Technisch revolutionär und abhörsicher
Seit dem NSA-Skandal ist vielen Menschen klar, wie leicht E-Mails mitgelesen und Telefone abgehört werden können. So manch einer dürfte sich eine Technik zurückwünschen, die vor 150 Jahren in Betrieb ging, und die tatsächlich so gut wie abhörsicher war: die Rohrpost.
Der Postbeamte stempelt den Rohrpostbrief, steckt ihn in eine runde Metallbüchse und öffnet einen Hahn. Ein Luftstrom erfasst die Büchse, drückt und saugt sie durch ein unterirdisches Rohr.
"Mit etwa 40 bis 50 Stundenkilometern."
Ohne Halt rutscht sie unter Kreuzungen und Staus durch, bis sie nach wenigen Minuten am Zielpostamt ankommt. Dort öffnet ein Beamter die Büchse, nimmt den Brief heraus und reicht ihn einem Eilboten weiter, der zum Empfänger fährt.
So funktionierte die Rohrpost in Berlin. Durch gerade einmal sechseinhalb Zentimeter messende Röhren rutschten Kolonnen von lederummantelten Metallbüchsen von Postamt zu Postamt, vorangetrieben von Kompressoren, die Luft in diese Röhren hineindrückten oder heraussaugten. Zeitweilig verband ein über 400 Kilometer langes Netz unterirdisch mehr als 90 Postämter. Nur eine Stunde, nachdem der Brief eingeworfen wurde, sollte er beim Empfänger sein, versprach die Post. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Wien, Prag, Rom oder Paris – dessen Rohrpostnetz sogar noch größer war - wurden Eilbriefe per Luftdruck durchs Rohr geschossen.
In Berlin feierte die Post bis in die Siebzigerjahre hinein den 18. November 1865 als Rohrpost-Jahrestag. Denn an diesem Sonnabend pendelten zum ersten Mal die Metallbüchsen regelmäßig zwischen dem Haupttelegrafenamt und der Börse. "Pneumatische Depeschen Beförderung" nannten die Beamten das seinerzeit, das Wort "Rohrpost" gab es noch nicht.
"Nun werden (...) die Manuskripte der auf der Börse aufgegebenen telegraphischen Depeschen in der Zeit von ein bis eineinhalb Minuten nach dem Telegraphen-Amte befördert."
"In beliebiger Zahl auf einmal, in einer einzigen Kapsel verschlossen."
"Sie erspart sehr viel Zeit und Arbeitskraft."
Kondenswasser und Eis in den Postrohren
Doch die neue Technik unterschied sich noch sehr von der späteren Rohrpost. So glitten die Metallbüchsen nicht durchs Rohr, wie später üblich, sondern rollten auf Rädern. In den Rohren entstand Kondenswasser, und weil die Rohre nur knapp unter der Erde lagen, gefror es im Winter, und die Wagen steckten fest.
Wenige Jahre später, nach den Kriegen von 1866 und 1870/71, wird Berlin zur Deutschen Hauptstadt. Ein Boom setzt ein, die Stadt wächst, erhält eine Kanalisation, Wasserleitungen, Gasleitungen – kurz: das Chaos auf den Straßen ist unbeschreiblich. In dieser Situation beschließt die jetzt kaiserliche Post, die "pneumatische Depeschenbeförderung" einzustellen und durch einen neuen Dienst mit verbesserter Technik zu ersetzen. Diesen tauft Generalpostmeister Heinrich von Stephan "Rohrpost", sie wird ein großer Erfolg. Sie ist länger, ihre Rohre liegen tiefer im Boden und vor allem: jetzt gleiten die Büchsen auf Ledermanschetten durchs Rohr."
In den folgenden Jahrzehnten erweitert die Post das Rohrpostnetz, rüstet es technisch auf, baut es um. Und noch nach dem Zweiten Weltkrieg gilt es als wichtige Briefbeförderungs-Technik.
Doch in den 50er Jahren setzen sich Telefon und Fernschreiber durch. Jetzt gilt: "Ruf doch mal an" – statt: "Schreib mal wieder". Und so fragt 1961 ein Reporter den Leiter der Berliner Landespost angesichts des immer noch laufenden Rohrpostnetz–Ausbaus:
"Herr Bautz, wer benutzt überhaupt das Berliner Rohrpostnetz?"
Ja, also es ist einmal interessant hier für Geschäftsleute oder auch für Privatpersonen, die zum Beispiel nach Tempelhof noch einen Brief unbedingt aufgeben wollen, wenn sie wissen, dass die Maschine dann und dann abfliegt, und zum anderen haben sie die Möglichkeit hier am Rohrpost-Kassenscheckdienst mit dieser Rohrpost teilzunehmen, so dass sie jetzt etwa um 14:00 Uhr ihr Geld im Postamt abholen können."
Nur 23 Monate später streicht die Bundespost das Angebot "Rohrpostbrief", 1972 gibt die Westberliner Landespost ihren Rohrpostteil nach 107 Jahren auf. Zu dieser Zeit rutschen noch 5.000 Telegramme und Eilbriefe täglich durch das 63 Kilometer lange Ost-Berliner Netz, gesteuert vom Postamt in der Oranienburger Straße. Doch auch der Post in der DDR wird der Betrieb zu teuer, und so schläft er Ende der Siebzigerjahre endgültig ein.