Die Ein-Dollar-Brille für Entwicklungsländer
Vielen Menschen, gerade in Entwicklungsländern, fehlt selbst für eine Brille das Geld. Martin Aufmuth aus Erlangen wollte daran etwas ändern und hat ein Modell entwickelt: für einen Dollar Materialkosten. Die Brillen sollen in den Ländern selbst hergestellt werden.
Die Biegemaschine ist transportabel. Sie funktioniert ohne Strom, überall. Ob in Afrika, Südamerika, Bangladesch oder in Erlangen, in einem schmalen Reihenhaus:
"Wir haben hier in dieser Holzbox, die ist 30 mal 30 cm groß, haben wir eine Brillenfabrik drin, wenn wir da mal reinschauen. Dann kann man eben hier hinten den Draht reinstecken, (Geräusch) so den führt man hier ein, dann kann ich bei der roten Markierung die Bogenlänge ablängen."
Der Federstahldraht, einen Millimeter stark, wird dann mehrfach gebogen. Das ist eigentlich schon alles. Es braucht keine Schrauben, keine extra Scharniere. Doch das Biegen muss exakt sein, damit die Brille symmetrisch ist und die Gläser auch wirklich im Gestell halten.
Und dass das so einfach geht, ist das Geheimnis der Konstruktion, an der Martin Aufmuth monatelang in seiner Werkstatt im Keller getüftelt hat: Der Draht wird mit einem Hebel auf einer Aluminiumplatte in Form gebracht:
"Den nächsten 90-Grad-Knick, noch mal vier Millimeter, nächster 90-Grad-Knick, dann braucht man hier eine drei Millimetereinstellung auf die rechte Seite geknickt und dann haben wir schon die erste Lasche für die Brillengläser hier fertig, die dann eben in das Glas eingreift und das Brillenglas in das Gestelle einklemmt."
Dem schlanken 40-Jährigen geht das Biegen flink von der Hand, Klavierspielerhände könnten das sein. Seine langen grauen Haare hat Martin Aufmuth nach hinten gebunden. Und auch er trägt eine Brille. Allerdings kein Ein-Dollar-Modell, seiner Frau zuliebe, der das zu viel geworden wäre, nachdem er sich sowieso schon den ganzen Tag mit nichts anderem mehr beschäftigt.
Die Lehrerstelle aufgegeben
Im Herbst hat der dreifache Familienvater für das Projekt, bei dem er nun als geschäftsführender Vorstand angestellt ist, sogar seine Stelle als Realschullehrer aufgegeben. Die Ein-Dollar-Brille ist nicht das erste Weltverbesserungsvorhaben, das Martin Aufmuth angepackt hat. Zuvor hatte er schon einen preisgekrönten Klimaschutzwettbewerb initiiert, an dem sich über 45.000 Kinder und Jugendliche beteiligt hatten.
"Persönliches Engagement und soziales Engagement, das hat schon auch eine gewisse Familientradition glaube ich."
Aufgewachsen ist er auf dem Land, in einem kleinen Bauerndorf im Allgäu. Der Vater Psychologe, die Mutter Grundschullehrerin und sehr engagiert im Ort:
"Ich habe aber auch seitdem ich klein war so ein Gefühl von einer globalen Ungerechtigkeit, als Kind kriegt man das auch schon mit, dass woanders Leute verhungern oder an einfachen Krankheiten sterben, und hab da immer auch ein schlechtes Gewissen, dass man da nichts tut von uns auch, das hab ich auch beibehalten."
Als Kind wollte er Erfinder werden, was ja nun auch in Erfüllung gegangen ist:
"Jetzt können wir das mal ausprobieren, jetzt können wir zwei Gläser mal einklicken, und dann geht's eben drum, dass die Gläser parallel liegen müssen."
Ein abgeklärter Idealist
Martin Aufmuth ist Idealist, aber einer von der abgeklärten Sorte: Es reicht nicht, Gutes zu tun, es muss auch das strategisch Richtige sein. Die Brillen sollen deshalb auch vor Ort hergestellt und nicht verschenkt, sondern verkauft werden. Zu einem von jedem bezahlbaren Preis von zwei bis drei ortsüblichen Tageslöhnen.
"Ich werde auch oft gefragt, warum wir die Brillen nicht verschenken, mit dem Verschenken ist das so eine Sache, weil zum einen kann ich natürlich niemals 150 Millionen Leute mit Geschenken dauerhaft erreichen, weil die Brillen gehen ja auch kaputt. Nach ein, zwei Jahren sind die verkratzt. Das heißt, die brauchen dann Neue. Wenn die Brille geschenkt war, gibt's in der Regel keinen Nachschub. Auf der anderen Seite zerstören halt auch Geschenke oft auch die Mentalität, insofern dass dann Leute, wenn sie was geschenkt bekommen, dann erwarten sie dass sie immer was geschenkt bekommen und kommen gar nicht auf Idee, dass sie selber aktiv werden, um sich zum Beispiel die Brille zu ersparen."
Die Projekte sollen sich auf Dauer selbst tragen können. "Social Business" zum Nutzen aller Beteiligten: Die Hersteller verdienen etwas, die Händler und Optiker auch, die mit den Brillen übers Land ziehen und die Brillengläser sofort in der passenden Stärke einsetzen können. Und das Leben der Menschen, die besser sehen können, verändert sich von Grund auf: Kinder kommen in der Schule leichter mit, weil sie nun besser lesen und lernen können. Erwachsene können wieder arbeiten gehen und für ihre Familien sorgen. Auf 120 Milliarden Dollar wird der Verdienstausfall geschätzt, weil so viele Menschen weltweit schlecht sehen. 120 Milliarden Dollar – in etwa so viel wie die gesamte Entwicklungshilfe.
Von Bangladesch über Nicaragua nach Malawi
Martin Aufmuth ist mit seiner stetig wachsenden Organisation inzwischen in zehn Ländern unterwegs, von Bangladesch über Nicaragua bis nach Malawi, wo er zuletzt selbst vor Ort war. Energie hat er scheinbar genug:
"Ich glaub, wenn man einfach so ein großes Ziel hat, wenn man weiß, was man erreichen möchte, in unserem Fall, dass wir viele Millionen Leute mit Brillen versorgen und das Leben von ihnen verändern, dann bekommt man auch die notwendige Energie, einfach durch die innere Motivation, weil ich eben weiß, was ich erreichen möchte."
(Arbeitsgeräusch)
"Jetzt müssten wir noch die Bügelenden rund biegen, dass die entsprechend der Kopfgröße auch bei den Ohren richtig sitzen. Können wir hier noch machen, die Bügel hier nach unten, und dann ist die Brille eigentlich fertig. Könnte man jetzt in den afrikanischen Busch und die Brille verkaufen‚ genau."