"Ein problematisch inszenierter Staatsempfang"
Erdogan absolviert einen Staatsbesuch in Deutschland, während in der Türkei auch deutsche Bürger in Haft sitzen. Den Protest der Zivilgesellschaft gegen diesen Empfang hält der Soziologe Harald Welzer für legitim.
Liane von Billerbeck: Heute Mittag trifft in Berlin der türkische Präsident Erdogan ein, und der Widerstand gegen diesen Besuch formiert sich. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels protestiert gegen diesen explizit als Staatsbesuch etikettierten Besuch. Dessen Chef Alexander Skipis sagte dazu bei uns im Programm:
"Wir halten es für ein fatales, falsches Zeichen, wenn am 28. abends beim Staatsbankett die Bundesregierung und der Bundespräsident Champagner trinken und ein Mehr-Gänge-Menü mit dem Despoten Erdogan verspeisen, während in der Türkei Hunderte von Menschen in den Gefängnissen verschwunden sind, nur weil sie ihre Meinung gesagt haben oder als Journalisten ihrer Aufgabe nachgegangen sind. Das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die jetzt im Gefängnis sitzen."
von Billerbeck: Alexander Skipis, der Chef des Börsenvereins. Wir fragen jetzt, sollen Künstler sich so explizit politisch äußern oder sollen sie durch ihre Kunstwerke politisch sein. Harald Welzer ist mein Gesprächspartner, der Soziologe und Sozialpsychologe und Autor des Buches "Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand".
Herr Welzer, der Börsenverein organisiert ja auch eine Lesung während des Staatsbanketts, ist das der notwendige Aufstand der Zivilgesellschaft?
Welzer: Ach, na ja, mit den notwenigen Aufständen ist das ja so eine Sache. Aber es ist natürlich das gute Recht und ich finde das auch politisch und moralisch völlig in Ordnung, wenn solche Organisationen und solche Personengruppen ihre Meinung kundtun. Und in dem Fall muss man natürlich sagen, dass es hinsichtlich der demokratischen Kultur und des Verständnisses von Gesellschaft problematisch ist, wie dieser Staatsempfang um diese Person inszeniert wird.
"Meinungsbildung ist das Entscheidende"
von Billerbeck: Stichwort Moral: Michael Wolffsohn hat dazu auch gesagt, Moral ohne Macht ist eine Blechtrommel. Sind hier müde Moralisten – auch ein Zitat Wolffsohn – am Werk?
Welzer: Nein, dann würde die ganze Demokratie nicht funktionieren, wenn Herr Wolffsohn recht hätte, weil natürlich hat jeder einzelne Bürger, jede einzelne Bürgerin formal nicht die Macht, jetzt was weiß ich zu sagen, nein, dieses Staatsbankett findet nicht statt. Aber Demokratie funktioniert doch so, dass wir alle unsere Auffassung auf die eine oder andere Weise publizistisch per Demonstration, per Wahl ins Spiel bringen können, und insofern ist diese Auffassung, dass man das nur machen könne, sinnvollerweise, wenn man Macht habe, natürlich völlig, also überhaupt der Demokratie nicht angemessen.
von Billerbeck: Nun ist es ja nicht so schwer, hierzulande für Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst einzutreten, zu protestieren, es ist schlicht völlig risikofrei, wenn man in der Türkei dagegen dafür inhaftiert wird. Was heißt das für den Protest hierzulande?
Welzer: Aber das ist in Rechtsstaaten immer risikofrei, und das würde aber bedeuten, wenn man deshalb dann nicht legitimerweise protestieren könnte, dass es die Arbeit von Amnesty International nicht geben könnte, dass es viele Organisationen, die für Menschenrechte eintreten, nicht geben könnte. Also es ist doch gerade, glaube ich, ein Prinzip von Solidarität, dass dort, wo man die Meinungsfreiheit hat, versucht, auch auf die eigene Regierung einzuwirken, damit sie entsprechend tätig wird.
Und hier haben wir ja genau die Konfliktlinie, worüber die Betreffenden sich ja zu Recht aufregen, ist gewissermaßen nicht, dass es jetzt, was weiß ich, ein politisches Treffen gibt, sondern dass es auf diese Weise auf einen Staatsbesuch hochgejazzt wird, und ja, da wird man dann möglicherweise zwischen den Gängen mal ganz kurz sagen, aber es gibt ja auch noch das Problem mit der Meinungsfreiheit. Insofern glaube ich, ist so eine Form des Aktivwerdens natürlich auch ein Hinweis darauf, welche doppelte Buchführung es in der Politik gibt, und ich glaube, das ist für Demokratie wichtig.
"Demokratie funktioniert nicht so, dass alles total super läuft"
von Billerbeck: Die gibt's bloß immer, denn diese Proteste werden nichts bringen, der Staatsbesuch wird stattfinden.
Welzer: Das macht aber nichts. Wir reden ja drüber, und jetzt hören viele … Ja, ja, aber das ist wirklich, glaube ich, so, wie eine Demokratie funktioniert. Demokratie funktioniert ja nicht so, dass alles total super läuft und Politik genau das macht, was die Bevölkerung will und so weiter, sondern es ist ein konflikthafter Prozess.
Jetzt reden wir darüber, versuchen das einzuordnen, ob das vernünftig ist, dass die Kulturschaffenden da protestieren. Ich bin der Meinung ja, viele Hörerinnen und Hörer werden vielleicht sagen, nein, das ist wohlfeil, das können die immer, wohlfeile Aktionen. Aber das ist ja genau das Wesen. Wir versuchen uns damit auseinanderzusetzen, und vielleicht denkt der ein oder andere, na ja, das ist vielleicht auch tatsächlich etwas, wo ich mehr aktiv werden muss an Stellen.
Also noch mal, so funktioniert eigentlich der Laden. Der funktioniert nicht konfliktfrei, der funktioniert auch nicht so, dass alle einer Meinung sind, aber die Meinungsbildung selber ist das Entscheidende bei der ganzen Geschichte.
von Billerbeck: Nun könnte man ja auch einwenden, Künstler und Kulturschaffende sollen als politische Akteure nur über ihr Werk auftreten und damit politisch wirken. Was halten Sie davon?
Welzer: Na ja, da wäre man ungefähr bei der Fifa angekommen und bei dem angeblichen unpolitischen Charakter des Sports. Mit diesem Argument finden dann in jeder Diktatur und in jedem autokratischen Staat bombastische, Millionen teure Spiele und Geschäfte statt, und dass das bigott ist, wissen wir ja nun wirklich seit der letzten Fußball-Weltmeisterschaft und der nächsten und so weiter, die da stattfinden können. Von diesem Argument halte ich überhaupt gar nichts.
"Da gibt es aber ein moralisches Problem"
von Billerbeck: Ist denn unser Umgang mit Erdogan vielleicht – das vielleicht auch noch gefragt – zu sehr von Schwarz-Weiß-Denken geprägt? Der Bundespräsident könnte ja sagen, es gibt gute Argumente dafür, den NATO-Partner und Präsidenten eines Landes, mit dem uns viel verbindet, wie einen Staatsmann zu behandeln und zu empfangen.
Welzer: Ja, das tut er ja auch. Deshalb wird das ja auch gemacht. Und auch hier haben wir wieder den Punkt, dass das, was jetzt in der politischen Szene Realpolitik genannt wird, nämlich dass man mit so einer relevanten Nation notwendigerweise versuchen muss, irgendwelche handhabbaren Verhältnisse herzustellen, das wäre die realpolitische Abteilung.
Dann ist es aber auch nicht illegitim vonseiten der Zivilgesellschaft zu sagen, ja, Moment mal, da gibt es aber doch ein kleines und großes moralisches Problem und die verletzen die Menschenrechte, Meinungsfreiheit und so weiter und so weiter. Ich glaube, auch hier ist genau das Spannungsverhältnis das eigentlich Interessante.
Und ja, es gibt natürlich Grenzen dessen, das muss dann eben entsprechend eine Regierung auch einhalten, dass ab einem bestimmten Niveau sozusagen der Rechtsverletzung solche Inszenierungen dann nicht mehr möglich sind. Oder dann wird es eben auch zu brisant, dann würden die Proteste zum Manifest werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.