Erfahrungen in NRW

Wenn der Sonntag immer mehr zum Werktag wird

Zahlreiche Menschen laufen durch die Shopping-Meile Prinzipalmarkt in Münster (Nordrhein-Westfalen).
Hilft es gegen verödende Fußgängerzonen und die Konkurrenz des Onlinehandels, immer mehr Sonntage für den Verkauf zu öffnen? © imago/Rüdiger Wölk
Von Peter Kolakowski |
Der Trend geht deutschlandweit dahin, an immer mehr Sonntagen das Öffnen der Geschäfte zu erlauben. Nordrhein-Westfalen hat die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage kürzlich auf acht verdoppelt. Hilft das gegen die Online-Konkurrenz und verödende Fußgängerzonen?
Die Schildergasse in Köln gehört zu den umsatzstärksten Einkaufsstraßen - in Europa. Als Fußgängerzone kann man die Schildergasse allerdings kaum bezeichnen, wenngleich hier kein Auto fahren darf. Denn außer Geschäften gibt es hier nichts Interessantes, das zum Flanieren einlädt. Auch an diesem Sonntag haben alle Läden hier auf. Ohne Ausnahme. Ob Kaufhof oder C&A, ob Douglas, Vodafone, Sportcheck oder Karstadt.
Mit der Begründung, den stationären Handel zu stärken, hatte die Landesregierung Nordrhein-Westfalen aus CDU und FDP beschlossen, die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage auf acht pro Jahr zu erhöhen. Tatsächlich haben aber nur wenige Leute auf der Schildergasse Taschen und Tüten dabei. Es wird mehr geguckt als gekauft. Man kann sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass die Politik mit zusätzlichen Sonntagsöffnungen ein Bedürfnis nach mehr Konsum suggeriert, das so gar nicht vorhanden ist. Wie eine Trutzburg - oder doch schon wie ein Mahnmal? - ragt inmitten der Konsummeile die Antoniterkirche hervor. Während draußen die allermeisten in die Geschäfte statt in die Kirche strömen, bereitet sich Pfarrer Markus Herzberg in der Sakristei seelenruhig auf die Messe vor.
Autor: "Wie lange werden wir den Sonntag noch als Tag der Ruhe erhalten können, wenn wir sehen, was draußen abgeht?"
Herzberg: "Ich glaube, dass die Vielzahl der Menschen diesen freien Tag zu schätzen wissen. Oder auch wenn es draußen voll ist und anders zu sein scheint, glaube ich, dass ganz viele ein Gespür dafür haben, wie wichtig ein Tag der Ruhe und Unterbrechung ist. Und wenn man im Ausland ist, merkt man, wie anstrengend es ist, wenn es so durchgeht und die Taktung nicht aufhört und nicht unterbrochen wird. Und ich glaube und hoffe, dass die Deutschen sich das nicht nehmen lassen."
Der Trend, mehr Sonntage im Jahr für den Handel zu öffnen, ist bundesweit zu verzeichnen. NRW ist mit seinen acht Sonntagen vergleichsweise noch moderat - Berlin zum Beispiel genehmigt 16 Sonntage pro Jahr. Doch der Ruf nach mehr verkaufsoffenen Sonntagen wird immer lauter, vor allem die großen Handelsunternehmen wollen am liebsten an jedem Sonntag öffnen, sagt Hannes Kreller, Experte für Sozial-, Renten- und Arbeitnehmerrechte. Kreller ist beratend in der Allianz für den freien Sonntag aktiv, ein Zusammenschluss von Sozialverbänden, Gewerkschaft und beiden großen Kirchen.

Bundesverfassungsgericht gegen Sonntagsöffnung

"Auf der einen Seite ist es so, dass es einen mächtigen Wandel gibt im Bereich des Handels, insbesondere des Internethandels, und den nehmen viele Händler auch in Anspruch, um hier konkurrenzfähig zu sein, da müssen wir auch am Sonntag öffnen. Wobei sie vollkommen übersehen, dass eine Sonntagsöffnung in keinster Weise ein Widerstandspotenzial ist, um die Käufer in das eigene Geschäft zu locken. Denn das ist nur eine kleine Blase in der ganzen Situation. Das Zweite ist, dass die Politik hier ein Interesse daran hat, weil sie auf diese Art und Weise dem Handel und dem Druck, der vom Handel kommt, nachgeben kann, ohne dass es für sie einen Euro kostet.
Denn sie verändern dann die gesetzlichen Möglichkeiten und weisen damit nach, dass sie politisch handlungsfähig sind und bieten dadurch dem Handel die Möglichkeit, ihre Kapazitäten auszuweiten. Und die Politik steht dann in einem guten Licht da, ohne dass sie die ganze Wahrheit dazu sagen. Dass das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht hat, dass das nur unter bestimmten Auflagen möglich ist - und diese Auflagen verschweigen dann oftmals die Politiker, und lassen dann den Einzelhandel ins Messer laufen, wenn es dann darum geht, bestimmte gesetzliche Grundlagen einzuhalten."
Das Bundesverfassungsgericht hatte nämlich bereits 2004 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass der Sonntag der Ruhe und geistigen Erbauung vorbehalten sein müsse. Das Gericht beruft sich dabei auf Artikel 140 des Grundgesetzes. Eine Ausnahme darf nur in engen Grenzen erlaubt werden, zum Beispiel bei Stadtfesten oder anderen größeren Veranstaltungen, oder auch in der Vorweihnachtszeit. Indes: Ist eine solche Regelung in Zeiten von Internet und europaweit offenen Grenzen noch wirklich zeitgemäß?
Von Köln geht es weiter zum Einkaufsbummel nach Herzogenrath, einem beschaulichen Städtchen unweit von Aachen, direkt an der holländischen Grenze. Die Holländer machen schon lange vor, wie sich auch in Deutschland der Handel verändern könnte. Ladenschlusszeiten gibt es in Holland so gut wie keine, auch sonntags kann jeder öffnen, wann er will. In der Herzogenrather Kirche findet an diesem Mittag noch die Chorprobe für die Abendmesse statt.
Draußen vor der Kirche sind die Straßen und Plätze gleichwohl gut gefüllt. Auf dem Marktplatz stehen kleine Buden, alle Geschäfte haben geöffnet.

Immer neue Konzepte in Herzogenrath

Ina Hauswirth ist Inhaberin einer kleinen, feinen Modeboutique in der Appolloniastraße und Erste Vorsitzende des örtlichen Gewerbevereins.
"Wir beteiligen uns alle am verkaufsoffenen Sonntag, es macht Spaß, die Leute haben gute Laune, man kann sich umschauen.
Autor: "Wäre es aus Ihrer Sicht nicht wünschenswert, noch mehr Sonntage im Jahr offen zu halten?"
Hauswirth: "Ich glaube, das macht keinen Sinn, das ist dann wie ein normaler Wochentag und nichts Besonderes mehr. Da gibt’s immer noch die Möglichkeit, zumindest bei mir ist es so, auch nach Feierabend einen Termin zu vereinbaren, um dann einzukaufen in Ruhe. Oder es gibt so ein Shopping-Date als Angebot für Geburtstage oder Junggesellenabschiede, die kommen dann einfach mit fünf, sechs, sieben Frauen, können dann anprobieren, in Ruhe aussuchen, Gläschen Sekt trinken, das ist schon ein Erlebnis. Dass die Holländer auch nicht so gerne jeden Sonntag einkaufen gehen, das ist dann ganz normal und macht dann keinen Spaß."
Ina Hauswirth und ihre Handelskolleginnen und -kollegen probieren daher immer mal wieder neue Konzepte aus, um die Kunden in die Läden zu locken - während der Woche.
Einen Steinwurf von Frau Hauswirths Boutique liegt das alteingesessene Spielwarengeschäft von Astrid Kritzmin. Ein junger Vater steht mit Frau und Kind am Tresen und möchte etwas umtauschen.
Autor: "Was hat der Kunde jetzt umgetauscht?"
Astrid Kritzmin: "Ein Pferd, da ist das Ohr abgebrochen und wir machen das als Service, es auszutauschen."
Mann: "Ja, im Endeffekt ist der Einzelhandel dann wieder der bessere Faktor, weil man dann, wenn was kaputt geht, es austauschen kann, bei Amazon hätte man da schon Probleme, ja."
Autor: "Das wäre ja wunderbar, für Sie am Sonntag aufzuhaben, dann könnten die Kinder zusammen mit ihren Eltern ganz viel Spielzeug kaufen!"
Kritzmin: "Einerseits ja, auf der anderen Seite sollte man es begrenzen, vier bis fünf Sonntage im Jahr reichen völlig aus, dass Familien mit Kindern zusammen einkaufen gehen können."
Autor: "Rechnen Sie denn nicht mit mehr Umsatz, wenn mehr Sonntage offen sind? Sie sind ja auch an der holländischen Grenze, da sind die Geschäfte ja auch sonntags regulär offen."
Kritzmin: "Wir haben festgestellt, dass sich das Ganze nur verschiebt. Also mehr gekauft wird im Grunde nicht. Dafür ist dann der Montag und der Dienstag anschließend was ruhiger."

In Kevelaer wurde jahrzehntelang Recht gebrochen

Neue Konzepte müssten also her, damit die Fußgängerzonen nicht ausbluten. Wie im rheinland-pfälzischen Wittlich, wo Händler, Stadtarchitekten und Marketingexperten gemeinsam mit der Verwaltung pfiffige Ideen entwickelt haben, um den stationären Handel insgesamt zu stärken, zum Beispiel mit günstigen Mieten und kostenlosen Marketingschulungen. Immer gut für eine Stadt – Sehenswürdigkeiten oder traditionelle Festivitäten, die sich gleichzeitig auch als Kaufmagnet anbieten.
Auch das Örtchen Kevelaer am Niederrhein gehört dazu. Der Ort ist heilig und als Wallfahrtsort international bekannt. In die Geschichte wird die Stadt aber auch deshalb eingehen, weil hier über Jahrzehnte Sonntag für Sonntag Recht gebrochen wurde. Mit Billigung der örtlichen Verwaltung sowie der Bezirks- und Landesregierung. Damit ist allerdings Schluss. Ortserkundung vor der Kirche und in der Fußgängerzone:
Frau: "Das war ganz gut, dass die offen hatten. Die Leute, die hier verkehren, wollen vielleicht auch mal gemütlich was unternehmen."
Andere Frau: "Andererseits: Die Sonntagsruhe sollte gewahrt werden. Aber das geht nicht."
Die Kevelaer stehen weitgehend geschlossen dahinter, sich hier über geltendes Recht hinweggesetzt zu haben. Und schwanken zwischen fehlendem Unrechtsbewusstsein, gespielter Ahnungslosigkeit und der Forderung, geltendes Recht im Sinne Kevelaers anzupassen.
Frau: "Die haben ja Devotionalien verkauft und das ist ja alles, was mit der Kirche zu tun hat."
Autor: "Sind Pelze und Kloschüsseln Devotionalien?"
Frau: "Nee, das ist richtig. Das durften die nicht. Weiß ich nicht, ob die jahrelang verstoßen haben."
Autor: "32 Jahre, stand sogar in der Presse. Die hatten ja sogar Weihnachten auf!"
Frau: " Ja aber wenn sie nach England fahren oder nach Holland, da haben die das auch."
Autor: "Aber das macht das es doch nicht besser, wenn wir hier ein Gesetz haben, oder?"
Frau: "Nee auf gar keinen Fall."
Autor: "Gehört der Sonntag nun den Geschäften oder dem Herrn?"
Mann: "Sowohl als auch. Auch ohne Moos kann die Kirche nicht leben und ohne Kirche kann Kevelaer nicht leben. Meiner Ansicht nach sollte zumindest in Nordrhein-Westfalen freigegeben werden, dass jeder seinen Laden losmachen kann wie es ihm passt. Sie können online einkaufen, sie können an den Tankstellen einkaufen, das ist alles erlaubt. Wo bleibt denn dann der Tag der Ruhe?"
Frau: "Wen hat's gestört, die Kevelaer hat es doch gar nicht so gestört. Haben wir darüber abgestimmt, ob die Supermärkte bis 22 Uhr auf hatten?"
Sozialexperte Hannes Kreller bestätigt die Befürchtung der Gewerkschaften, dass sich der Sonntag durch solche Alleingänge schleichend zum normalen Werktag wandeln könnte.
"Wir erleben das auch, dass im Produktionsgewerbe an immer mehr Sonntagen gearbeitet wird, und dies im Zusammenhang dann auch mit Schichtdienstregelungen. Auch von den letzten Berichten der Bundesregierung über kleine Anfragen der Parteien dann veröffentlicht wurden, dass es kontinuierlich mit der Sonntagsarbeit nach oben geht. Dass es auch kontinuierlich Berichte über Sonntagsarbeit gibt. Wie sie fortschreitet. Wir fordern, dass die Überwachungen von Sonntagsarbeit zunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutige Vorgaben gemacht, und die Kommunen halten sich nicht an die Vorgaben. Sie sind im Grunde diejenigen, die die Gesetze übertreten, und wir haben gemeinsam mit Verdi und anderen Organisationen bereits über 100 Prozesse gegen Kommunen geführt.

Aktivisten gegen Sonntagsöffnung angegriffen

Nur dem zähen, über Jahre dauernden Einsatz einiger Bürger wie dem Ehepaar Fischer ist es zu verdanken, dass sonntags in Kevelaer wieder Ruhe eingekehrt ist. Sie schrieben immer wieder an die Verwaltung, die Bezirks- und Landesregierung, auch an das Erzbistum Münster. Auf eine Antwort des Bischofs warten sie heute noch.
Autor: "Wer hat Ihnen denn geholfen? Stand Ihnen jemand bei von Seiten des Rates, Polizei, Ordnungsamt, Verwaltung?"
Sabine Fischer: "Nein, keiner, im Gegenteil! Obwohl auch die Landesregierung, die Bezirksregierung, Verdi geschrieben hatte, hatte es trotzdem noch sehr lange gedauert, bis die Verwaltung eingesehen hat, dass sie jetzt tätig werden muss; wenn jetzt keine Tätigkeit von Seiten der Verwaltung erkennbar ist, dass dann jemand von der Bezirksregierung dort installiert wird."
Gerald Fischer: "Der jetzige Bürgermeister, den hatte ich kontaktiert und ihm mitgeteilt, dass es Steckbriefe gibt, den man von mir gemacht hätte, und seine einzige Reaktion war: 'Ja, mit so einer Aktion macht man sich nicht nur Freunde.' Dieser Mann ist von Berufs wegen Rechtsanwalt. Wir wurden beschimpft auf der Straße, wir wurden angegriffen, angepöbelt. Und wir werden heute noch geächtet in der Stadt. Nur weil wir für ein bestehendes Gesetz einstehen."
Kreller: "Das Problem entsteht dann immer vor Ort, wenn die Einzelhändler vor Ort oftmals auch in kirchlichen Gremien mitarbeiten, sich ehrenamtlich engagieren. Auch sehr viele soziale Projekte der Kirche mit unterstützen, und dann sagen: Wir helfen so viel der Kirche, und jetzt helft ihr mal uns, damit wir am Sonntag öffnen können. Aus der Begründung heraus fordern wir ja, dass die Entscheidung über die Frage der Sonntagsöffnungen nicht auf die örtliche Kommune trifft, sondern auf die Bezirksebene übertragen wird."
Auf der Fahrt zurück nach Köln auf der A40 quer durch das Ruhrgebiet fällt eines auf: Einrichtungshäuser und Baumärkte entlang der Autobahn sind offen. Ohne Genehmigung. Doch: Wo kein Kläger, da kein Richter. In Köln neigt sich der sonntägliche Einkauf dem Ende. Bereits kurz vor Ladenschluss um 18 Uhr hat sich vor dem Personaleingang des größten Warenhauses am Platz eine kleine Menschentraube gebildet. Ehemänner und -frauen, Kinder und Jugendliche warten auf Familienangehörige, die schließlich gegen 18:30 Uhr aus dem Kaufhaus strömen.
Frau: "Das ist nicht gut, man will den Sonntag genießen, dafür ist der Sonntag da. Dafür hat man frei. Unsere Meinung zählt nicht als Arbeitnehmer. Aber, das Gute bei uns ist, da gibt’s eine Liste, da können sich die Arbeiter freiwillig eintragen."
Andere Frau: "Es gibt aber genug Fremdfirmen, die halt sowas nicht entscheiden können."
Mann: "Aus Arbeitnehmersicht sehe ich das schon irgendwie grenzwertig. Man wird langfristig dazu genötigt jeden Tag zu arbeiten."
(abr)
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