Erdbebensicher Bauen
Japan macht es vor: erdbebensichere Kuppelhäuser in der japanischen Präfektur Kumamoto. © Getty Images / NurPhoto / Richard Atrero de Guzman
Welche Häuser halten starken Erschütterungen stand?
Nach dem verheerenden Erdbeben im Südosten der Türkei und in Teilen Syriens wird wieder gefragt, welche Schuld eine nachlässige Baupolitik hat - und wie Gebäude erdbebensicher gebaut werden können. Gute Vorbilder gibt es in Japan.
Es waren nicht die ersten schweren Erdbeben im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien. Die Region ist seismisch sehr aktiv. Mehrere Erdplatten treffen dort aufeinander, der so entstehende Druck entlädt sich immer wieder, wenn er zu groß wird. In solchen gefährdeten Gebieten muss anders geplant und gebaut werden, damit die Häuser standhalten, wenn die Erde bebt.
Warum ist die Region besonders erdbebengefährdet?
"Die Dynamik der Plattentektonik in der Gegend war bekannt", sagt Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Uni Siegen. Dort kämen einige Platten zusammen, zum Beispiel die Anatolische und Arabische Platte. Anerkannt sei, dass sich viele Platten bewegen und enorme Spannungen aufbauen: "Überschreiten diese Spannungen die Gesteinsfestigkeit, entladen sie sich ruckartig."
Die Einschätzungen zu Erdbebenrisiken in der Türkei sind 2013 sogar nach oben korrigiert worden. "Es war daher leider nur eine Frage der Zeit, wann sich solche Erdbeben ereignen", sagt Messari-Becker. Was die Schäden angeht, kommt es wesentlich auf die Verletzlichkeit betroffener Zonen und Städte an, die Untergrundbeschaffenheit, die Fundamentierung und Bauweise der Gebäude, die Bebauungsdichte, die Katastrophenvorsorge und Ad-hoc-Rettungsmaßnahmen, sagt sie.
Welchen Anteil hat die türkische Baupolitik an der Katastrophe?
Die Türkei erlebte bereits 1999 eine Erdbeben-Katastrophe, doch das hat keinen großen Eindruck auf die Politk gemacht. Bauexperten sehen große Versäumnisse in der türkischen Bauaufsicht. Zwar bestreitet Präsident Recep Tayyip Erdogan jede staatliche Verantwortung für die immensen Schäden und vielen Toten, doch zahlreiche Experten – Architekten, Stadtplaner, Ingenieure – sind da anderer Meinung.
Das Beben ist vollkommen absehbar gewesen und die Behörden sind jahrelang gewarnt worden, dass diese Region schleunigst erdbebenfest gemacht werden müsse, aber niemand hat reagiert, sagt der prominente Erdbebenforscher Naci Görür.
Die Kritiker werfen der Regierung Erdogan eine leichtsinnige und habgierige Baupolitik vor: Sie habe Flughäfen und Krankenhäuser gegen wissenschaftlichen Rat auf Verwerfungslinien - Zerreiß- und Bruchstellen im Gestein - gebaut, öffentlichen Boden privatisiert, Rettungswege und Versammlungsplätze zugunsten von Einkaufszentren abgeschafft.
Vor allem, so die Kritik, hat sie die Augen vor dem verbreiteten Pfusch am Bau verschlossen – und dafür Geld genommen. Vor fünf Jahren gab es eine Amnestie für Millionen illegaler Bauten, das sogenannte „Gesetz für den Baufrieden“. Landesweit meldeten sich 13 Millionen Hausbesitzer, die insgesamt umgerechnet drei Milliarden Euro in die Staatskasse zahlten, um ihre Bauten zu legalisieren.
Vergeblich protestierte die Berufskammer der Stadtplaner gegen die Amnestie. Auch in den jetzt vom Erdbeben zerstörten Provinzen wurden zehntausende Häuser legalisiert.
Können sich nur reiche Länder erdbebensicheres Bauen leisten?
"Es gibt keine absolute Sicherheit", schränkt der Urbanist Mark Kammerbauer ein. Aus der Disziplin des Bauens und des Planens gebe es das Stichwort "Anpassung", aber wenn die Ressource Geld fehlt, sei es sehr schwierig, die vorhandenen Häuser an die Risiken anzupassen: „Man muss mit dem arbeiten, was da ist.“ Der Knackpunkt sei, dass diese Risiken wiederholt eintreten könnten.
Japan hat sehr viele Erfahrungen mit Erdbeben und ist ein tolles Beispiel, wie man Gebäude baut, die den Erschütterungen trotzen können, sagt Kammerbauer. Ärmere Länder seien allerdings auf Hilfe reicher Nationen angewiesen.
Was machen die Architekten in Japan anders?
Kaum ein anderes Land der Welt ist so erdbebengefährdet wie Japan, wo vier Kontinentalplatten aufeinandertreffen. Doch anders als in der Türkei und in Syrien bleibt in Japan selbst bei schweren Erschütterungen meist alles stehen – dank spezieller Bauvorgaben und befristeter Lizenzen für Architekten, die alle drei Jahre zur Erdbeben-Schulung gebeten werden.
Das letzte große Gesetz zum erdbebensicheren Bauen in Japan wurde 1981 erlassen. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte lieber in einem danach genehmigten Haus wohnen, sagt der deutsche Architekt Florian Busch, der schon lange in Japan lebt.
Es gibt dort je nach Gebäude verschiedene Kategorien für erdbebensicheres Bauen. Tragwerkstechnische Elemente werden zum Beispiel etwas dicker gebaut, erklärt Busch. Dann gibt es Bauteile, die wie eine Art Stoßdämpfer wirken, das sind etwa diagonale Verstrebungen, die sich bewegen können: „Das heißt, der Rest des Gebäudes kann relativ leicht gebaut werden.“ Bei Hochhäusern wird oben eine schwere Stahlkugel installiert, die sich bewegt: „Dadurch werden die Schwingungen von dem Erdbeben von dem Gebäude entkoppelt“, sagt Busch.
In der kostspieligsten Kategorie werden durch eine Art schwimmende Unterlage die Erdbebenwellen nicht so stark weitergeleitet, das Gebäude ist damit seismisch isoliert.
Solide Bodenverankerung
Eine zentrale Rolle spielt außerdem die solide Bodenverankerung, damit es nicht zur sogenannten Bodenverflüssigung kommt, was in der Türkei und in Syrien möglicherweise passiert sei, erklärt Busch: „Ich kann noch so toll oben was bauen, wenn mir unten der Boden weggeschwemmt wird. Deswegen muss ich immer so weit runtergehen, wie die Dimension des Gebäudes es verlangt, damit es auf einem festen Grund steht.“
Eine Garantie, dass bei einem Beben alles stehen bleibt, gibt es natürlich auch in Japan nicht. Innerhalb der nächsten 20 Jahre wird am Nankai-Graben mit einem schweren Erdbeben gerechnet. Dann könnten im Großraum Tokio bis zu 200.000 Gebäude beschädigt werden. Allerdings: Je später das Beben kommt, desto mehr Häuser dürften stehen bleiben, weil immer besser und viel gebaut wird. Ein Haus steht in Japan im Durchschnitt 26 Jahre.
(Quellen: scr, dpa, Deutschlandradio)