Mehr Klimagerechtigkeit, bitte!
Die Menschheit ist schuld am Klimawandel, oder? Eigentlich stimmt das nicht: Zumindest ist die Schuld auf der Welt ziemlich ungleich verteilt. Auch die Folgen treffen nicht alle in gleicher Härte. Ein Plädoyer für mehr Klimagerechtigkeit.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden Naturkatastrophen als Strafen Gottes für die Sünden der Menschen gedeutet. Das wissenschaftliche Weltbild verdrängte im Zuge der Aufklärung zwar die Vorstellung, dass Erdbeben und Überschwemmungen auf göttliche Einwirkung zurückgingen. In Anbetracht von Umweltzerstörung und Klimawandel kehrte dann aber ein ähnliches Bild von menschlicher Schuld und gerechter Strafe zurück: Das Konzept einer Rache der Natur, das für die moderne Ökobewegung prägend war. Nach den Unwettern der letzten Wochen diente es in den Massenmedien als Deutungsmuster. "Schlägt jetzt die Natur zurück?", fragte die "Bild"-Zeitung. Viele Medien werteten die Starkregenfälle und Gewitter als Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels. Sind wir also selbst schuld am Katastrophenwetter?
Kausaler Zusammenhang nicht belegbar
Zu Recht wird von Experten darauf hingewiesen, dass sich ein kausaler Zusammenhang von Klimawandel und einzelnen extremen Wetterereignissen wissenschaftlich nicht belegen lässt. Gleichwohl besagt die Klimaforschung eindeutig, dass wir mit einer Häufung von Unwettern wie den diesjährigen in Zukunft rechnen müssen. Der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeiten für derartige Ereignisse, genauso wie er für mehr Hitzewellen, für einen weiteren Anstieg des Meeresspiegels, eine Übersäuerung der Meere und eine Verschiebung der Klimazonen sorgen wird. Die jüngsten Überschwemmungen können somit als Vorboten und Warnungen gelten.
Die aktuellen Unwetter als Rache der Natur für unser menschliches Fehlverhalten zu deuten, ist aber in anderer Hinsicht problematisch. Häufig wird dabei ein undifferenziertes "Wir" angesprochen, das sich durch dekadenten Hyperkonsum schuldig gemacht hat. Vor dem Naturgericht steht dann "die Menschheit", die nun ihre verdiente Strafe erhält.
Reduktion der Emissionen für mehr Klimagerechtigkeit
Aber natürlich sind dabei weder Schuld noch Strafe fair verteilt. Während die Industrienationen den Löwenanteil an Treibhausgasen beigesteuert haben, werden die negativen Folgen verstärkt im globalen Süden und von zukünftigen Generationen getragen. Eine Reduktion der Emissionen ist damit nicht nur eine Forderung der Klugheit, sondern der Klimagerechtigkeit. Hinzu kommt, dass das simple Bild von Schuld und Strafe die gesellschaftlichen Verhältnisse auch in den Industrienationen selbst ausblendet.
Bereits in den 80er-Jahren kritisierte der Vertreter der Sozialökologie Murray Bookchin Umweltphilosophen dafür, dass sie einer vermeintlich homogenen Menschheit die Schuld an der Zerstörung der Erde gaben. Dabei sind verschiedene Menschen ganz unterschiedlich stark verantwortlich. Wer heute fliegt und Fleisch isst, trägt mehr zum Klimawandel bei als andere. Darüber hinaus sind es damals wie heute bestimmte gesellschaftliche Kräfte wie Konzerne, ihre Lobbies und von diesen beeinflusste Regierungen und Staaten, die Ressourcenausbeutung und Treibhausgasausstoß vorantreiben – und es gibt andere, die genau dagegen kämpfen. Es sind gesellschaftliche Machtverhältnisse, die ermöglichen, dass Erstere ihre Interessen trotz der katastrophalen Folgen weiterhin durchsetzen können.
Wir müssen die gesellschaftlichen Machtverhältnisse ändern
Um den Klimawandel zu bremsen, müssen wir also nicht nur als Individuen klimafreundlicher leben. Wir müssen die gesellschaftlichen Machtverhältnisse verändern. Nur so kann die vermeintliche Rache der Natur, die anstatt Gerechtigkeit zu üben, globale Ungerechtigkeiten potenziert, zumindest noch abgemildert werden.