Erdgas

Vom Hoffnungsträger zum Ladenhüter und zurück?

Teil eines Gas-Terminals in Emden (Niedersachsen).
Teil eines Gas-Terminals in Emden (Niedersachsen). © picture alliance / dpa / Ulf Mauder
Von Jan Uwe Stahr |
Der angekündigte Ausstieg aus der Kohleverstromung und die Krise des Dieselmotors lassen das Erdgas wieder interessant erscheinen - als vergleichbar saubere Brücken-Energie. Allerdings muss zuvor die Politik die dafür notwendigen Entscheidungen treffen.
Jahrelang haben Deutschlands Energiekonzerne die Energiewende verschlafen. Nun sind sie in Schwierigkeiten, versuchen einen Anschluss an die Entwicklungen. Auch der Eon-Konzern will sich zukünftig auf erneuerbaren Energien konzentrieren. Verlustbringende Großkraftwerke wurden ausgegliedert, in ein neues Unternehmen namens "Uniper". Dort befindet sich nun auch die rückläufige Erdgas-Sparte. Doch das Methan - die chemische Verbindung von Wasserstoff und Kohlenstoff - könnte noch gute Dienste leisten für die Energiewende ...
"Sie können gerne so eine Hose nehmen und die oben drüber ziehen wegen der Kälte. Dann kriegen Sie Schuhe, einen Helm, eine Brille - das ganze Programm."
Das Anlegen einer flammenhemmenden Schutzausrüstung ist Vorschrift - auch für Besucher. Denn Sicherheit steht an oberster Stelle, hier bei der "Uniper-Gas-Storage" im ostfriesischen Etzel.
"Mein Name ist Jörg Visser, ich bin hier am Standort, an Erdgasspeicher Etzel, der Betriebsingenieur und auch der stellvertretende Betriebsleiter."
Betriebsingenieur Visser trägt eine signalgelbe Schutzjacke. Daran klemmt ein kleines, oranges Messgerät. In regelmäßigen Abständen gibt es einen Piepton von sich. Es misst die Gaskonzentration in der Luft und schlägt Alarm, wenn diese gefährlich hoch ist.
"Wenn Alarm ist, folgen Sie mir, ich begleite sie nach draußen, bei dem Pförtner ist unser Sammelplatz. Dort müssen Sie dann stehen bleiben, weil die dann sichergehen müssen, dass alle Mitarbeiter das Gelände verlassen haben."
Ein langgestrecktes Eingangsgebäude, einige Betriebshallen, viele Rohrleitungen. Die Anlagen des Gasspeicherbetriebes wirken wenig spektakulär. Man sieht das Erdgas nicht, man riecht es nicht – aber man hört, wie es durch die Rohre strömt.
Das Gas kommt über das Pipelinenetz. Es stammt überwiegend aus Norwegen, Russland, aber auch aus Holland, Deutschland und Großbritannien. Bevor es in die unterirdischen Speicher gepumpt werden kann, muss es in speziellen Anlagen gereinigt werden und auf bis zu 190 Bar verdichtet. Bei Bedarf strömt es dann von alleine wieder hinaus.
"Bevor das Gas ausgespeichert wird, in die Pipelines geht, muss es auch wieder getrocknet werden. Entsprechend dem Gasgehalt analysiert werden, damit das auch eingehalten wird und dafür ist auch die Anlage hier die jetzt diese Geräusche macht."
Wann und wieviel Erdgas hier in Ostfriesland ein- oder ausgespeichert bestimmt die Unternehmenszentrale von Uniper in der 250 Kilometer entfernten Ruhrgebietsmetropole Essen. Dort werden auch die Handelsgeschäfte mit dem Gas abgewickelt.
"Wir haben unterschiedliche Kunden. Wir haben praktische die gesamtdeutsche Gaswirtschaft als Kunden",
sagt Frank W. Holschumacher, stellvertretender Chef bei der Uniper-Speichersparte. Die Kunden sind Gasgroßhändler, die Eigentumsrechte an einer bestimmten Gasmenge kaufen und verkaufen, unabhängig vom Ort der Lagerung.
"Er kauft sie an einem virtuellen Handelspunkt. Und er sagt: Ich habe X Millionen Gaskubikmeter gekauft und dann gibt er uns diese Information, dieses Gas hier einzulagern. Und es dauert dann eben, je nachdem wie schnell die Maschinen sind, dieses Gas in einem der Speicher einzulagern. Und wenn es dann hier drin ist, gibt er uns wieder eine Information, wann das Gas wieder ausgelagert wird. Und entsprechend den Auslagerungs-Bedingungen kriegt er es wieder an diesen virtuellen Handelspunkt zur Verfügung. Und von dort aus geht es dann an die Verbraucher."

Börsenhandel mit Tagespreisen

Ständiges Ein- und Ausspeichern, sicher, zuverlässig und vor allem schnell – das fordert der Erdgasmarkt. Mit seiner Liberalisierung vor gut zehn Jahren haben sich die Geschäfte enorm beschleunigt. Früher wurde das Gas aus den verschiedenen Lieferländern hauptsächlich zwischengespeichert, um Verbrauchsunterschiede zwischen Sommer und Winter zu puffern. Das geschieht in sogenannten Porenspeichern, zumeist ausgeförderte Gasfelder. Diese können zwar große Mengen aufnehmen doch sie sind langsam. Heute gibt es nicht nur feste Langzeit-Lieferverträge, sondern auch einen Börsenhandel mit Tagespreisen. Händler kaufen und verkaufen - oft kurzfristig, um Preisunterschiede zu nutzen. Doch dafür brauchen sie nun auch schnelle Speicher – so die im ostfriesischen Etzel. Dort lagern zahlreiche Speicherunternehmen ihr Gas in künstlich angelegten, sogenannten Kavernen-Speicher.
"So eine Kaverne ist praktisch der Porsche unter den Speichermöglichkeiten, wohingegen ein Porenspeicher ein Lastwagen ist."
Hans Joachim Schweinberger ist der Leiter des Informationszentrums Etzel. Hier, in der Infobox, können sich Besucher über Europas größte Kavernen-Speicheranlage informieren. Sie gehört dem Immobilienfonds IVG. Die Infobox steht am Rande der Speicheranlagen.
"Von außen ist diese Containeranlage ja erst einmal relativ schmucklos und wenn die Besucher hier reinkommen sind sie erst einmal überrascht über die Exponate die wir hier drinnen haben, in den Vitrinen, Salzkerne ..."
Geologe Schweinsberger geht zu einer Glasvitrine. Sieben armdicke Bohrkerne stehen dort nebeneinander aufgereiht, wie große Kerzen.
"Das ist also das Salz, das wir für den Kavernenbau nutzen. Das sind ja künstliche Hohlräume im Salz. Das liegt hier bei uns ab 800 Meter unter dem Gelände und reicht hier drunter bis zu 4000 Meter, also das ist ein riesiger Salzberg wenn man so will, in der Fachsprache ... Oder Salzstock. Und eine Formation in diesem Salzstock nutzen wir, das ist das sogenannte Zechstein-Salz."

Liberalisierung des Erdgasmarktes

Die mächtigen Salzablagerungen stammen aus einer Zeit als Norddeutschland am Äquator lag, bedeckt von einem flachen Meer. Rund 250 Millionen Jahre ist das her. Weil das Salz so undurchlässig ist wie Stahl, eignet es sich gut als Hochdruckspeicher für Erdgas. Drei Jahre dauert die Schaffung einer Kaverne. Die zylinderförmigen Hohlräume werden mithilfe von Nordseewasser ausgespült. Sie sind senkrecht in der Salzschicht angeordnet. 300 bis 500 Meter lang und 40 bis 80 Meter breit. Die ersten Kavernen wurden hier bereits in den 1970er-Jahren angelegt. Als Erdöllager für eine nationale Notreserve. Mit der Speicherung von Erdgas begann man in Etzel erst Anfang der 1990er-Jahre. Der norwegische Energiekonzern Statoil suchte damals nach einer Puffermöglichkeit für seine schwankende Gasförderung aus der Nordsee. Mit der Liberalisierung des Erdgasmarktes ab 2006 begann in Deutschland ein große Kavernen-Speicher-Boom. Auch im ostfriesischem Etzel.
"Sodass wir in den vergangenen Jahren unsere Kapazität, die Lagerkapazität fast verdoppelt haben. Wir hatten ursprünglich 40 Kavernen, 2005. Und mit dieser Expansion haben wir in wenigen Jahren die Kapazität verdoppelt. Wir haben ja zurzeit 73 Kavernen in Betrieb. 49 Kavernen für Gas Speicherung und 24 für Öl."
Vier Milliarden Kubikmeter Erdgas können alleine in Etzel derzeit gelagert werden. In ganz Deutschland sind es sogar 23 Milliarden Kubikmeter. Die riesigen Lager-Kapazitäten können etwa ein Viertel des gesamten Jahresverbrauches speichern. Auch das 500.000 Kilometer lange deutsche Pipelinenetz dient als Speicher. Eigentlich sollten Speicherkapazitäten noch weiter ausgebaut werden, auch in Etzel. 144 Kavernen waren hier schon geplant. Man rechnete mit einer stetig weiter steigenden Nachfrage an dem fossilen Energieträger. Auch wegen der Energiewende in Deutschland. Denn Erdgas gilt als der geeignete Partner für Wind und Sonne. Doch die Hoffnungen der Speicherbetreiber auf einen steigenden Erdgasbedarf erfüllten sich nicht, sagt Heiko Lohmann, unabhängiger Gasmarktexperte und Fachautor aus Berlin:
"Das hat sich als komplette Fehleinschätzung erwiesen, wir haben jetzt ein komplettes Überangebot an Speichern in Europa, mit dem Ergebnis dass die Preise für Speicherdienstleistungen in Europa dramatisch verfallen sind und man im Moment über Speicherstilllegung anstatt über weitere Speicherausbau nachdenkt, bzw. erste Speicherstilllegungen angekündigt worden sind und Speicherbetreiber händeringend Konzepte suchen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen."
Der Erdgasanteil am Gesamtenergieverbrauch liegt in Deutschland derzeit bei 20 Prozent. Wobei das meiste Erdgas zum Heizen von Häusern und zur Wärmeerzeugung in der Industrie genutzt wird. Bei der Stromerzeugung spielt dieser vergleichsweise klimaschonende, fossile Energieträger in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Anders als beispielsweise in Italien, Spanien und den Niederlanden. Gerade mal ein Fünftel der Stromerzeugung stammt hierzulande aus Gas. Und dieser Anteil ist sogar noch rückläufig, sagt der grüne Energiepolitiker Oliver Krischer:
"Es ist es so, dass in Deutschland hochmoderne Gaskraftwerke stillstehen. Wir haben sogar die Situation, dass Unternehmen, die 2013 noch neue Gaskraftwerke gebaut haben - zum Beispiel die Stadtkraft in Würth bei Köln - dass die einfach überlegen, diese Anlagen zu demontieren. Weil das Problem ist, diese Gaskraftwerke haben keine Chance am Strommarkt und das liegt daran, dass sie von billiger Braunkohle verdrängt werden."

Versagen der Energiepolitik

Alte, klimaschädliche, Braunkohlekraftwerke drängen moderne Gaskraftwerke vom Markt. Dabei blasen die ineffizienten Kohlemeiler bei der Stromerzeugung drei mal mehr CO2 in die Atmosphäre. Zudem können flexible Gaskraftwerke die schwankende Stromproduktion aus Wind und Sonne ausgleichen. Mehr Braunkohle, weniger Erdgas - eine krasse Fehlentwicklung, verursacht durch das Versagen der Energiepolitik. Nun wurde auf dem Pariser Klimagipfel weltweit einhellig beschlossen: Die Erderwärmung soll noch stärker begrenzt werden. Praktisch bedeutet das: Ein Ausstieg aus der extrem klimaschädlichen Kohleverbrennung. Doch den zu beschließen, traue man sich nicht, kritisiert der grüne Oppositionspolitiker Krischer. Er kommt aus dem niederrheinischem Braunkohlerevier.
"Die Bundesregierung tut so als gäbe es da keinen Handlungsbedarf dabei gibt es großen Handlungsbedarf – aus Klimaschutzgründen. Aber auch, um Planungssicherheit Energiewirtschaft zu schaffen."
Ein schneller Einstieg in den Kohle-Ausstieg scheitert bisher am Widerstand der Kohlelobby. Dabei hätte die Politik dafür durchaus politische Verbündete: in der Gaswirtschaft. Zum Beispiel der Verband der Erdgasspeicher-Betreiber INES, den Peter Schmidt als Vorstand vertritt:
"Als Speicherbetreiber sehen wir uns natürlich auch als Partner der Energiewende, weil Speicher in der Lage sind schnell große Mengen an Gas in das System hinein zubringen. Und Gaskraftwerke benötigen schnell große Mengen an Gas. Und insofern hätten wir natürlich als Speicherbetreiber, als Erdgasspeicherbetreiber großes Interesse, dass Gaskraftwerke sich auch in Deutschland wieder stärker durchsetzen."
"Fünf Kontinente, 26 Länder, 58.000 Kilometer – und das alles in einem serienmäßigen Erdgas-Caddy …"
Bereits vor zehn Jahren bewies der Mannheimer Autotester Rainer Zielow mit einem VW: Ein Auto mit Gasmotor ist weltweit einsetzbar. Mit seiner Tour schaffte er einen Eintrag in das Guiness-Buch-der-Rekorde. Bei den Verkaufszahlen dagegen können erdgasbetriebene Serienfahrzeuge bisher keine Rekorde aufweisen, sagt Gasmarkt-Experte Heiko Lohmann.
"Auch das ist bisher in Deutschland einem Misserfolgsstory. Das gibt es mittlerweile seit gut zehn Jahren oder länger. Es gibt aber gerade mal 100.000 Autos, als so einen Marktanteil von 0,2 Prozent und der hat sich im Grunde genommen in den letzten Jahren kaum erhöht. Es gibt zwar 1.000 Tankstellen und auch die meisten Stadtwerke, die das verfolgt haben sind total frustriert und überlegen eher auszusteigen. Es gibt nur wenige Leute, die da noch an eine Zukunft glauben."
Statt auf Erdgas setzte die deutsche Autoindustrie auf immer leistungsfähigere Dieselmotoren. Doch nun hat sie sich mit ihrer Strategie weltweit in eine Sackgasse manövriert. Die Dieselantriebe sind zwar sparsam aber mit ihren hohen Feinstaub- und Stickoxid-Emissionen auch umweltbelastend und gesundheitsschädlich. Eine nachträgliche Reinigung der Abgase, die heute geforderte Grenzwerte einhält, ist technisch extrem aufwendig und teuer. VW versuchte das Problem weg zu schummeln – mit bekannten Folgen. Liegt in der Dieselkrise eine neue Chance für den Gasmotor?
Ein KFZ-Servicetechniker mit einer Abdeckung vor einem vom Abgas-Skandal betroffenen 2.0l TDI Dieselmotor vom Typ EA189 in einem VW Touran in einer Autowerkstatt
Ein KFZ-Servicetechniker mit einer Abdeckung vor einem vom Abgas-Skandal betroffenen 2.0l TDI Dieselmotor vom Typ EA189 in einem VW Touran in einer Autowerkstatt© dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
Die Labore am Fachbereich für Verbrennungsmotoren der Berliner TU erinnern an eine Autowerkstatt: Es riecht nach Öl. Technische Aggregate liegen in Regalen und auf dem Boden. Motoren sind aufgebockt und verkabelt wie Patienten auf einer Intensivstation. In einem der Versuchsstände sitzen zwei wissenschaftliche Mitarbeiter. Vor ihnen drei Flachbildschirmen mit Messwerten und bunten Grafiken. Hinter einer Scheibe in einem geschlossenen Schall isolierten Raum befindet sich ein Versuchsaufbau.
"Wir sind hier am Turbolader-Prüfstand. Wir betrachten nicht den ganzen Motor, sondern nur ein Bauteil, den Turbolader an sich. Und wir werden den hier sehr schnell hochfahren, also von Stillstand auf fast Maximaldrehzahl. Und das Ganze machen wir bei Kälte. Das heißt, wir haben eine Klimakammer, in der wir den Turbolader vorher runterkühlen und bei diesem Hochlauf, nehmen wir die Akustik des Turboladers auf."
Mithilfe eines Turboladers lässt sich die Leistungsfähigkeit von Verbrennungsmotoren steigern. Deshalb spielt er auch beim Gasmotor eine wichtige Rolle, sagt Fachbereichsleiter Professor Roland Baar:
"Der komprimiert die Luft. Und dadurch, dass ich mehr Luft in den Brennraumkriege oder mehr Gemisch in den Brennraum kriege und dadurch die Leistung steigern kann, beziehungsweise Motor kleiner machen kann. Dann hat man weniger Verluste."
Der Fachberereich für Verbrennungsmotoren hat eine fast 150-jährige Geschichte. Von den ersten Gas-, Benzin- und Dieselmotoren bis zu den Turbo-Hochleistungsaggregaten heute wurde die Technik hier an der Berliner TU wissenschaftlich begleitet und vorangetrieben. Kommt diese Entwicklung mit den Elektroautos nun an ihr Ende? Roland Baar schüttelt den Kopf:
"Nein, überhaupt nicht! Das Elektrofahrzeug hat eine größere Problematik, die keiner sehen will beziehungsweise wo man immer darauf hofft, dass es irgendwann eine Erfindung gibt, die alles löst, die kann aber physikalisch nicht einfach so entstehen: Das ist die Batterie. Die Batterie hat ganz große Schwächen – das ist die Energiedichte, die ist, die muss schlecht sein. Das liegt einfach an der Art, wie die Energie gespeichert wird. Die ist nämlich sehr komplex gebunden, viel schwieriger als bei Benzin und Diesel und bei Gas. Dann ist die Ladezeit, wie schnell kann ich meinen Tank elektrisch befüllen, die kann ich auch nur bedingt beschleunigen."
Die Treibstoffe für Verbrennungsmotoren bestehen aus Kohlenwasser-Verbindungen – ein Energiespeicher, den auch die Natur benutzt, zum Beispiel beim Fett. Gegenüber dem Gas setzten sich allerdings Benzin und Diesel stärker durch, weil die flüssigen Treibstoffe einfacher zu transportieren sind. Und weil ihre Energiedichte höher ist. Doch auch das Methangas hat seine Vorteile, und die werden nun wichtiger sind als bisher:
"Erstens haben wir fossiles Gas noch in sehr großem Umfang. Man redet davon, wenn wir sagen wir haben 50 Jahre Benzin und Diesel, vielleicht auch noch 100, dann reden wir davon, dass Gas noch für 300 Jahre ist, weil sein Vorkommen noch weltweit verfügbar ist. Der zweite Vorteil von Gas eigentlich ist: Ich kann das ideal mischen mit künstlich hergestellten Gas. Das ist ja Methan, im wesentlichen ist Erdgas Methan. Den können wir sehr gut herstellen, was ja auch heute schon gemacht wird und insofern ist es auch von der ökologischen Seite gut. Und der dritte Vorteil an Gas ist, er hat einen sehr hohen Wasserstoffanteil. Das heißt der Anteil an Kohlendioxid-Entstehung ist bei Gas deutlich niedriger als bei Benzin und Diesel. Gas ist eigentlich eine tolle Alternative."
Hinzu kommt: Anders als Benzin- und Dieselmotoren, halten gasbetriebene Fahrzeuge die immer strengeren Grenzwerte bei Stickoxiden und Feinstaub locker ein. Doch es gibt auch Schwächen: Die Reichweite eines vollgetankten Erdgasautos liegt zwar etwa beim Doppelten eines vollgeladenen Elektromobils. Aber bisher nur bei der Hälfte eines modernen Diesels. Hier wären noch Verbesserungen nötig.
"Ich glaube, dass der Gasmotor eine Chance hat. Ich glaube daran. Ich sehe die Vorteile, die da sind. Und die sind einfach nicht wegzudiskutieren. Nur, man kann natürlich dem Kunden auch nicht sagen: nun mach doch endlich mal! Er muss es auch wollen."
Das Know How der Autoindustrie ist jetzt gefragt. Sowohl bei der Technik als auch beim Marketing. Mit gasgetriebenen Fahrzeugen könnten die Autofahrer dann Kurs auf eine erneuerbare Energiezukunft nehmen. Denn künstliches Erdgas lässt sich auch mithilfe von Wind- und Solarstrom erzeugen. Wie das funktionieren kann, wird in Deutschland schon seit einigen Jahren erprobt. Windparks und Photovoltaikanlagen säumen die Autobahn A24 von Berlin nach Hamburg. Etwa auf halber Strecke liegt das Gewerbegebiet Falkenhagen.
Nur wenige Betriebe haben sich hier im nördlichen Brandenburg bisher angesiedelt. Viele Grundstücke liegen brach. Die Straße endet vor einer verlassenen Produktions- oder Lagerhalle. Wirtschaftlicher Aufbruch sieht anders aus ... Etwa 800 Meter weiter: ein großes, etwas schief stehendes, Schild mit der Aufschrift: "Errichtung der Power-to-Gas Pilotanlage. Auftraggeber Eon-AG, Düsseldorf, 2012".
Auf einem eingezäunten Gelände stehen einige Container. Dazwischen: Eine Besuchergruppe mit Helmen und Schutzkleidung. Die Besucher sprechen englisch. Sie kommen aus Kanada, Australien und dem Iran, sagt Andrei Zschocke:
"Wir haben Besucherdelegationen aus der ganzen Welt. Das können Universitäten sein, das können Delegierte von Tagungen sein, energiewirtschaftlichen Tagungen. Also ein ganz breites Spektrum an Besuchern."
Andrei Zschocke leitet die Abteilung "Technische Innovationen" des Essener Gasspeicher- Unternehmens "Uniper" - einer Abspaltung des Energiekonzern Eon. Mit der in Fachkreisen weltweit beachteten Power-to-Gas-Technologie will die etablierte Energiewirtschaft einen Anschluss an die Energiewende bekommen. Und sie aktiv vorantreiben. Mithilfe von Elektrizität wird hier in Falkenhagen Wasser aufgespalten - in Wasserstoff und Sauerstoff:
"Elektrolyse an sich ist nicht neu. Wir wissen, dass es schon jahrzehntelang Elektrolyse-Einsatz gibt in der Industrie. Also das Verfahren an sich ist nicht neu. Aber in diesem energiewirtschaftlichen Kontext ist es neu: Erneuerbare Energien in Gas umzuwandeln und speicherbar zu machen, das hat ganz eigene Herausforderungen und ist in dem Sinne innovativ."
Der elektrische Strom kommt aus einem nahegelegenen Windpark. Das Wasser kommt aus der Leitung, sagt Kai Föning der technische Leiter der Falkenhagener Pilotanlage. Sein Messgerät zeigt ständig die Konzentration des Wasserstoffgases an. Alles ok. Föning gewährt einen Blick in die Herzkammer der Power-to-Gas-Anlage. Sie befindet sich in einem unscheinbaren Container.
"Wir sehen jetzt hier Vier-Zell-Stacks, das sind also Packungen von parallel angeordneten Membranen, durch die das Wasser strömt. Durch die Stromzufuhr wird das Wasser aufgespalten in Wasserstoff und Sauerstoff."
In den durchsichtigen Elektrolyse-Stacks sieht man ein lebendiges Sprudeln. Das Wasserstoffgas ist hochexplosiv, weit gefährlicher noch als Erdgas. Strengste Sicherheitsbestimmungen sind einzuhalten – auf der gesamten Anlage.
"Wir haben hier die Anschlüsse, die im oberen Teil das Gas sammeln, dann zu Separator und führen. Dort wird der Wasserstoff gesammelt und dann noch getrocknet und dann rüber geführt zur Verdichtung. Der Sauerstoff wird auch gesammelt, wird aber dann in die Atmosphäre geblasen, dass in diese Geräusche die wir hier hören, dieses Fauchen. Der Sauerstoff wird nicht genutzt."
Sechs Elektrolyse-Einheiten hat die Pilotanlage. Verschiedene technische Variationen werden hier getestet. Ebenso wie bei den sogenannten Verdichtern. Hier wird das Wasserstoffgas auf Druck gebracht, um es anschließend in das öffentliche Erdgasnetz einspeisen zu können. Dort vermischt sich der Wasserstoff dann mit dem Erdgas. Und kann andernorts verkauft werden, sagt Andrei Zschocke.
"Wir haben ein sehr gut vernetztes Erdgasnetz, schon heute. Das Gas, was wir hier produzieren, wird an die Firma Swiss-Gas verkauft zum Teil, das heißt wir übergeben das an der Schweizer Grenze. Und das sieht man eben, hier in Brandenburg wird Energie gespeichert im Gasnetz und im selben Augenblick, viele Kilometer weiter, in die Schweiz exportiert."
Der Eintrag von Wasserstoff in das Erdgasnetz ist jedoch begrenzt. Höchstens zwei Prozent darf der Anteil dort betragen. Bei der Tagesproduktion der kleinen Pilotanlage von maximal 360 Kubikmetern Wasserstoff ist das kein Problem. Wenn zukünftig große Mengen Wasserstoff erzeugt werden sollen, gibt es zwei Möglichkeiten: Einmal kann man den Wasserstoff mit CO2 anreichern und so in Methan verwandeln – in künstliches Erdgas. Das ließe sich dann unbegrenzt einspeisen. Oder – Möglichkeit zwei: Man produziert den Wasserstoff dort, wo er in reiner Form gebraucht wird.
"Einerseits kann man natürlich mit Wasserstoff fahren. Es gibt aber leider noch nicht so viele Fahrzeuge auf dem Markt dafür. Wir haben ganz konkret im Blick, Raffinerien mit Wasserstoff zu versorgen. Das heißt, schon heute verbrauchen Raffinerien Wasserstoff bei der Erzeugung von Benzin und Diesel und diesen wollen wir bereitstellen. Im Moment wird grauer Wasserstoff, wie wir sagen, dafür verwendet, aus Erdgas. Also dabei wird CO2 freigesetzt. Und wir können Wasserstoff liefern quasi ohne CO2 Emissionen. Was dadurch passiert, ist, dass das Endprodukt, also Benzin oder Diesel etwas grüner ist, als sonst."
Bei der Erprobung der Power-to-Gas-Technogie geht es nicht nur um die Erprobung geeigneter Anlagenkomponenten. Es geht auch darum, einen Einstieg in die kommerzielle Nutzung zu finden. In Falkenhagen hat sich gezeigt: Zusätzlich zum Verkauf des eingespeisten Gas könnten Anlagen auch als sogenannte Netzdienstleister Geld verdienen. Weil ihr Stromverbrauch bei der Wasserstoffproduktion hilft, die mitunter starken Schwankungen bei Wind- und Solarstrom abzupuffern.
"Gibt es zu viel Strom im Netz, kann ich die Anlage schnell hochfahren und den Überschuss aufnehmen. Gibt es zu wenig Strom im Netz, kann ich die Anlage schnell abschalten. Das sind diese Dienstleistungen hier."
Zu sehen sind Windräder und eine Konverterplattform in der Ostsee.
Windräder und eine Konverterplattform in der Ostsee.© picture-alliance / dpa / Jens Büttner
Immer häufiger müssen in windreichen Regionen Norddeutschlands Windturbinen vorübergehend abgeschaltet werden - weil ihr Strom nicht mehr in die überlasteten Netze passt. Vergütet werden die Betreiber dann trotzdem – von allen Stromverbrauchern. Ein anderer Effekt: Bei zeitweiligen Stromüberangeboten rutschen die Preise an der Strombörse auf null oder sogar ins Minus. Hier wird es kommerziell besonders interessant für Power-to-Gas
"Der Effekt wäre einmal, dass wir Strom nicht wegwerfen müssen. Dass wir einen optimierten Netzausbau haben, dass wir erneuerbare Energien aus Wind und Sonne in andere Sektoren hinein bekommen. Wir wollen und müssen ja CO2 überall einsparen und wir müssen uns fragen, wie dann die Primärenergie Strom in alle weiteren Sektoren hinein kommt. Und Power-to-Gas bildet eben die Brücke von Strom zu Gas."
Der elektrische Strom, den die Power-to-Gas-Anlagen einsetzen, müsste jedoch von den Abgaben für erneuerbare Energien befreit werden, sagt Andrei Zschocke. Dann ließe sich damit Geld verdienen:
"Und das ist auch eines der wesentlichen Erkenntnisse, dass wir sagen: Wir könnten, sofern die Rahmenbedingungen stimmen, schon morgen kommerziell tätig sein mit der Elektrolyse und der Erzeugung von Wasserstoff. Das können wir heute definitiv sagen."
Es wäre ein Leichtes für die Politik, die Abgaben-Regelung zu ändern. Das ermöglichte einen schnellen Einstieg in die Speicherung von Wind und Solarstrom per Gas. Und eröffnet die Perspektive für eine 100 Prozent CO2-freie Stromerzeugung bis zum Jahre 2050. Diese fordert auch der grüne Energiepolitiker Oliver Krischer. Er setzt dabei auf Gas.
"Das ist natürlich eine gute Möglichkeit, dass in Deutschland vorhandene große, umfängliche Gasnetze mit all den Speichern dann auch für die Zeiten zu nutzen, wo Wind und Sonne nicht liefern können. Und ich glaube, deshalb wird Gas auch in der erneuerbaren Zeit noch große Rolle spielen, halt nicht mehr als klassisches Erdgas, sondern als Gas, was aus Strom quasi synthetisch hergestellt worden ist."

Ladegeräte für die Stromspeicher

134 Gigawatt, also die 60.000-fache Kapazität der kleinen Falkenhagener Pilotanlage, bräuchte man bis zum Jahre 2050 in ganz Deutschland – dann wären bis zu drei Monate Dunkelflaute kein Problem. So hat es eine von Greenpeace energy in Auftrag gegebene Studie berechnet. Power-to-Gas-Anlagen dienen dann praktisch als Ladegeräte für die Stromspeicher. Die Speicher selber sind schon da. Zum Beispiel im ostfriesischen Etzel. In die dortigen Salzkavernen könnte man sogar hochexplosiven, reinen Wasserstoff einpressen, sagt der Leiter des Infozentrums, Joachim Schweinsberg:
"Das geht technisch ohne weiteres, also das Salz ist auch für Wasserstoff- Gas dicht, als reiner Wasserstoff. Man kann aber auch noch einen weiteren Schritt der Umwandlung hinzufügen, wenn man CO2 nimmt, was mit dem Wasserstoff reagieren würde, dann hätte man synthetisches Methan also künstliches Erdgas sozusagen. Und dieses künstliche Erdgas hat keinen qualitativen Unterschied zu normalen Erdgas, sodass das ganz einfach dann zu speichern ist."
Fossiles Erdgas bis 2050 vollständig durch künstliches Methan aus Wind- und Solarstrom zu ersetzen – eine vielversprechende Zukunftsperspektive. Sie erfordert Milliarden-Investitionen. Doch ab 2035 wird es dann billiger und zehn Jahre später hätten sich die Ausgaben bezahlt gemacht, so hat es die Studie von Greenpeace energy berechnet. Eine interessante langfristige Geldanlage also – und neue Geschäfts-Chancen für Energiekonzerne.
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