Erdbeben in Zeitlupe

Von Susanne Balthasar |
Das idylissche Städtchen Staufen im Dreiländereck Deutschland-Schweiz-Frankreich musste schon viel über sich ergehen lassen: eine Pest, einen Bauernaufstand, die Experimente des Alchimisten Doktor Faust. Aber nun läuft in der Altstadt von Staufen seit eineinhalb Jahren ein Erdbeben in Zeitlupe ab: Die Erde hebt sich jeden Monat um bis zu einen Zentimeter.
Einige der uralten Häuser der historischen Altstadt werden bereits statisch gestützt - eine Kulturstadt gerät ins Wanken.

"Hier ist es so schön, da soll man froh sein, dass man hier wohnen darf."
"Wir sind vom Wetter sehr verwöhnt, und dann strahlt das toskanische Flair hier sehr viel Charme aus."
"Staufen ist eine touristische Stadt. Über die Generationen wurden die Häuser aufrecht erhalten, mit viel Liebe restauriert, renoviert, am Leben erhalten. Andere Kleinstädte versinken in Arztpraxen und weiß Gott was."
"Wie gesagt, diese Altstadt ist in einem einmaligem Zustand, die ist sehr schön. Das findet man vergleichsweise nirgends mehr: eine belebte Postkarte."

"Die Altstadt ist Jahrhunderte alt. Die ersten Teile unsere Altstadt sind 770 das erste Mal urkundlich erwähnt worden. Also ein einmaliges Ensemble in Baden-Württemberg steht da zur Disposition."

Michael Benitz ist Bürgermeister von Staufen und hat ein Problem.

"Wir haben im Herbst 2007 ein Geothermieprojekt zum Abschluss gebracht und wollten damit unser Sanierungsprojekt des historischen Rathauses und des Rathausrückhauses zum Abschluss bringen, wollten regenerative Energien einsetzen. Und dann hat die Katastrophe ihren Gang genommen."

"Es geht schon los, wenn ich zur Haustür reinkomme. Die Bodenplatten im Flur sind schon gerissen. Dann gehe ich weiter ins Erdgeschoss, in mein schön renoviertes Kaminzimmer, da tut sich mir dann ein Zwei-Zentimeter großer Riss quer durch den Fußboden auf. Die darunter liegende Fußbodenheizung ist defekt."

In dem Spalt in den italienischen Marmorfliesen könnte eine Murmel verschwinden. Claus Hermanns Kaminzimmer ist jetzt SWR-Foto des Jahres.

"Das Kernhaus ist 380 Jahre alt, hat Kriege ausgehalten, hat Erdbeben ausgehalten, Überschwemmungen, große Stürme. Jetzt von einem Tag auf den anderen wird es zerstört."

Claus Hermann ist hier aufgewachsen. Ein selten schönes Haus: Uralte Holzbalken und Mauern, knarrenden Dielen und Original-Türen. Den Dreißigjährigen Krieg haben sie erlebt.

Professor Ingo Sass vom Institut angewandte Geowissenschaften der TU Darmstadt besucht die Kleinstadt im Breisgau. Er sammelt Material für einen Fachvortrag. Thema: In Staufen hebt sich die Erde. Jeden Monat bis zu einem Zentimeter. Seit Herbst 2007 macht das über zehn Zentimeter.

"Für mich ist das eine Katastrophe, was momentan in Staufen vorgeht, eine Katastrophe in Zeitlupe."

Die Erde zerreißt die Stadt: Sie staucht die Altstadthäuser, reißt Mauern auseinander, sprengt Böden, spaltet Treppen und Fenster ab, zerbröselt den Putz. Wie bei einem Erdbeben. Es hat aber keins gegeben, sagt Ingo Sass:

"Das Erdbeben können wir ziemlich sicher ausschließen, weil es kein Erdbeben in der fraglichen Zeit gegeben hat. Für unser Institut ist es weitgehend klar, dass die Risse mit den Bohrungen am Rathaus zu tun haben."

140 Meter tief hat die Stadt Staufen gebohrt. Das passiert jedes Jahr 30.000 Mal in Deutschland. Erdwärmeheizungen werden immer beliebter. Dabei wird in das Bohrloch ein Doppelrohr eingebracht. Kaltes Wasser steigt von der Erde erwärmt wieder auf. Eine umweltfreundliche Heizung, günstig und gut.

Die Staufener Reaktion ist einzigartig. Die Ursache vermuten Wissenschaftler in einer Gipskeuperschicht. Sie liegt unter einem Drittel der Fläche von Baden-Württemberg. Nur wenige Gebiete enthalten noch Anhydrid. Kommt Anhydrid mit Wasser in Kontakt, quillt er auf zu Gips. So wie in Staufen: Durch den Bohrkanal - so die These - steigt Grundwasser in die Gipskeuperschicht, die hier Anhydrid enthält. Sie geht auf wie ein Hefeteig, und die Erde hebt sich.

"Wir wissen aus anderen Baustellen in Baden-Württemberg im Gipskeuper, dass Hebungsvorgänge bis zu 30 Jahre und länger angehalten haben und noch andauern."

30 Jahre Hebungen schafft das Haus Hermann nicht mehr. Es ist eines der am schlimmsten betroffenen. Im Flur im ersten Stock zieht der Wind durch die Risse. Die tragende Außenmauer ist durch, sagt Ingo Sass:

"Von der geotechnischen Seite aus glaube ich, dass das Haus ein Totalschaden ist."

Claus Hermann schüttelt den Kopf. Er hat gerade saniert. Eigenhändig. Drei Monate später dann die ersten Risse:

"Ich wollte eigentlich was Schönes für mein Altenteil schaffen. Ich habe auch viel Liebe rein gesteckt, das so zu gestalten - dass wenn jemand rein kommt, der sagen kann: Das hat der Claus Hermann gemacht. Aber okay, ist halt hin."

Neben den Sorgen hat Claus Hermann auch Kosten. In den porösen Schornstein musste er ein Edelstahlrohr einziehen lassen.

"Natürlich auf meine Kosten. Da kommt niemand von der Stadt auf mich zu und sagt: Okay, wir übernehmen die Kosten. Das belief sich auf zweieinhalbtausend Euro."

Keine zehn Meter Luftlinie von Claus Hermann liegt das Bohrfeld, das Epizentrum der Risse. Sechs der umliegenden Gebäude sind mit am schwersten geschädigt. Der Tatort ist abgesperrt, die Löcher mit Kanaldeckeln verschlossen - als wäre nichts geschehen.

Hier ist der Hintereingang zum Rathaus - das Herz der historischen Stadt Staufen. Erbaut im 16. Jahrhundert und vor eineinhalb Jahren frisch saniert. Die uralte Steinwendeltreppe dreht sich aus ihrem Turm heraus. Stufen sind geplatzt, die Spalten im Mauerwerk notdürftig mit Kitt zugeschmiert.

Aus seiner Amtsstube hat Michael Benitz einen Panoramablick über den Marktplatz. Giebelhäuschen, Fensterläden, Kopfsteinpflaster - wie im Bilderbuch. Was man aus der Höhe nicht sieht: 159 Häuser haben Risse, das ist jedes zwölfte Haus. Der Bürgermeister kann nichts dafür, sagen die meisten Staufener. Aber natürlich geht es ums Geld. Stand der Dinge: Wer seine bröselnde Wand verputzen oder wie Claus Hermann den Kamin machen lässt, zahlt selbst.

"Kosmetische Schäden muss momentan, wenn es jemand erforderlich hält, derjenige selber tragen. Der Grund dafür ist, dass es im Moment noch keine rechtliche Verpflichtung dazu gibt."

Auch wenn alle davon ausgehen: Wissenschaftlich und juristisch ist die Ursache der Erdhebungen nicht geklärt. So lange zahlt auch keine Versicherung - wenn überhaupt.
Jetzt soll eine Erkundungsbohrung die Ursachen klären - ausgerechnet.

In der Rathausgasse steht schon wieder ein Bohrturm. Diesmal wird die Bohrung von einem Rohr umschlossen, sodass kein Wasser in den Kanal eindringen kann. Für normale Erdwärmebohrungen wird das Verfahren nicht angewandt, weil es zu teuer ist. Die 300.000 Euro hat das Land Baden Württemberg bezahlt. Robert Breder ist Geschäftsführer der Gruppe Geotechnik aus Kirchzarten:

"In dieser Kernbohrung werden zahlreiche felsmechanische und hydraulische Versuche durchgeführt, um die Ursache für die ablaufenden Quellhebungen genauer zu erkunden - was dann wiederum dazu führen soll, Abwehrmaßnahmen planen zu können."

Die Lösung ist leicht: Das Wasser, das in die Gipskeuperschicht dringt, muss gestoppt werden. Die Hoffnung: Das Wasser abpumpen, damit es nicht weiter aufsteigt.

"Das wäre zunächst eine temporäre Lösung, die uns etwas Zeit gibt, die Maßnahmen zur endgültigen Abdichtung der undichten Stellen zu planen und einleiten zu können. Wenn sich herausstellen sollte, dass Erdwärmesonden undicht sind, dann kann man sich vorstellen, solche Sonden zu überbohren, aber die Technik dazu ist nicht einfach, die gibt es nicht auf dem Markt zu kaufen."

Mit anderen Worten: Zur Zeit weiß niemand, wie man den unterirdische Schaden reparieren kann. Bis man eine Lösung gefunden hat, bewegt sich die Erde unter dem Marktplatz weiter.

"Thema ist das eigentlich immer, gerade eben war es auch eins."
"Wir haben Parkettboden, da fliegen jeden Tag die Hölzle raus. Und insofern hat man schon ein mulmiges Gefühl."
"Ich mache mir Sorgen für das ganze Städtle. Die Leute sind sehr, sehr aufgeregt wegen der ganzen Sache. Es ist nicht auszuschließen, dass die Statik nicht mehr in Ordnung ist, und dass die Leute ausziehen müssen."
"Als ich eine Eigentumswohnung suchte, sagte ein Freund: Doch hoffentlich nicht in Staufen! Jeder weiß es, ich werde von Freundinnen aus Norddeutschland angerufen. Also Staufen erreicht jetzt eine negative Berühmtheit."

Dabei ist das Städtchen im südlichen Schwarzwald ja schon berühmt, weil es so schön ist. 160.000 Menschen übernachten jedes Jahr in der 8000 Seelen-Gemeinde, dazu kommen die Tagestouristen. An einem Donnerstag in der Vorsaison sind sie auf den Straßen unterwegs: Ältere Menschen in Wachsjacken und beigen Hosen, Männer mit Hut und Frauen mit Shoppern am Arm. Das Angebot ist reichhaltig: Mode, Wein, Blumen, Spielwaren - im kleinen Staufen kann man einkaufen wie in einer besseren Kreisstadt.

Jetzt fürchten die Hoteliers um die Gäste. Im Löwen zu Beispiel, der vielleicht bekannteste Herberge der Stadt. Vor knapp 500 Jahren soll hier der historische Faust gestorben sein, das Vorbild für Goethes Drama. Über der Eingangstür: Eine Wandmalerei. Der Teufel hat Johann Georg Faust im Würgegriff. Der Mann, von dem Goethe schrieb, er sei einen Pakt mit Mephisto eingegangen, weil er wissen wollte, was die Welt im Innersten zusammen hält.

Die Gaststube ist holzvertäfelt. Wirtin Edeltraud Barthel setzt auf Tradition:

"Wir sind jetzt in der historischen Faust-Stube. Die historische Faust-Stube wurde eingerichtet Ende des vorletzten Jahrhunderts, nachdem man sich entschlossen hat, zu Faust zu stehen. Viele Jahrhunderte lang wurde das Faust-Thema von den Wirten und der Stadt nur hinter vorgehaltener Hand erzählt, weil man um den Ruf des Hauses gefürchtet hat."

Heute zieht sich ein Faust-Fries über die Frühstückstische. In sechs Bilder erzählt er die Geschichte: Für die Herren von Staufen soll der Alchimist Faust Gold machen. Im zweiten Stock unter dem Dach kommt das dicke Ende:

"Jetzt sind wir in dem berühmten Zimmer Nummer fünf. Man erzählt sich, er war wohl ein ausgesprochener Nachtarbeiter und wollte dann auf sein Zimmer gehen und ein paar Experimente machen. Und plötzlich hat es einen riesigen Knall gegeben . Und also das, was die da vorgefunden haben, war wahrscheinlich schon ein riesiges Tohuwabohu. Und im Zeitalter der Inquisition und Hexenverfolgung war die Sage mit dem Teufel schnell geboren, weil eine chemische Explosion damals nicht bekannt war."

Darum heißt Staufen heute Fauststadt. Den Beinamen Rissestadt hört Edeltraud Barthel nicht gern. In letzter Zeit beobachtet sie nämlich eine ganz besondere Spezies:

"Rissetouristen, das ist was Tolles. Das ist immer ein Mann, deutet mit großen Gesten die Fassaden entlang, und hintendran mindestens eine Ehefrau mit bis zu sechs Personen, die ihn bewundernd beschauen, wie er die Risse erklärt: 'Schau mal, das ist auch so ein Riss - oooh, toll'. Aber das ist nicht das übliche Staufener Publikum, die trinken nicht mal eine Tasse Kaffee in Staufen, die kommen, gucken und gehen wieder."

Die Wirtin Barthel macht sich Sorgen um ihre zahlenden Gäste:

"Weil die Presse nicht immer sachlich berichtet, sondern oft auch sehr aufreißerisch, und das schadet uns natürlich. Also wir haben ganz konkret nach einem Fernsehbericht Absagen bekommen von Gästen, die schon gebucht hatten, weil es reißerisch und unsachlich war."

Da heißt es dann: Besuchen sie Staufen, so lange es noch steht. Edeltraud Barthel rollt entnervt die Augen:

"Wenn man sich den Marktplatz vorstellt, dann kommt ganz rechts das Rathaus, dann kommt das Café mit mehreren Mietwohnungen und dann der Löwen. Und durch die Verschiebungen der Bodenplatten wandert das Rathaus mit dem Café weg, und wir bleiben stehen. An genau dieser Stelle, wo wir mit dem Nachbarhaus zusammen gebaut sind, haben wir sehr starke Schäden. Und jetzt eben diese Woche wurde das Haus einfach vom Nachbarhaus abgelöst. Somit haben wir jetzt, glaube ich, recht wenig Probleme."

Die Ablösung zahlt übrigens die Stadt. Wenn die Statik der Häuser bedroht ist, tritt sie in Vorlage, bis die rechtliche Situation geklärt ist. Auch wenn die endgültigen Kosten niemand absehen kann - Schätzungen gehen von einem zwei, maximal dreistelligen Millionenbetrag aus. Viel zu viel für einen 20-Millionen-Euro-Haushalt, sagt Benitz:

"Wir wissen nicht, woher das Geld irgendwann kommt. Die Stadt Staufen wird, wenn sich Ansprüche gegen sie richten würden - und die würden juristisch durchsetzbar sein, also mit anderen Worten: Es wird der Nachweis geführt, dass die Sondenbohrungen Schuld sind - dann sind wir ja Bauherr … Die Stadt Staufen wird die Schadensersatzansprüche aber nicht befriedigen können, weil wir wirtschaftlich dazu nicht in der Lage sind. Also werden wir Hilfe brauchen. Ob es da einen Hilfsfond geben wird, wie wir das alles auf die Beine stellen können, da gibt es Gespräche mit dem Land Baden-Württemberg."

Offiziell ist noch nichts entschieden. Inoffiziell signalisieren Mitarbeiter des Baden-Württembergischen Wirtschaftsministeriums: Wir lassen die Staufener nicht im Stich.
Die Hilfsmaßnahmen laufen bereits. Derzeit lässt die Stadt jede Woche die Gebäudesicherheit von Markus Hauer überprüfen. Heute im Rathauscafé, dem Haus zwischen Löwen und Rathaus.

Der Riss geht von der Kuchentheke durch den Gastraum bis zur Damentoilette. An der Kelletreppe wartet die Inhaberin Claudia Wölfle. Zwei französische Journalisten sind auch da. Markus Hauer beugt sich über die Treppe. Die Wange hat sich von der Wand gelöst. Treppe und Haus sind sicher, sagt der Ingenieur, und zwar überall:

"Wir haben hier in Staufen keine Standsicherheitsgefährdung. Sämtliche Gebäude, die starke Risse aufweisen, sind von uns begutachtet worden. Es gibt eine exakte Risskartierung, sodass wir rechtzeitig Sicherheitsmaßnahmen durchführen können."

Provisorische Sicherheitsmaßnahmen. Wie lange halten die?

"Ich schließe die Risse immer wieder, einfach, dass auch die Sicherheit gewährleistet ist. Es ist ja auch so, dass die Fliesen so ein bissl uneben sind. Und dann kommen die Gäste rein und stolpern über diese Risse, das ist nicht schön. Das macht sehr viel Zusatzarbeit. Täglich entsteht immer wieder irgend etwas. Die Damentoilette kriege ich nicht mehr geschlossen. Jetzt ist der Punkt da, dass da jetzt eine ganz neue Türe rein müsste. Macht man das, ist die innerhalb von 14 Tagen wieder so verzogen."

Was, wenn die Hebungen weiter gehen?

"Dann müsste man Bodenplatten unter die Gebäude reinziehen und Keller ausbilden, und derartige Maßnahmen wurden auch schon umgesetzt. Wir wissen aber, dass diese Maßnahmen technisch aufwändig sind und finanziell ebenso sehr aufwändig werden."

Mit einem Betonfundament könnten die denkmalgeschützten Häuser die Hebungen aushalten. Das ist zwar teuer, aber im schlimmsten Fall ist die Rettung der Staufener Altstadt dann eine Kostenfrage.

Hauer: "Bevor man hier eine Bodenplatte bräuchte, kann man mit vertretbaren Baubehelfen mit Sicherheit noch die nächsten zwei Jahre überbrücken."

Wölfle: "Zwei Jahre hält mein Ladenmobiliar das nicht mehr aus. Es regt mich auf, und es macht mir Sorgen. Es ist meine Existenz, ich habe fünf Angestellte, das ist dann die Existenz von meinen Angestellten. Und ich bin gerne hier in Staufen, ich möchte nicht gehen. Und nicht aus so einem Grund."

Markus Hauer klemmt sich seine Aktenmappe wieder unter den Arm. Während die Staufener sich um ihre Häuser sorgen, diskutieren Fachleute, ob die Katastrophe vermeidbar war. Ingo Sass vom Institut für angewandte Geowissenschaften an der TU Darmstadt:

"In Staufen handelt es sich um ein kritisches Gebiet für Erdwärmebohrungen. Wir sind auf der Grabenrandverwerfung des Oberrheingraben, das gilt auf Grund der starken tektonischen Störung als problematisch für Erdwärmebohrungen. Wir haben zweitens das Problem des Gipskeupers. Wir haben drittens den starken Verdacht, dass unter dem Gipskeuper irgendwann verkastete Gesteine kommen. In diesen verkasteten Gesteinen strömt Grundwasser sehr stark, was in Verbindung mit dem Gipskeuper dann natürlich nicht besonders gut ist. Und wir haben dann hier noch latent die Gefahr, dass es artesisches Grundwasser gibt.

Von diesen vier Wirkmechanismen sind zumindest drei nach den amtlichen Karten bekannt gewesen. Wir können an dieser Stelle nicht beurteilen, ob daraus falsche Schlüsse gezogen wurden oder ähnliches. Normalerweise ergeht in so einem Fall eine Einzelfallgenehmigung durch die Bergbehörde mit entsprechenden Auflagen."

Im Zweifelsfall, so Sass, hätte man hier nicht bohren dürfen. Clemens Ruch vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau:

"Die geologischen Gegebenheiten in Staufen werden bei uns anhand der uns vorliegenden geologischen Grundlagen geprüft. Es wurde fest gestellt, dass man im Bereich von Staufen im Untergrund Gipskeupergesteine antreffen wird. Aber wir haben bisher nur die Hinweise gehabt, dass diese Gipskeuper im Umfeld dieser Erdwärmesondenbohrungen im ausgelaugten Zustand vorliegen. Das heißt also: Dass dort noch ein nicht ausgelauter Gipskeuper mit Anteilen von Anhydrid und Gips vorhanden wäre, war bis zum Zeitpunkt dieser Erdwämebohrungen nicht bekannt."

Was war, wird juristisch geklärt. Die Antwort könnte über die Zukunft der Boombranche Geothermie entscheiden. Einige Projekte sind bereits gestoppt. Ingo Sass hält Erdwärme dennoch für sicher:

"Mit einer entsprechenden Sorgfalt in der Vorbereitung und der Planung können die Risiken sehr minimiert werden, dass die Geothermie nach wie vor eine sichere Abgelegenheit bleibt."

Für das Land Baden Württemberg hat Clemens Ruch bereits Konsequenzen gezogen:

"Es gibt für uns im Augendblick ein Datum vor Staufen und ein Datum nach Staufen. Wir haben daraus für uns als Konsequenz abgeleitet, dass wir fürderhin nicht mehr tiefer als den sogenannten Gipsspiegel bohren lassen."

Dann aber sicher. So wie die Kernbohrung. Auf die richten sich jetzt alle Hoffnungen: Wird sie das Rätsel aus dem Untergrund ans Tageslicht bringen? Am besten, die Löwen-Wirtin Edeltraud Barthel behielte am Ende Recht:

"In fünf bis acht Jahren wird das Geschichte sein. Und es wird wahrscheinlich in irgendwelchen Prospekten auch noch mal erwähnt werden, wie Doktor Faust, wie die Badische Revolution hier in der Hauptstraße - und neuzeitlich die Geothermie, die einfach in die Hosen ging."