Erderwärmung

Das Hoffen auf das Unmögliche hilft nicht

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Eine Illustration zeigt einen Kopf mit zugehaltenem Mund, einen mit zugehaltenen Augen und einen anderen mit zugehaltenen Ohren nebeneinander.
Wenn wir die Angst ausblenden, beschwören wir das herauf, was wir am meisten fürchten, so Sieglinde Geisel. © imago images / Ikon Images / Harry Haysom
Ein Kommentar von Sieglinde Geisel · 25.07.2019
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Menschen tun alles, um nicht an den Tod zu denken: Diese These der Terror-Management-Theorie lasse sich auf die Erderwärmung übertragen, meint die Journalistin Sieglinde Geisel - wir blenden die verheerenden Folgen unseres Handelns einfach aus.
Es ist eine der paradoxen Eigenschaften von uns Menschen: Wir haben die Tendenz, uns dümmer zu benehmen, als wir sind. Dass wir Treibhausgase in die Atmosphäre blasen, habe ich schon vor 40 Jahren in der Schule gelernt. Schon damals wunderten wir Gymnasiasten uns darüber, dass die Erwachsenen nichts dagegen tun.
Wenigstens gab es damals noch niemanden, der uns weismachen wollte, dass es den Klimawandel nicht gebe, und falls doch, dass es ihn schon immer gegeben habe und man sowieso nichts machen könne. Damals sorgten wir uns um das Waldsterben und das Ozonloch. Die Erwachsenen taten dann doch etwas, und es hat genützt.

Von Erderhitzung zu sprechen, wäre wirkungsvoller

Heute treffen die Prognosen ein, die wir damals gelernt haben. Und doch ist Fliegen immer noch billiger als Bahnfahren, und immer noch schippern Kreuzfahrtschiffe durch die Weltmeere und SUVs durch unsere Straßen. Immer scheint es etwas zu geben, das wichtiger ist, als das Fortbestehen unserer Gattung, seien es Arbeitsplätze oder die kleinen Freiheiten: Man wird doch wohl noch in den Urlaub fliegen dürfen!
Man kann es drehen, wie man will: Der heißeste Juni der Geschichte ist kein Wetter mehr, sondern Klimawandel, und auch das stimmt nicht, denn es ist kein floskelhaft alltäglicher Wandel wie in "Wandel der Zeiten".
Würden wir nicht mehr von Klimawandel reden, sondern von Erderhitzung, würden wir dabei jedes Mal ins Schwitzen geraten, und wir wären gezwungen, an das zu denken, was uns droht. Doch das ertragen wir nicht, und deshalb wollen wir auch nicht auf Flugreisen, Kreuzfahrten, SUVs und unser täglich Fleisch auf dem Teller verzichten.

Unsere Sterblichkeit bestimmt unser Handeln

Wir machen weiter wie bisher – um nicht daran denken zu müssen, was geschieht, wenn wir weitermachen, wie bisher. Wir tun es gerade deshalb, weil wir die Folgen unseres Tuns so sehr fürchten. Dies ist die These der "Terror Management Theory": Seit den 1980er-Jahren erforscht diese psychologische Richtung unseren Umgang mit dem Tod, beziehungsweise unseren Nicht-Umgang.
Der Mensch muss sterben, wie jedes andere Lebewesen auch, doch im Unterschied zu allen anderen Lebewesen wissen wir darum. Der Tod ist das Einzige, was uns in unserem Leben sicher ist, er ist uns, buchstäblich, "todsicher".
Alles, was wir Menschen tun, so die "Terror Management Theory", tun wir letzten Endes, um nicht an den Tod denken zu müssen. Um unserer symbolischen Unsterblichkeit willen bauen wir Kathedralen, gründen Firmen, bekommen Kinder, schreiben Sinfonien.

Angst vor der Angst mit verheerenden Folgen

Ist es ein Zufall, dass Investoren sich gerade heute für "Immortality" zu interessieren beginnen? Es geht bei diesen Unsterblichkeitsprojekten beispielsweise um die Korrektur von genetischen Defekten. Es ist vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, bis uns der 3D-Biodrucker bei Bedarf neue Nieren, Lebern und Herzen liefert.
Und wenn der physische Tod ganz am Ende doch nicht mehr zu verhindern ist, hofft man auf den Upload unseres Gehirns – die digitale Unsterblichkeit. Und sei es das Blaue vom Himmel – wir tun alles, um der Todesangst zu entgehen. In der Politik kann dieser Reflex verheerende Folgen haben. Was wir wirklich fürchten sollten, ist die Angst vor der Angst. Denn wenn wir die Angst ausblenden, beschwören wir das herauf, was wir am meisten fürchten.
"I want you to panic", rief Greta Thunberg in Davos den Entscheidern dieser Erde zu. Mut zur Angst also, denn nur die Angst wird uns dazu bringen, die Gefahr endlich ernst zu nehmen.

Sieglinde Geisel, 1965 im schweizerischen Rüti/ZH geboren, studierte in Zürich Germanistik und Theologie. 1988 zog sie als Journalistin nach Berlin-Kreuzberg, von 1994 bis 1998 war sie Kulturkorrespondentin der "NZZ" in New York, von 1999 bis 2016 in Berlin. Sie arbeitet für verschiedene Medien als Literaturkritikerin, Essayistin und Reporterin. An der FU Berlin hat sie einen Lehrauftrag für Literaturkritik, an der Universität St. Gallen gibt sie Schreibworkshops für Doktoranden. Buchpublikationen: "Irrfahrer und Weltenbummler. Wie das Reisen uns verändert" (2008) und "Nur im Weltall ist es wirklich still. Vom Lärm und der Sehnsucht nach Stille" (2010).

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