Erdnussallergie

Welche Therapie hilft wirklich?

06:44 Minuten
Ein junger Mensch hält Erdnüsse in der Hand.
Für viele Menschen sind Erdnüsse ein Snack zwischendurch, für andere Menschen ist der Verzehr mitunter sehr gefährlich. © picture alliance / dpa Themendienst / Silvia Marks
Von Lukas Kohlenbach |
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Symptome können Bauchschmerzen, Ausschlag oder Atemnot sein. Im schlimmsten Fall kann der Erdnussverzehr für Menschen, die darauf allergisch reagieren, sogar tödlich sein. Forschungen können Betroffenen aber vielleicht etwas Hoffnung geben.
Helena und Friedrich spielen unbeschwert mit ihrem Hund. Nicht ganz so unbeschwert ist der Alltag bei Familie Tiemann, wenn es ums Essen geht. Denn Helena hat eine Erdnussallergie. Ihre Mutter Mareike wurde früh darauf aufmerksam. 
„Also da waren wir mit Bekannten auf dem Spielplatz und sie hat von der bekannten Mutter Erdnussflips gegessen und dann fing an ihr Gesicht rote Flecken zu bekommen und die Atmung wurde schlechter. Die Nase ging zu. Also mit so einem Schnupfen, da sind wir nach Hause gefahren und die Augen schwollen an, also die Flecken wurden immer mehr und der Schnupfen wurde immer mehr.“

Später wird klar: Helena leidet an einer Erdnussallergie. Für die Erkrankung gibt es keine Therapie. 
„Eigentlich geht es bei Erdnussallergie nur um Vermeidung“, sagt Tim Tiemann. Die Zutatenliste jedes Produktes aufmerksam lesen, beim Bäcker nachfragen, was im Kuchen ist, andere Eltern über Helenas Allergie informieren: Das ist der Alltag der Familie. Spuren von Erdnüssen können in fast allen Produkten zu finden sein, selbst bei Duschgel muss die Familie aufpassen. 
„Ja, eigentlich ist die Erdnussallergie meine schlimmste Allergie. Bei den anderen Allergien. Die sind nicht so schlimm. Bei der Erdnussallergie kann ich sogar sterben“, erklärt Helena Tiemann.
Die Achtjährige trägt deshalb Notfallmedikamente immer mit sich. Auch ihr Umfeld gibt gut auf sie Acht und nimmt Rücksicht. Seit der Diagnose kam sie nie wieder mit Erdnüssen in Kontakt. 
„Da werden wirklich ganze Geburtstage dann geschaut, dass das Erdnuss frei ist, sodass Helena dann überhaupt keine Probleme hat“, so Tim Tiemann.

Die Forschung kommt nur langsam voran

Dennoch: Ein Leben, in dem sie nicht ständig in Sorge vor dem kleinsten Kontakt mit Erdnüssen sein müsste, wäre ein Traum für Familie Tiemann. Andere Allergien, wie gegen Gräser oder Tierhaare, lassen sich schon länger behandeln. Bei der Hyposensibilisierung spritzen Ärzte kleine Mengen des Allergens über längere Zeit unter die Haut der Betroffenen.
So gewöhnt sich der Körper langsam an die allergieauslösenden Stoffe. Geheilt werden die Betroffenen nicht, aber sie können die Allergene besser vertragen. Für Nahrungsmittelallergien war eine solche Therapie bislang nicht verfügbar. Vor zwei Jahren hat die Europäische Arzneimittelagentur jedoch erstmals ein Präparat zugelassen, das auf dem Prinzip des langsamen Gewöhnens basiert. Orale Immuntherapie wird die neue Behandlungsform genannt: 
„Das heißt, das Produkt wird gegessen, und zwar jeden Tag ganz langsam gesteigert und letztendlich dadurch soll eine langsame Desensibilisierung erfolgen, sodass immer größere Mengen vertragen werden, um letztendlich mindestens eine Erdnuss jeden Tag, also ein Produkt zu essen, das einer Erdnuss ungefähr entspricht und das jeden Tag zu sich zu nehmen, um so die Schwelle zu erhöhen, dass es nicht mehr zu versehentlichen Reaktionen kommt“, erklärt Kirsten Beyer. Die Ärztin leitet das Studienzentrum für pädiatrische Allergologie an der Charité in Berlin. Sie forscht schon seit Jahren zur oralen Immuntherapie. 
Alle zwei Wochen nehmen Patienten unter ärztlicher Aufsicht ein klein wenig mehr Erdnussproteinpulver zu sich. Zwischen den Terminen rühren sie das Pulver täglich unter ihr Essen. Bis die Maximaldosis von 300 mg Erdnussprotein erreicht ist, was rund einer Erdnuss entspricht. 
„Manche Patienten konnten im Rahmen der Studie danach auch deutlich größere Mengen an Erdnüssen essen. Also nicht nur die eine Erdnuss, die sie jeden Tag halt gegessen und vertragen haben, sondern auch deutlich größere Mengen.“

Risiko von Nebenwirkungen

Zwei große Studien haben gezeigt, dass die Therapie bei Kindern nach einem Jahr anschlägt. Doch der Ansatz ist umstritten: Denn die Patienten reagieren durchaus auf das Erdnussproteinpulver. Im Vergleich zur kompletten Vermeidung kommt es häufiger zu Nebenwirkungen.
„Die sind auch gar nicht selten. Jeder zehnte Patient ungefähr hört auch mit der Immuntherapie wieder auf, und zwar vor allem wegen gastrointestinalen Symptomen. Also Bauchschmerzen zum Beispiel, die auftreten.“

Doch selbst wenn die Therapie anschlägt: Es ist unklar, ob sie langfristig wirkt. Trotzdem werden die Kosten seit dem Frühjahr von den Krankenkassen übernommen – so hat es das zuständige Gremium festgelegt. Mehr als 5000 Euro kostet die Behandlung eines Patienten die Krankenkassen pro Jahr, allein für das Proteinpulver – die Kosten der regelmäßigen Arzttermine nicht einberechnet. Die Entscheidung fiel gegen den Rat des eigenen wissenschaftlichen Beratungsinstituts.
Das hatte unter anderem kritisiert, dass sich die positiven Studienergebnisse nur bedingt auf den Alltag übertragen lassen – wenn sich Betroffene etwa anstrengen oder einen Infekt haben, könne das die Allergie gegen Erdnüsse verstärken. Kerstin Beyer von der Charité findet es dennoch richtig, dass Krankenkassen für die Therapie bezahlen – auch wenn sie eine Herausforderung für Patienten sei.
„Aber eine Erdnussallergie mit ungefähr fünf Mal am Tag essen und jedes Mal drüber nachdenken. Ist das wirklich Erdnuss frei, was ich da esse? Auch das ist eine Herausforderung.“

Ist ein bedenkenloser Konsum bald möglich?

Sie geht davon aus, dass die Patienten rund drei bis fünf Jahre das Erdnussproteinpulver einnehmen müssen. Bedenkenlos Erdnussflips knabbern können die Betroffenen auch dann nicht. Doch das geringere Risiko für eine lebensbedrohliche Reaktion sei eine riesige Erleichterung. Zugelassen ist die Therapie derzeit im Alter von vier bis 17 Jahren. Derzeit laufen Studien mit jüngeren Kindern. 

Familie Tiemann muss nicht auf die Ergebnisse warten – Helena ist acht Jahre alt und die Eltern wollen bald mit der oralen Immuntherapie beginnen. 
„Da warten wir jetzt darauf, dass wir damit starten können, mit Helena und das da dann möglich sein wird oder die Gefahr geringer ist, dass wenn sie Spuren von Erdnüssen zu sich nimmt, das lebensbedrohlich werden kann“, sagt Tim Tiemann.

Sodass Helena eines Tages vielleicht fast so unbeschwert Essen genießen kann, wie sie mit ihrem Bruder mit den Haustieren spielt.
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