schreibt gar nichts oder man versucht, es etwas differenziert zu sehen. Er kann ja nicht alle kennen, die von der Hartz-IV-Reform betroffen sind, und zum anderen ist das einfach nicht das, was ihn interessiert hat.
Ihn hat interessiert so was wie Personal Service Agentur, also eher der Vermittlungsprozess, wie kommen Leute wieder in Arbeit. Alles andere wurde damit attachiert und vermengt. Also, diese Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und das stärkere Fordern statt Fördern, sage ich jetzt mal, war eher eine Schrödersche Attitüde in der Zeit, als Schröder politisch nicht mehr so hoch im Kurs stand.
Also, das ist das Schwierige, das mit dem Namen Hartz verbunden wird. Was ist er selbst, was waren seine Planungen, was waren die Planungen seiner Berater, McKinsey zum Beispiel, und was ist das, was bei den Reformen letztlich herausgekommen ist. Das muss man sehr genau betrachten.
Heise: Der Filmautor Lutz Hachmeister, der ein Porträt über Peter Hartz gedreht hat. Bleiben wir mal bei dieser Art von Gefühlen sich selbst gegenüber: Hat er Schuldbewusstsein gegen das Filzsystem? VW-Bestechung, Lustreisen und so weiter?
Hachmeister: Schuld, glaube ich nicht. Er sagt, dass er es heute juristisch stärker prüfen lassen würde. Also, er würde formal juristisch herangehen mit Rechtsberatern und dann hätten die ihm wahrscheinlich gesagt, lieber Peter Hartz, so geht das nicht, da bekommst du Schwierigkeiten, und dann hätte er es anders gemacht.
Der Grundsatz, dass ein Betriebsratsvorsitzender eines Weltkonzerns ungefähr so viel verdient wie ein Markenvorstand bei VW, das findet er nach wie vor vollkommen korrekt. Also, das muss man ganz klar unterscheiden. Er findet die Vorgehensweise im Nachhinein fahrlässig, hat sich da ja auch schuldig bekannt; das Prinzip, Gewerkschafter auch hochrangig einzubinden – er nennt das Co-Management –, das verteidigt er nach wie vor, ohne Punkt und Komma.
Heise: Sie haben vorhin gesagt, er hat immer in der zweiten Reihe gestanden. Medial stimmt das ja nicht unbedingt, er hat ja auch sehr in der ersten Reihe gestanden. Welche Rolle spielt eigentlich Eitelkeit bei ihm?
Hachmeister: Ich denke, eine entscheidende Rolle, das wird in dem Film ja auch von mehreren Interviewpartnern gesagt, auch die, die ihm nahestehen. Er wollte ganz nach oben. Was man merkt, ist, dass er mit den harten realpolitischen Prozessen sehr wenig vertraut ist, also, dieses Kungeln zwischen Koalitionsparteien, diese Reibereien zwischen Bundestag und Bundesrat, zwischen verschiedenen Fraktionen. Das ist gar nicht seine Sache. Er ist da der klassische Manager, der sich in Industriebezügen, wo stärker Ansagen gemacht werden und wo stärker Dezisionen getroffen werden, da fühlt er sich sicherlich sehr viel wohler.
Heise: Diese Enthüllungen, über die er letztendlich dann ja auch gestürzt ist … Sie haben da diese Theorie aufgearbeitet oder beziehungsweise haben die Theorie da beleuchtet, dass diese Enthüllungen lanciert wurden vom Pressesprecher des damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, Olaf Glaeseker, beweisen konnten Sie das aber auch im Film nicht.
Hachmeister: Ich konnte das deshalb im Film nicht beweisen, weil sich niemand vor der Kamera äußert. Ich habe aber sehr viele Hintergrundgespräche geführt mit Beteiligten, der "Focus"-Artikel, der zum ersten Mal über die VW-Affäre berichtet, ist ja nach wie vor nachzulesen. Man weiß auch, welche Informantenverhältnisse es da gab. Also, so, wie es in dem Film vorkommt und auch nahegelegt wird, so war es auch.
Es ist natürlich etwas anderes, ob Sie einen Film drehen und Leute vor die Kamera bewegen müssen, die zum Teil noch in Abhängigkeitsverhältnissen von VW stehen, es gibt keinen deutschen Konzern, der so viele Leute bezahlt, damit sie nicht reden im Nachhinein. Das geht ja bis zu Herrn Pischetsrieder, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, der noch in vollem Lohn und Brot bei VW ist. Und dann müssen Sie einfach dann sagen, hier ist die Grenze, wo man es auch durch Zeitzeugen vor der Kamera belegen kann.
Heise: Und das hat Ihnen dann auch gereicht, es so anzusprechen, nahezulegen?
Hachmeister: Das hat mir gereicht. Es ging auch nur darum, einen Hinweis zu geben. Ehrlich gesagt, das Verhalten von Christian Wulff und seiner Mannschaft damals war ja vollkommen legitim. Er war ein CDU-Ministerpräsident, er kam frisch ins Amt, er sah diese Verflechtung in Wolfsburg, und dass man da schon mal dazwischenschlagen will, mit welchen Methoden auch immer, halte ich aus seiner politischen Sicht für vollkommen verständlich.
Heise: Im Film kommt zur Sprache, dass bei den Enthüllungen Mitarbeiter von Peter Hartz sich dann ernsthaft Sorgen um ihn gemacht haben, ob er sich was antun würde. Würden Sie sagen, er ist eine gebrochene Person?
Hachmeister: In gewisser Hinsicht schon. Also, gebrochen in dem Sinne, dass seine Biografie nicht mehr so verlaufen ist, wie er sich das vorgestellt hat, und ja auch noch dann relativ spät im Berufsleben. Er war ja schon Anfang 60, er sah eigentlich das Ende seiner aktiven beruflichen Laufbahn vor sich, er hätte in Glanz und Gloria ausscheiden können. Und da hat natürlich diese Selbstbenebelung mit den großen Sozialreformen von des damaligen Kanzlers Gnaden viel dazu beigetragen, dass er, glaube ich, nicht mehr so sensibel war für das, was passiert ist. Wenn er nicht diese Bürde der Hartz-Kommission gehabt hätte, hätte er vielleicht etwas mehr aufgepasst.
Heise: Sie haben am Anfang gesagt, Sie hat der Mensch hinter dem Namen interessiert, weil mit einem Namen so in der Bundesrepublik eigentlich, oder in Deutschland noch nicht umgegangen worden ist. Ist der Film nicht aber auch eine Parabel über diesen Namensträger hinaus, also über einen, der es gut gemeint hat, der ein Ziel hatte, Verantwortung übernimmt, aber scheitert?
Hachmeister: Das zum einen. Zum anderen, glaube ich, ist er ein starker Hinweis darauf, wie wir das dann doch letztlich nicht schaffen, und zwar alle zusammen in dieser Republik, entscheidende Reformen durchzusetzen. Die Hartz-Reformen oder das, was mit seinem Namen verbunden ist, sind so kompliziert – 120.000 laufende Sozialgerichtsverfahren –, dass sie einfach für mehr Verwirrung und Verdruss gesorgt haben unabhängig von den realen Ergebnissen.
Wir haben heute weniger Arbeitslose als damals, warum auch immer, hat auch was mit Weltkonjunkturen zu tun. Aber dass man dann klarere Lösungen findet und tatsächlich etwa über Grundeinkommen nachdenkt, das kann man daran lernen, dass das ewige Weiterwurschteln dann doch zu keinen überzeugenden Ergebnissen führt und einzelne Leute dann auch mit herunterzieht.
Heise: Heute Abend läuft um 22:45 Uhr in der ARD "Auf der Suche nach Peter Hartz" ein Film von Lutz Hachmeister, in einer längeren Version wird er dann auch mal im Januar auf 3sat laufen. Herr Hachmeister, vielen Dank für Ihren Besuch!
Hachmeister: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Interview: Berliner Bezirksbürgermeister über Hartz-IV-Sätze und Hilfe für Kinder
Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht nimmt Hartz IV unter die Lupe
Kommentar: Hartz IV soll nachgebessert werden
Peter Hartz: Sein Ziel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, das verfolgt er bis heute, auch wenn sein Name unabänderlich mit einem Arbeitsmarktprogramm verbunden ist, gegen das Abertausende auf die Straße gehen. Peter Hartz hat sechs Jahre lang geschwiegen. Nun hat er dem Journalisten Lutz Hachmeister Rede und Antwort gestanden. Heute Abend läuft dessen Film in der ARD, ich grüße Sie, Herr Hachmeister.
Lutz Hachmeister: Ich grüße Sie!
Heise: Was interessierte Sie an Peter Hartz besonders, als Sie den Film machen wollten? War es der erlebte Fall dieses Mannes aus großer Höhe, oder die Idee, die ihn antreibt?
Hachmeister: Eigentlich die Stigmatisierung des Namens. Also, das hat es eigentlich, glaube ich, in der Geschichte der Bundesrepublik nach 1945 noch nie gegeben, dass jemand mit seinem Namen für dieses Konvolut von Sozialgesetzgebung, Hartz IV, Prostituiertenaffären steht. Und dann kommt tatsächlich dazu, dass er aus den höchsten Höhen – er war sogar mal im Gespräch als Bundeswirtschaftsminister – dann herabfällt in diesen Fluch, Hartz zu heißen.
Heise: Und was für einen Mann hatten Sie erwartet?
Hachmeister: Ich kannte ihn gar nicht. Ich hatte ihn im Fernsehen damals gesehen, als er diese berühmte Mini-CD an Kanzler Gerhard Schröder übergab, und ich habe hier in meiner Tasche diese CD und wir werden die Arbeitslosigkeit …
Heise: … die er Ihnen im Film noch mal zeigt …
Hachmeister: … – die er noch mal vorzeigt, ganz stolz –, wir werden die Arbeitslosigkeit halbieren. Und das fand ich damals ein prä-potentes Programm. Was mich damals sehr gestört hat, war die Sprache der Hartz-Kommission, die im Wesentlichen eine McKinsey-Sprache gemischt mit Ministerialbürokratie ist. Also, wir alle kennen diesen Begriff noch, Job-Floater, Ich-AG, Bridge-System … Das fand ich… Aus sprachästhetischen Gründen damals war das für mich ein Indiz, dass das Ganze nicht funktionieren konnte, weil es die Leute gar nicht verstehen.
Die Begegnung mit ihm war anders. Ich habe dann begriffen, dass er schon einen großen Charme des Vermittlers hat, also, man begreift, warum er auch so weit aufgestiegen ist und warum es diesen Typus eigentlich sehr selten gibt. Also, jemand, der sich in diesem Dickicht zwischen Gewerkschaften und Großunternehmen auskennt, der zwischen den Mächtigen vermittelt, also, seine großen Vorbilder waren dann Lafontaine auf der einen Seite, Schröder, Ferdinand Piech, das sind wirkliche politische und unternehmerische Führungsfiguren. Da hat er so in der zweiten Reihe versucht, deren Verhalten sozial abzufedern.
Und dann kommt dazu, dass er wirklich ein Idealist ist, das habe ich ihm auch abgenommen, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seine Lebensaufgabe ist, warum auch immer. Das ist noch mal eine …
Heise: … aus sehr kleinen Verhältnissen auch kommend, er kommt ja irgendwie, wurde ja auch immer mit Arbeitslosigkeit oder mit Den-Job-Verlieren konfrontiert …
Hachmeister: … ja, er kommt aus, heute würde man sagen, prekären Verhältnissen im Saarland. Der Vater war ein einfacher Hüttenarbeiter, es musste dazuverdient werden, er musste nach der Schule sofort auch mit arbeiten, um die Familie mit zu ernähren. Dann eine klassische Karriere über den zweiten Bildungsweg, auch seine Brüder sind übrigens etwas geworden, der eine wurde Bürgermeister, der andere Unternehmer. Und diese Aufstiegsmentalität, auch diese Vorstellung, wenn man einen Arbeitsplatz hat, dann bedeutet man etwas in der Gesellschaft, wenn man keinen hat, ist man durch alle sozialen Netze hindurchgefallen, das hat ihn sein Leben lang motiviert.
Heise: Wie geht er denn jetzt eigentlich damit um, also, dass sein Name so ein Schimpfwort ist? Wie geht er mit diesem Absturz um?
Hachmeister: Er kann damit schlecht umgehen, ich glaube, wie wir beide auch schlecht damit umgehen können oder viele der Hörer. Also, wenn man vorher Professor Dr. Hartz, der gefeierte Sozialreformer ist und dann jemand, der mit Rotlichtaffären und einer nur in Teilen gelungenen Sozialreform, um es milde auszudrücken, in Verbindung gebracht wird, das würde jedem schwerfallen, damit kommod weiterzuleben.
Er versucht, glaube ich, an seinen Lebensprojekten weiterzuarbeiten, er ist gerade 70 geworden, er kümmert sich immer noch um Langzeitarbeitslose im Saarland. Und zum anderen ist er, soweit ich das mitbekommen habe, im Saarland durchaus eine respektierte Figur, er fährt ein teures VW-Auto mit Fahrer, er hat eine gehobene Pension, also, er ist nicht, wie man in Westfalen sagen würde, ins Bergfreie gefallen.
Heise: Ja, das war auch nicht zu erwarten, denke ich. In der "Zeit" habe ich neulich gelesen, er hat Mitleid mit sich selbst, nicht mit jenen, die mit seiner Reform leben müssen. Wie sehen Sie das? Also, Erschütterung, Selbstmitleid, ja, auch Selbstmitleid, würde ich sagen, sieht man im Film schon. Er spricht von einem medialen Tsunami, der über ihn hergefallen ist.
Hachmeister: Ja, er hat sich übrigens sehr über diesen "Zeit"-Artikel aufgeregt, der auch ein bisschen hart ist zum 70. Geburtstag. Also, da fand ich auch, entweder man schreibt gar nichts oder man versucht, es etwas differenziert zu sehen. Er kann ja nicht alle kennen, die von der Hartz-IV-Reform betroffen sind, und zum anderen ist das einfach nicht das, was ihn interessiert hat.
Ihn hat interessiert so was wie Personal Service Agentur, also eher der Vermittlungsprozess, wie kommen Leute wieder in Arbeit. Alles andere wurde damit attachiert und vermengt. Also, diese Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und das stärkere Fordern statt Fördern, sage ich jetzt mal, war eher eine Schrödersche Attitüde in der Zeit, als Schröder politisch nicht mehr so hoch im Kurs stand.
Also, das ist das Schwierige, das mit dem Namen Hartz verbunden wird. Was ist er selbst, was waren seine Planungen, was waren die Planungen seiner Berater, McKinsey zum Beispiel, und was ist das, was bei den Reformen letztlich herausgekommen ist. Das muss man sehr genau betrachten.
Heise: Der Filmautor Lutz Hachmeister, der ein Porträt über Peter Hartz gedreht hat. Bleiben wir mal bei dieser Art von Gefühlen sich selbst gegenüber: Hat er Schuldbewusstsein gegen das Filzsystem? VW-Bestechung, Lustreisen und so weiter?
Hachmeister: Schuld, glaube ich nicht. Er sagt, dass er es heute juristisch stärker prüfen lassen würde. Also, er würde formal juristisch herangehen mit Rechtsberatern und dann hätten die ihm wahrscheinlich gesagt, lieber Peter Hartz, so geht das nicht, da bekommst du Schwierigkeiten, und dann hätte er es anders gemacht.
Der Grundsatz, dass ein Betriebsratsvorsitzender eines Weltkonzerns ungefähr so viel verdient wie ein Markenvorstand bei VW, das findet er nach wie vor vollkommen korrekt. Also, das muss man ganz klar unterscheiden. Er findet die Vorgehensweise im Nachhinein fahrlässig, hat sich da ja auch schuldig bekannt; das Prinzip, Gewerkschafter auch hochrangig einzubinden – er nennt das Co-Management –, das verteidigt er nach wie vor, ohne Punkt und Komma.
Heise: Sie haben vorhin gesagt, er hat immer in der zweiten Reihe gestanden. Medial stimmt das ja nicht unbedingt, er hat ja auch sehr in der ersten Reihe gestanden. Welche Rolle spielt eigentlich Eitelkeit bei ihm?
Hachmeister: Ich denke, eine entscheidende Rolle, das wird in dem Film ja auch von mehreren Interviewpartnern gesagt, auch die, die ihm nahestehen. Er wollte ganz nach oben. Was man merkt, ist, dass er mit den harten realpolitischen Prozessen sehr wenig vertraut ist, also, dieses Kungeln zwischen Koalitionsparteien, diese Reibereien zwischen Bundestag und Bundesrat, zwischen verschiedenen Fraktionen. Das ist gar nicht seine Sache. Er ist da der klassische Manager, der sich in Industriebezügen, wo stärker Ansagen gemacht werden und wo stärker Dezisionen getroffen werden, da fühlt er sich sicherlich sehr viel wohler.
Heise: Diese Enthüllungen, über die er letztendlich dann ja auch gestürzt ist … Sie haben da diese Theorie aufgearbeitet oder beziehungsweise haben die Theorie da beleuchtet, dass diese Enthüllungen lanciert wurden vom Pressesprecher des damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, Olaf Glaeseker, beweisen konnten Sie das aber auch im Film nicht.
Hachmeister: Ich konnte das deshalb im Film nicht beweisen, weil sich niemand vor der Kamera äußert. Ich habe aber sehr viele Hintergrundgespräche geführt mit Beteiligten, der "Focus"-Artikel, der zum ersten Mal über die VW-Affäre berichtet, ist ja nach wie vor nachzulesen. Man weiß auch, welche Informantenverhältnisse es da gab. Also, so, wie es in dem Film vorkommt und auch nahegelegt wird, so war es auch.
Es ist natürlich etwas anderes, ob Sie einen Film drehen und Leute vor die Kamera bewegen müssen, die zum Teil noch in Abhängigkeitsverhältnissen von VW stehen, es gibt keinen deutschen Konzern, der so viele Leute bezahlt, damit sie nicht reden im Nachhinein. Das geht ja bis zu Herrn Pischetsrieder, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, der noch in vollem Lohn und Brot bei VW ist. Und dann müssen Sie einfach dann sagen, hier ist die Grenze, wo man es auch durch Zeitzeugen vor der Kamera belegen kann.
Heise: Und das hat Ihnen dann auch gereicht, es so anzusprechen, nahezulegen?
Hachmeister: Das hat mir gereicht. Es ging auch nur darum, einen Hinweis zu geben. Ehrlich gesagt, das Verhalten von Christian Wulff und seiner Mannschaft damals war ja vollkommen legitim. Er war ein CDU-Ministerpräsident, er kam frisch ins Amt, er sah diese Verflechtung in Wolfsburg, und dass man da schon mal dazwischenschlagen will, mit welchen Methoden auch immer, halte ich aus seiner politischen Sicht für vollkommen verständlich.
Heise: Im Film kommt zur Sprache, dass bei den Enthüllungen Mitarbeiter von Peter Hartz sich dann ernsthaft Sorgen um ihn gemacht haben, ob er sich was antun würde. Würden Sie sagen, er ist eine gebrochene Person?
Hachmeister: In gewisser Hinsicht schon. Also, gebrochen in dem Sinne, dass seine Biografie nicht mehr so verlaufen ist, wie er sich das vorgestellt hat, und ja auch noch dann relativ spät im Berufsleben. Er war ja schon Anfang 60, er sah eigentlich das Ende seiner aktiven beruflichen Laufbahn vor sich, er hätte in Glanz und Gloria ausscheiden können. Und da hat natürlich diese Selbstbenebelung mit den großen Sozialreformen von des damaligen Kanzlers Gnaden viel dazu beigetragen, dass er, glaube ich, nicht mehr so sensibel war für das, was passiert ist. Wenn er nicht diese Bürde der Hartz-Kommission gehabt hätte, hätte er vielleicht etwas mehr aufgepasst.
Heise: Sie haben am Anfang gesagt, Sie hat der Mensch hinter dem Namen interessiert, weil mit einem Namen so in der Bundesrepublik eigentlich, oder in Deutschland noch nicht umgegangen worden ist. Ist der Film nicht aber auch eine Parabel über diesen Namensträger hinaus, also über einen, der es gut gemeint hat, der ein Ziel hatte, Verantwortung übernimmt, aber scheitert?
Hachmeister: Das zum einen. Zum anderen, glaube ich, ist er ein starker Hinweis darauf, wie wir das dann doch letztlich nicht schaffen, und zwar alle zusammen in dieser Republik, entscheidende Reformen durchzusetzen. Die Hartz-Reformen oder das, was mit seinem Namen verbunden ist, sind so kompliziert – 120.000 laufende Sozialgerichtsverfahren –, dass sie einfach für mehr Verwirrung und Verdruss gesorgt haben unabhängig von den realen Ergebnissen.
Wir haben heute weniger Arbeitslose als damals, warum auch immer, hat auch was mit Weltkonjunkturen zu tun. Aber dass man dann klarere Lösungen findet und tatsächlich etwa über Grundeinkommen nachdenkt, das kann man daran lernen, dass das ewige Weiterwurschteln dann doch zu keinen überzeugenden Ergebnissen führt und einzelne Leute dann auch mit herunterzieht.
Heise: Heute Abend läuft um 22:45 Uhr in der ARD "Auf der Suche nach Peter Hartz" ein Film von Lutz Hachmeister, in einer längeren Version wird er dann auch mal im Januar auf 3sat laufen. Herr Hachmeister, vielen Dank für Ihren Besuch!
Hachmeister: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Interview: Berliner Bezirksbürgermeister über Hartz-IV-Sätze und Hilfe für Kinder
Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht nimmt Hartz IV unter die Lupe
Kommentar: Hartz IV soll nachgebessert werden