Erben gesucht

NS-Raubkunst im Provinz-Museum

NS-Raubkunst in der Universitätsbibliothek Bremen
Auch im Bestand der Bremer Uni-Bibliothek befinden sich rund 1500 Bücher deutscher Juden. © picture alliance / dpa / Foto: Carmen Jaspersen
Von Christoph Richter |
Die Erforschung der NS-Raubkunst hat auch kleinere Museen erreicht. Große Funde sind zwar nicht zu erwarten, aber auch für Alltagsgegenstände, Bücher und Fotografien werden die rechtmäßigen Besitzer gesucht.
Das Ergebnis vorweg: Es geht nicht nur um Rubens, Max Ernst oder antike Plastiken, sondern der Blick der Provenienzforschung - hinsichtlich NS-Raubgut - soll sich künftig verstärkt auf die kulturgeschichtlichen und kulturhistorischen Alltags-Sammlungen der Heimat- und Regionalmuseen richten. Das hat die heutige Konferenz am Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg deutlich gemacht. Hintergrund ist, dass die Herkunfts- und Eigentumsverhältnisse der nach 1933 eingelieferten Ausstellungsstücke - gerade in mittleren und kleinen Museen - immer noch weitgehend ungeklärt sind.
Anschaulich wird das am konkreten Beispiel des Städtischen Museums in Aschersleben am nördlichen Harzrand. Auf den eng beschriebenen Seiten des vergilbten Museums-Eingangsbuches sind ab 1938 plötzlich keine Einträge mehr zu lesen, obwohl Lokal-Zeitungen bzw. Museumsvereine später noch von Schenkungen bzw. Ankäufen berichten. Und: Obwohl Regionalmuseen oft ein Sammelsurium, Wunderkammern von Regionalia sind taucht im Ascherslebener Musemsdepot – völlig überraschend - eine exotische Afrika-Sammlung auf. Auffälligkeiten, die Provenienzforscher Mathias Deinert stutzig machen.
Mathias Deinert: "Woher die Stücke kommen weiß man dabei nicht. Man weiß nur, sie sind ab 1938 ans Haus gekommen. Um in einer Ausstellung zu zeigen, wir haben die Kolonien verloren, wir brauchen sie wieder. Das ist schon ein propagandistischer Ansatz gewesen."

Herkunft ungeklärt

Fünf Regionalmuseen in Sachsen-Anhalt lassen derzeit ihre Bestände nach NS-Raubkunst durchforsten. Darunter ist auch das Altmärkische Museum in Stendal. Hier ist man auf 90 Bücher gestoßen, die mit hebräischen Inschriften versehen sind. Woher die Bücher kommen, wem sie einst gehörten: Alles unklar. Experten nennen so etwas einen "unsicheren Sammlungsbestand." In der Hallenser Moritzburg dagegen sind von 406 Werken, lediglich vier Arbeiten belastet.
Die Magdeburger Tagung mit dem Titel "Die Suche nach NS-Raubgut am Beispiel Sachsen-Anhalts" macht deutlich, dass gerade in Heimat- und Regionalmuseen keine sensationellen Restitutionsfälle wie die Gurlitt-Sammlung zu erwarten sind. Stattdessen geht es um kleine Objekte, die nach 1933 widerrechtlich in die Museen gelangt sind. Gemeint ist also nicht die große Kunst, sondern Gegenstände aus jüdischen Haushalten, wie das Porzellan-Service, die Stadt-Ansicht oder ein unscheinbares Buch: Dinge, die für Nachfahren mitunter die einzigen Erinnerungsstücke sind, unterstreicht der Kunsthistoriker Uwe Hartmann vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg.
Uwe Hartmann: "Und deswegen steht hinter jeder Provenienz, hinter jeder Geschichte eines Objektes, Geschichten von Menschen. Vielfach dramatische Schicksale."

Nachholbedarf in der Provinz

Die Provenienzforschung – das wurde auf der Magdeburger Tagung noch mal deutlich – ist mehr als eine profane Besitz-Recherche. Ganz im Gegenteil: Die Biografien der Objekte, seien immer auch Biografien der Opfer, betont der Provenienzexperte Uwe Hartmann. Und: Hinsichtlich der Provenienzforschung haben gerade die Heimat-und Regionalmuseen – wo sich Museumsleute durchaus auch als Handlanger und Profiteure des NS-Systems betätigt haben - deutlichen Nachholbedarf, so Hartmann weiter.
Nach einem ersten oberflächlichen Erst-Check kommt es bei begründeten Verdachtsfällen an den Museen zur Tiefenbohrung. Wenn dann auch nicht geklärt werden kann, woher die Museumsstücke stammen, werden die Dinge in die Lost-Art Datenbank eingestellt, wo Menschen nach ihren in der NS-Zeit entzogenen Raubgut suchen können. Eine zentrale öffentliche Einrichtung des Bundes und der Länder.

Gerechtigkeit für die Opfer

Es gehe um Gerechtigkeit, die man den Opfern der Shoa zukommen lassen wolle, wie Provenienz-Experte Uwe Hartmann betont.
Hartmann: "Da ist noch viel zu tun, dass wollen wir deutlich machen. Und das ist nicht mal so nebenbei in einem kleineren oder größeren Museum zu leisten. Damit mit muss man sich langfristig auseinandersetzen, einarbeiten. Das ist für die ganze deutsche Gesellschaft, insbesondere für die Kultureinrichtungen, eine Aufgabe, die nicht mit einem Ziel in zwei oder fünf Jahren muss das geschafft sein, erledigt ist. Nein, das wird für alle Einrichtungen eine Daueraufgabe sein."
Und: Das Ganze ist mehr als nur eine symbolische Geste, denn Deutschland ist Mitunterzeichner der sogenannten Washingtoner Erklärung. Damit hat es sich verpflichtet, eine gerechte und faire Lösung für diejenigen zu finden, denen während der Zeit des Nationalsozialismus Kunst entzogen wurde. Das heißt, es muss Opfern bzw. deren Nachfahren und Rechtsnachfolgern ihr Eigentum zurückgegeben werden, auch wenn es eben kein Canaletto, sondern nur eine unbedeutende Stadtansicht ist.
Eine ethische Aufgabe, die Geld kostet und die Museen bzw. Museumsverbände aus eigener Hand oft gar nicht stemmen können, weshalb sie auf Geld-Geber, wie das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste angewiesen sind.
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