Ernst Paul Dörfler: Aufs Land
Hanser, München 2021
352 Seiten, 22 Euro
Mehr Nachhaltigkeit – aber wo?
06:09 Minuten
Wir verbrauchen viel mehr Ressourcen, als der Planet verkraften kann. Was tun? Der Umweltschützer Ernst Paul Dörfler setzt sich für ein ökologisches Leben auf dem Land ein. Der Ökonom Niko Paech wiederum plädiert für Reallabore in den Städten.
Der weltweite Ressourcenverbrauch nähert sich nach Schätzungen von Wissenschaftlern wieder dem Stand vor Beginn der Corona-Pandemie an. Das geht aus Berechnungen des Global Footprint Networks und der Schweiz hervor. Demzufolge ist der sogenannte Erdüberlastungstag in diesem Jahr am 29. Juli.
Im Vorjahr war dieser Tag noch auf den 22. August gefallen, mehr als drei Wochen später als 2019 – damals war er schon am 26. Juli erreicht worden. Er markiert den Moment, an dem die Menschheit durch ihre ökonomischen Aktivitäten mehr Ressourcen in Anspruch nimmt, als die ökologischen Kreisläufe binnen eines Jahres auf natürliche Weise erneuern.
Zieht aufs Land!
Der Ökochemiker, Umweltschützer und Buchautor Ernst Paul Dörfler plädiert vor diesem Hintergrund dafür, aufs Land zu ziehen. Der Mitbegründer der Grünen Partei in der DDR sieht das Landleben als Chance für Klima und Umwelt.
Er selbst lebt seit rund vier Jahrzehnten in Steckby (Sachsen-Anhalt) nahe der Elbe und versorgt sich weitgehend selbst. Der Weg vom Beet in die Küche und auf den Teller sei die "kürzeste Lieferkette der Welt", sagt er, "ohne Anwendung von Gift, ohne Verpackung, ohne Transporte, ohne Kühlung".
Renaturierung der Flüsse
Im ländlichen Raum gebe es viel mehr Möglichkeiten als in der Stadt, ökologisch zu leben, betont Dörfler. Wälder, Moore, Flüsse, Seen: Das sei das eigentliche Kapital der Menschheit. Hier könnten in Zukunft jede Menge "Green Care Jobs" entstehen. So müssten zum Beispiel die Flüsse renaturiert werden – auch, um künftig Überschwemmungen vorzubeugen: "Das ist eine Jahrhundertaufgabe."
Die Lebenshaltungskosten auf dem Land seien geringer, außerdem ständen im ländlichen Raum rund zwei Millionen Wohnungen leer. Pendeln habe keine Perspektive: "Dort, wo man lebt, sollte man auch arbeiten."
Reallabore in den Städten
Dörfler habe völlig recht damit, dass es gut wäre, wenn nicht alle Menschen in Berlin-Mitte wohnen wollten, sondern auch die kleineren Städte und Dörfer mehr Zulauf hätten, sagt Niko Paech, Professor an der Universität Siegen für plurale Ökonomik mit dem Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit. Dort könne man man sich tatsächlich besser selbst versorgen. Doch um nachhaltig zu leben, müssten wir nicht alle aus den Städten raus,
betont der Wissenschaftler [AUDIO].
Paechs Idee für einen Weg zu einem ressourcenschonenderen Leben sind sogenannte Reallabore, in denen Menschen testen, wie ein nachhaltiges Leben aussehen kann: multifunktionale Ressourcenzentren, in denen man beispielsweise Dinge reparieren und ausleihen kann, statt sie neu kaufen zu müssen, in denen Praktiken wie Upcycling geübt werden und Schulklassen einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen lernen. "Die Reallabore, die mir vorschweben, sind mitten in den Metropolen", sagt Paech –denn das sei sinnvoller als auf dem Land.
Wenn in den Reallaboren zunächst nur überzeugte Klimaschützer ein nachhaltiges Leben einübten, würden diese zu wichtigen Vorbildern für andere. Denn ohne solche Vorbilder seien Menschen nicht bereit, sich auf Experimente für mehr Nachhaltigkeit einzulassen: ohne Auto zu leben etwa, weniger Fleisch zu essen, die Nutzungsdauer der Jeans oder eines Notebooks zu verdoppeln. "Wir haben sehr viel Lernbedarf", sagt der Ökonom. "Wir müssen einüben, wie es sich lebt in einer Wirtschaft ohne Wachstum."
Wir verbrauchen drei Planeten
Nach Informationen der Umweltschutzorganisation WWF lag der Erdüberlastungstag vor 20 Jahren noch im September. Heutzutage gehen demnach knapp 60 Prozent des ökologischen Fußabdrucks der Menschheit auf den Ausstoß von Kohlendioxis zurück.
Laut der Analyse des Global Footprint Networks war der nationale Erdüberlastungstag in Deutschland bereits Anfang Mai erreicht. "Wenn alle Länder so wirtschaften würden wie Deutschland, bräuchten wir nicht einen, sondern knapp drei Planeten", betont die Organisation Germanwatch.
(ahe/dpa)