Krise im Erdbeeranbau

Warum Bauern ihre Erdbeeren vernichten

06:49 Minuten
In einem Erdbeerfeld knien Arbeiter zwischen den Erdbeerreihen und pflücken die Früchte. Im Vordergrund hat ein Mann mehrere Körbe mit Erdbeeren in kleinen Schalen vor sich stehen.
Ein Erntehelfer bei der Arbeit, hier auf einem Feld an der Ostsee. In der Branche ist der Lohn ein erheblicher Kostenfaktor. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Jens Büttner
Von Felicitas Boeselager · 09.06.2022
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Eigentlich ist gerade Erdbeerzeit. Doch manche Landwirte vernichten ihre Früchte derzeit lieber als die Ernte einzufahren. Eine Recherche zu den Hintergründen.
Erdbeerbauer Klaus Langen sitzt auf einem Gartenstuhl auf seinem Hof in Kerpen Buir im Rheinland. „Mein Beruf ist draußen in der Natur, ich will mit der Pflanze arbeiten“, sagt er. „Die spricht mit mir und gibt mir Kraft. Wenn ich sehe, dass es wächst, dann wächst es in mir mit. Das ist eine Leidenschaft. Das kannst Du nicht erlernen. Dieses grüne Gen trägst Du in Dir, oder nicht. Das ist unser Leben. Die Erdbeere und der Spargel – überhaupt der Obstanbau ist unser Leben.“
Langen erzählt, dass seine Familie schon seit Jahrhunderten Obst anbaut. Er hat den Betrieb von seinem Vater übernommen. Auch seine Frau kommt aus einer Obstbauernfamilie. Auf circa 50 Hektar wachsen ihre Erdbeeren und Spargel. Sie vermarkten sie in ihrem eigenen Hofladen, auf einem Wochenmarkt, aber auch über den Handel.

Viel Angebot und weniger Nachfrage

Obwohl der 54-Jährige findet, dass er den besten Job der Welt hat, bereitet er ihm und seiner Frau in den vergangenen Monaten einigen Kummer.

"Bedingt durch die Ukraine-Krise hatten wir dieses Jahr sehr hohe Öl- und Energiepreise. Da hat der Verbraucher gesagt: 'Mir fehlen bei einer vierköpfigen Familie am Ende des Monats 200 bis 300 Euro.' Und wo spart der Deutsche am liebsten? An Obst und Gemüse. Das sind am ehesten die Erdbeeren und der Spargel, die doch noch als relativer Luxus gesehen werden."

Obstbauer Klaus Langen

Zwar herrscht gerade bestes Erdbeer-Wetter. Durch viel Sonnenschein sind die Felder der Obstbauern voll mit roten, süßen Früchten. So ist das Angebot höher als die Nachfrage.
Hinzu komme die Macht des Handels, erklärt Bernhard Rüb von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Die Discounter stehden untereinander im starken Wettbewerb, deswegen haben sie ein Interesse daran, möglichst billig einzukaufen - also aus dem Ausland:
„Deswegen gab es in diesem Jahr länger Import-Erdbeeren aus Spanien, als das sonst üblich ist, vor allem bei diesem schönen Wetter. Das heißt: Ein qualitativ hochwertiges Angebot aus dem Inland trifft auf eine reduzierte Nachfrage. Das führt zwangsläufig dazu, dass die Preise purzeln.“

Zehn Hektar Erdbeeren umgepflügt

Weil Erdbeeren nicht mit Maschinen gepflückt werden können, brauchen Erdbeerbauern viel Personal zum Ernten. Das heißt, dass die Personalkosten hoch sind. Weil die Löhne beispielsweise in Spanien aber niedriger sind als in Deutschland, können die dortigen Bauern ihre Erdbeeren billiger verkaufen. So günstig, dass sogar die gestiegenen Spritpreise für den Transport in die deutschen Supermärkte nicht ins Gewicht fallen.
So wächst der Druck auf die deutschen Landwirte, die mit diesen Preisen nicht mithalten können, aber ihre Ware schnell verkaufen müssen, weil sie sonst schlecht wird.

"Die Ware staut sich beim deutschen Hersteller auf, während die Billigprodukte in den Regalen stehen. Somit werden unsere Produkte nicht abgenommen. Sobald die Angebote durchgelaufen sind, haben wir in der Folgewoche Angebotsstau. Das zwingt uns, unsere hochwertig produzierten Erdbeeren zu Ramschpreisen anzubieten. Diese Preise waren so unterirdisch, dass ich mich sofort entschieden habe, zehn Hektar - eine Riesenfläche! - unterzupflügen. Es muss an dieser Stelle auch mal Klartext gesprochen werden."

Obstbauer Klaus Langen

Langen hat daher zehn Hektar Erdbeeren zerstört. Hätte er sie pflücken lassen, hätte er ein noch größeres Verlustgeschäft gemacht, erklärt er: Eine Schale Erdbeeren koste ihn in der Herstellung im Schnitt 1,25 bis 1,35 Euro. Der Discounter habe ihm dieses Jahr aber nur 1,15 Euro dafür geboten.
Mit den Kosten für seinen Vermarkter, wären Langen am Ende 85 Cent geblieben.

Preisdruck im Erdbeeermarkt

"Es ist ein Jammer um die schönen Früchte. Wir können nicht ein Jahr lang unsere schönen Früchte pflegen und hegen und hinterher sollen wir die noch unter Erntekosten abgeben müssen", sagt der Obstbauer.
Man kann die Erdbeeren aber auch nicht einfach ungeerntet auf den Feldern lassen, dann schimmeln sie und ziehen Schädlinge an. Anders ist das beim Spargel, der kann durchwachsen und so Nährstoffe fürs kommende Jahr sammeln.
In dieser Woche sind die Preise für die Erdbeeren wieder etwas gestiegen, für Langen ist das aber zu spät, sagt er. Er hofft, dass er in diesem Jahr kein Minus macht, mit Gewinnen rechnet er nicht mehr.

Erzeugerverband hofft auf Verbraucher

Viele seiner Kollegen wollten ihre Anbaufläche nun verkleinern, erzählt Peter Muß vom Provinzialverband Rheinland – einer Interessensvertretung der Obst- und Gemüsebauern: „Wir müssen tatsächlich davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren eine Reihe von Kulturen aus dem heimischen Anbau verschwinden werden, insbesondere die Kulturen, die einen hohen Arbeitsaufwand per Hand benötigen. Das ist vor allem auch das Beerenobst.“
Was man dagegen tun kann? Politisch nur sehr wenig, befürchtet Muß: „Die Verträge innerhalb der EU, aber auch mit anderen Staaten, lassen die Abschottung des Marktes – wie es beispielsweise in der Schweiz ist – nicht zu.“
Außerdem befürchten die deutschen Obstbauern, dass der Preisdruck noch mehr steigen wird, wenn der Mindestlohn im Sommer auf zwölf Euro erhöht wird. Deshalb hängt viel von den Verbrauchern ab, sagt Muß: „Als Verbraucher kann man nur auf regionale Herkünfte zurückgreifen und auch bereit sein, tatsächlich den höheren Preis zu zahlen – um den heimischen Anbau zu fördern.“ Ob mit einem Besuch im Hofladen, beim Wochenmarkt, oder im Supermarkt.

Ringen mit den Handelspartnern

Obstbauer Langen versucht trotzdem zuversichtlich auf die kommenden Jahre zu blicken: „Das Gute ist: Generationen vor mir haben schon ganz andere Probleme gelöst. Mein Sohn Alexander ist 24 und hat Agrarwissenschaften studiert. Der glüht und brennt für seinen Beruf – so wie ich früher geglüht habe. Und mit Blick auf seine Zukunft werden wir weiterhin kämpfen. Aber wir müssen sehen, dass wir mit unseren Handelspartnern wieder auf Augenhöhe kommen.“
Denn letztlich wollen auch die Discounter Erdbeeren und Spargel aus der Region anbieten können.
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