Doku "Wer wir gewesen sein werden"
"Ich kann diese Geschichte von Angi und mir nicht erzählen ohne maximale Nähe", sag Erec Brehmer über seinen Film "Wer wir gewesen sein werden". © Erec Brehmer
Ein Film über Liebe, Trauer und Nicht-Loslassen
09:30 Minuten
Bei einem Autounfall ist die Partnerin von Regisseur Erec Brehmer ums Leben gekommen. Sein Dokumentarfilm „Wer wir gewesen sein werden“ besteht nun ausschließlich aus privaten Videos. Gleichzeitig hinterfragt er mit der Doku auch kritisch Trauerarbeit.
Susanne Burg: Im März 2019 bricht für Erec Brehmer eine Welt zusammen. Bei einem gemeinsamen Autounfall stirbt seine langjährige Lebensgefährtin Angi. Er selbst überlebt, muss mehrfach operiert werden, wieder laufen lernen, und er muss auch lernen, mit dem Verlust umzugehen. Langsam kämpft er sich ins Leben zurück – und dabei helfen dem Filmemacher auch die Videoaufnahmen, die er in Urlauben und bei anderen Gelegenheiten von Angi gemacht hat. Zwei Jahre später ist ein Film fertig, der sehr intim über die Trauer spricht und dabei sehr viel allgemeine Fragen zur Trauerarbeit stellt. Jetzt kommt der dokumentarische Film „Wer wir gewesen sein werden“ ins Kino.
Burg: Der Unfall ist nun dreieinhalb Jahre her, wie groß ist denn das Thema Trauer für Sie aktuell noch?
Brehmer: Jetzt gerade wird es natürlich aktueller durch den bevorstehenden Kinostart, auch weil ich mit verschiedenen Trauerstiftungen zusammenarbeite und dort mich natürlich noch mal ganz anders damit auseinandersetzen muss. Ich selbst würde mich jetzt nicht mehr als Trauernden bezeichnen. Die Trauer, die einen so großen Teil meines Lebens ausgemacht hat in den ersten ein, zwei Jahren nach dem Unfall, die hat sich inzwischen so sehr verwandelt, dass sie nicht mehr elementarer Teil von mir und von meiner Identität ist.
"Das hat Relevanz auch für andere Menschen"
Burg: Als Sie nach dem Unfall begonnen haben, Material zu sichten, das Sie als Amateuraufnahmen gemacht haben, wann entstand die Idee, daraus einen Film zu machen?
Brehmer: Es ist nicht so gewesen, dass ich sofort nach dem Unfall dachte, da mache ich jetzt einen Film daraus. Ich bin im Grunde nach Hause gekommen, saß in unserer Wohnung und hatte diese ganzen Aufnahmen, die ich zu Lebzeiten noch gemacht hatte. Ich habe jedes neue Handy an ihr getestet. Wir haben gemeinsam gespielt, das war Teil unserer Beziehungsdynamik, und dann war das Anschauen dieser Aufnahmen eigentlich mein Weg, Angi noch mal zu sehen und zu hören und ihr noch mal nahezukommen und ihr noch mal begegnen zu dürfen durch diese Aufnahmen.
Ich habe dann in diesem Prozess angefangen, einzelne Sachen mal zusammenzuschneiden. Dann habe ich irgendwann gemerkt, diese Erfahrung der Trauer ist neu für mich. Als Filmemacher beschäftige ich mich natürlich mit den Dingen, die mich umtreiben, durch Film. Mit der Zeit wurde aus dieser Sammlung an kleinen Sequenzen ein Film, den ich dann ersten anderen Menschen gezeigt habe und gefragt habe, was denkt Ihr? Ist das ein Film oder ist das einfach nur mein Homevideo? Die waren aber sehr ergriffen und haben gesagt, das ist natürlich ein Film, das hat Relevanz auch für andere Menschen, mach weiter. Daraus ist der Plan entstanden, daraus einen Film werden zu lassen, den ich auch anderen Menschen zeigen möchte.
Burg: Als diejenigen gesagt haben, mach weiter, wie haben Sie denn dann weitergemacht? Wie hat sich der Film im Laufe der zwei Jahre, die Sie daran gearbeitet haben, verändert?
Brehmer: Das waren verschiedene Etappen. Zuerst mal musste ich akzeptieren, das als Film zu begreifen und auch ein bisschen Abstand zu gewinnen - auch Angi und mich dann vielleicht als Figuren zu sehen manchmal. Es gab sehr, sehr schönes Feedback, zum Beispiel manche Aufnahme sind einfach noch privat. Alles ist persönlich natürlich in diesem Film, aber privat ist es ja dann, wenn es keine Relevanz für andere hat.
Und vielleicht kannst du noch einen Kontext schaffen, in dem das, was dir diese Aufnahmen bedeuten, auch für den Zuschauer rüberkommt. Fang doch mal an, dein Material mehr zu befragen, akzeptiere auch, dass es manche Dinge gibt, die du niemals über Angi wissen wirst oder die du auch in der Trauer niemals verstehen kannst. Das Stellen dieser Fragen kann auch schon helfen, dass sich andere Menschen weniger allein fühlen und dass ein Gemeinschaftsgefühl entsteht.
Zusätzlich hatte ich selber nach einem Jahr sehr viel Erfahrung mit Trauergruppen und habe dort sehr viele andere Trauernde gesehen. Ich habe gemerkt, es gibt, so individuell, wie Trauer ist, durchaus Gemeinsamkeiten. Es gibt ähnliche Fragen, die man sich stellt, und ähnliche Verläufe zu ähnlichen Zeitpunkten.
Dann bin ich noch mal an den Film gegangen und habe ihn auch noch mal neu strukturiert, habe versucht, manche Themenblöcke, die viele Trauernde beschäftigen, indirekt zu behandeln, sodass jemand, der selber in der Situation ist oder der sich die Fragen stellt, vielleicht die ein oder andere Antwort findet oder sich zumindest mit dieser Frage nicht allein fühlt.
"Ich liebe Angi noch immer"
Burg: Sie haben gesagt, Sie sind in Trauergruppen gegangen, haben Sie denn auch sich in anderer Form – durch Literatur oder wissenschaftliche Auseinandersetzungen – damit beschäftigt?
Brehmer: Ich habe alles gelesen und gesehen, was ich irgendwie finden konnte. Ich wollte das gerne verstehen, denn ich habe auch gemerkt, wenn man jemanden verloren hat – oder wie in meinem Fall zum ersten Mal und dann auch noch mit 30, wo man sich gerade ein gemeinsames Leben aufbauen wollte, wo irgendwie die ganze Zukunft vor einem lag, wo auch mit Angi ein großer Teil meiner Identität gestorben ist. Da habe ich gemerkt, so omnipräsent, wie das Thema zu sein scheint, so wenig wissen Menschen, wie sie auf einen zugehen sollen und so wenig Leitfäden oder Ähnliches gibt es. Über die Liebe wissen wir alles, aber die Trauer wird immer noch gerne vermieden. Deswegen habe ich alles gelesen, alle wissenschaftlichen Bücher, alle Literatur, alle Filme angeguckt, die damit zu tun haben.
Ich habe bei Filmen zum Beispiel oft gemerkt, dass die fast immer aus einer großen Distanz heraus erzählt werden und dass Filme oftmals das Narrativ bedienen, was zum Glück nur noch manche der Fachbücher haben, dass man loslassen muss und dass man irgendwann den Verstorbenen gehen lassen muss, um dann wieder ein neues Leben anzufangen. Ich habe mich von Anfang an geweigert, das zu akzeptieren. Ich liebe Angi noch immer, sie ist immer noch meine Freundin, wir haben uns nie getrennt, sie ist nicht mehr da.
Ich habe diesen Film auch als Untersuchungsgegenstand genommen, um herauszufinden, welche Beziehung können wir denn jetzt noch führen, jetzt, wo wir uns noch lieben, aber wo Angi nicht mehr da ist. Wie kann ich die Trauer nicht als Problem begreifen, sondern als bestmöglichen Lösungsversuch für ein unlösbares Problem, nämlich dass Angi nicht mehr da ist? Und wie kann ich die Liebe, die ich zu ihr habe, neu in mein Leben integrieren? Das waren die Fragen, und dort haben mir manche Bücher geholfen, andere nicht, und ich hoffe, dass der Film auch eine kleine Farbe in diesem ganz großen Material über Trauer sein kann.
Burg: Sie haben gesagt, dass einige, die den Film gesehen hatten, in der Zwischenphase gesagt haben, manche Sachen sind aber auch noch privat. Gleichzeitig hat der Film jetzt in der finalen Fassung etwas sehr radikal Offenes und Persönliches, Intimes. Wie radikal intim, offen wollten Sie sein, um vielleicht auch zu etwas Allgemeingültigem über Trauer zu kommen?
Brehmer: Das war für mich klar, dieser Film, der kann nur extrem persönlich sein – wie auch sonst. Ich kann diese Geschichte von Angi und mir nicht erzählen ohne maximale Nähe, was natürlich auch bedeutet, dass ein gewisser Abstand fehlt. Ich habe mich recht früh entschlossen, nicht andere Familienmitglieder zu interviewen oder neues Material zu drehen, sondern ich habe versucht, ausschließlich aus dem Archivmaterial, was wir hatten, diesen Film zu bauen, also ausschließlich die Erinnerung sprechen zu lassen und meinen Trauerprozess und die Erinnerung auch miteinander zu erzählen an zwei Strängen.
Natürlich, wenn ich auch Bilder von Angi nehme, ich glaube, sie wäre damit einverstanden gewesen, ich glaube, es hätte ihr gefallen, die Art, wie ich sie darstelle. Aber natürlich bedeutet das auch, dass ich ehrlich sein muss zu mir, dass ich mich selber nicht verstecken darf, sondern dass auch ich über meine größten Schwachpunkte, über Fehler, über die tiefen depressiven Stimmungen, über Drogenkonsum, der stattgefunden hat, sprechen möchte – und durch diese Nähe sehr direkt einfach klarmachen möchte, es ist alles okay in der Trauer, es gibt nichts, was man falsch machen kann.
Was mir tatsächlich am meisten geholfen hat, viel mehr als die Literatur und auch als die Filme, das waren die Gespräche mit anderen Menschen, die Erfahrungsberichte von anderen, bei denen man sehen konnte, sie verstehen dich auf eine Art, wie manch anderer dich nicht verstehen kann, und sie sind auch aus dieser tiefen Phase wieder herausgekommen.
"Ich leide nicht mehr unter dieser Trauer"
Burg: Wie hat denn jetzt das Reden über den Film, denn den Film gibt es nun auch schon seit einem Jahr, ihr eigenes Verhältnis zu Angi verändert? Inwieweit überlagern jetzt vielleicht auch die Bilder des Filmes die eigene Erinnerung?
Brehmer: Erinnern ist immer wieder ein neues Schreiben, das sage ich auch im Film – was vermisse ich eigentlich, wenn ich an Angi denke, vermisse ich sie oder uns oder mich, wer ich mal gewesen bin. Ich erzähle auch, dass sie langsam verblasst und mehr zu einer Idee wird und weniger konkret. Das viele Reden hat natürlich auch dazu geführt, dass man es auch einfach schon erzählt hat, dass auch manche Gefühle einfach schon gelebt wurden und dass man jetzt dadurch auch davon erzählen kann, dass es also nicht alles frisch ist, dass es nicht schmerzhaft ist.
Deswegen sag ich auch, ich würde mich nicht als Trauernden bezeichnen, denn ich leide nicht mehr unter dieser Trauer. Und gleichzeitig ist es so, ich habe gestern noch mal einen Ausschnitt des Films gesehen auf großer Leinwand und war dann doch wieder sehr berührt und sehr aufgewühlt, Angi dort zu sehen, und wurde plötzlich wieder zurückgeworfen in mein Leben mit ihr für einen ganz kurzen Moment.
Das war wunderschön und unglaublich traurig zugleich. Aber diese Ambivalenz der Dinge, die existiert auch seit dem Tod, dass alles wunderschön und traurig ist, dass diese zwei Seiten immer gleichzeitig existieren.
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