Eine Kunststofftüte ganz ohne Plastik
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Ein Unternehmen in Chile hat eine Kunststofftüte entwickelt, die sich innerhalb von fünf Minuten im Wasser auflöst. Könnten so die Milliarden von Plastikverpackungen vermieden werden, die jährlich in unseren Meeren landen?
Sie ist ziemlich unscheinbar und etwas milchig, wie eine ganz normale Plastiktüte. Sie knistert nur nicht.
"Sie sieht ähnlich aus, sie fühlt sich ähnlich an, aber unsere Mischung enthält null Prozent Plastik", sagt Roberto Astete. Der Chilene lächelt - er hat guten Grund dazu. Der stämmige Mittvierziger hat eine Kunststofftüte ganz ohne Plastik erfunden. Dafür hat er ein kleines Experiment vorbereitet. Auf einen Tisch steht eine große Glasschüssel, in die legt er die Tüte hinein.
Astete bringt Wasser zum Kochen und gießt es langsam in die Schüssel, in der die Tüte liegt, rührt um.
Erst frisst das heiße Wasser große Löcher in die Tüte, dann nach wenigen Minuten hat sie sich komplett aufgelöst. Stolz schaut Astete in die Runde. Übrig bleibt Wasser, das man sogar noch trinken kann.
Eigentlich ein toller Marketingclou, aber der Chilene ist kein Mann für die ganz große Show. Er bleibt lieber nüchtern bei den Fakten. "Wir werben nicht damit, denn schließlich ist das kein Spiel, sondern ein Produkt, mit dem man etwas transportieren soll. Aber ja, eigentlich kann man das Wasser trinken. Das ist kein Problem."
Das genaue Rezept bleibt sein Geheimnis
Was aber steckt in der Tüte, wenn sie nicht aus Plastik ist? "Die Grundlage ist eine Mischung aus Polyvinylalkohol und anderen Stoffen wie Zucker und Stärke, die alle unbedenklich sind für den menschlichen Körper", erklärt Astete. "Diese Mischung sorgt für die nötige Stabilität."
Polyvinylalkohol – ein wasserlöslicher Kunststoff – wurde schon vor mehr als hundert Jahren entwickelt. Allerdings muss Astete lange herumprobieren, bis er die richtige Mischung gefunden hat. Das sei wie beim Backen, erläutert er.
"Wenn du Brot backen willst, dann reicht es nicht, wenn du nur Mehl nimmst, du brauchst auch noch Wasser und vielleicht ein bisschen Hefe, damit am Ende Brot dabei herauskommt. Bei uns ist das Mehl eben Polyvinylalkohol, das ist die Grundlage."
Chile verbietet schrittweise Plastiktüten
Dabei ist Astete weder Bäcker noch Chemiker, sondern studierter Wirtschaftsingenieur. Das genaue Rezept ist natürlich ein streng gehütetes Geheimnis. Nun produziert der selbstbewusste Erfinder mit seinem Unternehmen Solubag kleine Pellets, aus denen sich Einweg- und Mehrwegtüten herstellen lassen.
Durch die spezifische Mischung der Zutaten kann er festlegen, bei welcher Wassertemperatur sich die Tüten im Wasser auflösen – und so verhindern, dass der Beutel mit den Einkäufen schon bei einem kalten Regenschauer auf dem Nachhauseweg zerfällt.
Auf dem heimischen Markt in Chile ist Astete mit seinen Tüten längst präsent. Geholfen hat ihm dabei seine jahrelange Erfahrung in der Plastik- und Recyclingindustrie. Und natürlich ein Gesetz von 2018, das Plastiktüten in dem südamerikanischen Land schrittweise verbietet.
"Viele große Unternehmen, die Plastiktüten produziert haben, sind pleite gegangen, weil das ein sehr spezielles Produkt ist und in Chile sämtliche Tüten verboten sind, die auf Ölbasis hergestellt werden. Aber wir haben eine Alternative, und wir arbeiten mit verschiedenen Unternehmen zusammen, die ihre Produktion auf unser Produkt umstellen."
Vor allem die Kinder mögen seine Erfindung
Die meiste Zeit des Jahres ist Astete unterwegs, um neue Partner anzuwerben und bestehende Kontakte zu pflegen. In vielen lateinamerikanischen Ländern, aber auch in den USA und einigen EU-Staaten wie Tschechien und Italien vertreibt er bereits sein Produkt. Nun will er mit seiner plastikfreien Wundertüte auch den deutschen Markt erobern.
"Alle Unternehmen, die heute Plastiktüten produzieren, laden wir ein, es mit unserem Material zu probieren, damit sie ein neues, umweltfreundliches Produkt herstellen können", sagt Astete.
Natürlich treibt ihn dabei sein unternehmerischer Ehrgeiz an. Aber er hat auch eine Mission. "Plastik ist schon Teil unserer Nahrungskette - wir essen Plastik. Wenn wir unser Verhalten nicht ändern, dann sind die Folgen unabsehbar, denn Plastik ist ein Material, das unser Körper nicht aufnehmen kann."
Die größten Fans seiner Erfindung sind Kinder und Jugendliche, so wie sein eigener Sohn. Regelmäßig stellt Astete die Erfindung in Schulen vor. Dort trifft er auf viele offene Ohren.
"Ich glaube, dass es die Kinder sind, die den Erwachsenen zeigen werden, wie diese Technik funktioniert. Das ist ja ziemlich einfach. Man braucht lediglich ein bisschen guten Willen und Wasser – und schon ist Schluss mit der Umweltverschmutzung. Für die Kinder ist das wie ein Spiel oder ein Zaubertrick, mit dem man in zwei, drei Minuten etwas verschwinden lassen kann, von dem wir bisher immer dachten, dass es uns bis in alle Ewigkeit erhalten bleibt."
*Wir haben in diesem Beitrag die Überschrift korrigiert.