Erdbebenfester Schriftsteller

Von Tobias Wenzel |
Paul Cleave ist durch seine Krimis in Deutschland bekannt geworden. In seiner Heimatstadt Christchurch in Neuseeland kann er aber immer noch unerkannt durch die Straßen gehen. Er will dort bleiben - trotz eines gewaltigen Erdbebens im Jahr 2011, das die Innenstadt zerstörte.
Paul Cleave, ein freundlicher und unkomplizierter schlanker Man mit markanten Wangenknochen und einem dunklen Dreitage-Bart, fährt in seinem in die Jahre gekommenen weißen Sportwagen durch Christchurch. Der 37-jährige Autor von Kriminalromanen bietet seinem Gast aus Deutschland eine Sightseeing-Tour der traurigen Art:

"Da vorne ist alles abgesperrt. Hier standen auch Gebäude. Und da war ein Haus. Das ist schon seltsam: Manchmal erkennt man nicht mal mehr ein intaktes Gebäude, weil man es früher nur neben anderen Häusern gesehen hat. Jetzt ist alles aus dem Kontext gerissen."

Auswirkungen des verheerenden Erdbebens vom Februar 2011. An vielen Ecken sieht man nun Schiffscontainer. Mal sollen sie, aufgetürmt an den Flanken eines Gebäudes, das Haus vorm Einstürzen bewahren. Mal werden diese Container selbst zu provisorischen Behausungen und beherbergen Geschäfte, Cafés und Restaurants. Paul Cleaves Krimis spielen alle in seiner Geburtsstadt Christchurch. Aber das große Erdbeben klammert er darin ganz bewusst aus, er möchte die Stadt, auch in seinen neuen Büchern, intakt belassen. Wobei "intakt" nicht heißt: frei von brutalen Morden. Gleich eine Reihe davon gibt es in Cleaves neuem Krimi "Das Haus des Todes". Und das in einem Land, mit dem viele Menschen friedlich grasenden Schafe verbinden:

"Christchurch war immer schon die neuseeländische Hauptstadt des Verbrechens. Früher gab es hier aber nicht so viele Morde. In meinen Büchern habe ich die schlimmsten Seiten der Stadt noch schlimmer gemacht. Als 2006 mein erstes Buch 'Der siebte Tod' erschien, beschwerten sich einige: Christchurch sei doch gar nicht so schlimm! Über die Jahre ist allerdings der Graben zwischen meinen Büchern und der Wirklichkeit kleiner geworden. Und wenn ich jetzt schreibe, komme ich kaum noch mit der Wirklichkeit mit. Das ist schon traurig."

Paul Cleave hat sein Auto am Avon River geparkt. In den letzten Jahren wurden einige Prostituierte in eben diesem Fluss ermordet aufgefunden. NIcht in Cleaves Krimis, sondern in der Realität. Unweit dieses Tatorts steht Cleave vor einer hohen Absperrung. Weiter darf keine Privatperson in die zerstörte Innenstadt vordringen. Und das seit eineinhalb Jahren:

"Das überrascht mich jetzt doch: Was hier alles verschwunden ist! Seit dem Erdbeben war ich nicht mehr hier. Ich habe dahinten um die Ecke gearbeitet. Aus dem Fernsehen habe ich erfahren, dass das Gebäude durch das große Erdbeben komplett zerstört wurde. Ich habe in dem Haus sieben Jahre lang Elektronikware verkauft. Sieben Jahre meines Lebens habe ich in diesen Straßen verbracht!"

Mit 24 kündigte Paul Cleave seinen Job und restaurierte stattdessen sein eigenes Haus. Das verkaufte er dann mit Gewinn, um sich danach ein größeres renovierungsbedürftiges Haus zu kaufen und so weiter. Bis zum Einbruch des Immobilienmarktes. Zum Glück hatte Cleave da schon als Krimiautor erste Erfolge. Vor allem in Deutschland. In keinem anderen Land der Welt hat er so viele Leser. In Deutschland ist er ein kleiner Star, in seiner Heimat dagegen ein Unbekannter. Und so kann er völlig ungestört in seinem Haus am Rande von Christchurch an seinen Krimis arbeiten, wenn er nicht gerade Freunde besucht, golft oder sich seiner Spiele-Konsole widmet. Zweimal allerdings hatte Cleave Todesängste in seinem Haus. Bei dem fatalen Erdbeben im Februar 2011 und dem Beben im September davor:

"Beim ersten Mal war ich zu Hause mit meiner Freundin. Es war, als würde ein Zug auf mein Haus zurasen. 40 lange Sekunden hat das gedauert. Das war das September-Beben. Beim Februar-Beben - da war ich nicht mehr mit meiner Freundin zusammen - saß ich allein im Arbeitszimmer, rannte, so schnell ich konnte, aus dem Haus und wartete darauf, dass es einstürzt. Aber das tat es nicht."

Trotz der Erdbeben kann sich Paul Cleave keinen anderen Wohnort als Christchurch vorstellen. Er liebt sein Leben in der englischsten Stadt Neuseelands. In der gibt es seit dem großen Erdbeben mehr Zusammenhalt unter den Bewohnern:

"Was wirklich toll war: zu sehen, wie die Menschen in den Tagen nach dem Beben zusammenkamen, um anderen zu helfen. Das war großartig. Aber einige haben auch Geschäfte geplündert. Sie haben sogar die Sicherheitsausrüstung von den Rettungseinheiten gestohlen, während die Leichen aus den Trümmern zogen. Diese Diebe sind verhaftet worden. Ansonsten hätten die Leute sie auch gelyncht. Wir hätten sie zu Tode geprügelt. Das alles hat also das Beste und das Schlimmste in uns Menschen hervorgeholt."

Von seinen Eltern hat Paul Cleave nur Gutes mitbekommen, sagt er. Auch die Begeisterung für Bücher. Der Vater, ein Arbeiter in einer Teppich-Fabrik, und die Mutter, eine Hausfrau, ermutigten ihren Sohn, als er zu schreiben begann:

"Wenn ich schreibe, denke ich immer daran, dass das meine Eltern lesen. Deshalb gibt es keine Sexszenen in meinen Thrillern. Wenn ich ein Buch mit vielen Sexszenen schriebe und meine Mutter das läse! Sie ist allerdings vor einem Jahr gestorben. Aber mein Vater ist noch da. Wenn er allerdings mal tot ist, dann schreibe ich einfach nur noch, was ich möchte."
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