Erfolg aus Tradition
Das erste Pianoforte kam aus Italien, wo Bartolomeo Cristofori vor 300 Jahren das Hammerklavier erfand. Der Durchbruch kam aus Seesen im Harz - denn dort baute ein Mann namens Heinrich Steinweg 1825 sein erstes Klavier. Später wanderte er aus und gründete in New York in eine Firma - der Rest ist Legende. Seit 150 Jahren steht der Name "Steinway" für allerfeinste Flügelbauerkunst. Gerade mal 4500 Klaviere und Flügel werden jedes Jahr, höchst aufwändig, in Handarbeit hergestellt. Das einzige Werk außerhalb der USA liegt in Hamburg-Bahrenfeld, und zwar seit 1880. Am 01. Oktober wurde die Fabrik eröffnet.
Die Männer tragen bodenlange Gummischürzen. Handschuhe bis zu den Ellenbogen und Gummistiefel. Man glaubt eher, man sei in einer Abdeckerei. Nicht in einer Klavierfabrik.
Die Männer kleistern Holzschichten übereinander. Ahorn, Mahagoni; kein Pressspan. Heben sie - hauruck, hundert Kilo -, und schleppen den meterlangen, nicht sehr breiten Streifen zu einer Biegepresse, spannen ihn ein und formen aus dem leimkleckernden Holz: das Gehäuse des Flügels, den Rim.
Dennis Otto: " Mit der Heizung, die wir dafür haben, kann er nach zwei Stunden wieder raus. Nach zwei Stunden ist der fertig gebacken, sozusagen. Dann er geht in Keller, und da muss er dann erstmal circa sechs Monate lagern. Die Feuchtigkeit muss raus. "
Früher hat Dennis Otto noch Krafttraining gemacht. Heute ist das nicht mehr nötig.
Das erste Klavier war ein Hochzeitsgeschenk, zusammengetüftelt in einer Küche in Seesen im Harz, 1825. Der junge Förstersohn Heinrich Steinweg heiratet seine Braut Juliane und schenkt ihr ein "Fortepiano". Steinweg liebt die Musik, in der Schlacht bei Waterloo blies er das Horn zum Angriff gegen den Feind, im Feldlager bastelte er Mandolinen und Zithern. Er wird Tischler, doch die strenge Zunftordnung verbietet ihm zunächst den Bau von Musikinstrumenten. Zu Hause in seiner Küche baut Steinweg seinen ersten Flügel. Der Herzog von Braunschweig wird einer seiner ersten Kunden.
Der Maschinensaal ist eine große Industriehalle, und wenn man die hohen Holzstapel sieht, könnte man meinen, hier werden Einbauküchen hergestellt. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man Flügelteile. Ein Bein. Einen Deckel. Ein Mann in kurzen Hosen schleift ein Rim.
Stefan Wiesner: " Hier werden Stimmstock und der Querblock eingeleimt. Diese Anspitzung werden an der Maschine gemacht ... "
Ein Steinway ist Handarbeit. Doch seit fünf Jahren bohren computergesteuerte Präzisionsmaschinen Dübellöcher in den Rim, fräsen das Bodenlager, auf dem später der Resonanzboden aufliegt, den Resonanzboden selbst. Als Stefan Wiesner das Flügelgehäuse aus der Anlage fährt, ist es voller kringeliger Sägespäne - lustig sieht das aus, wie in einer Bastelwerkstatt...
Wiesner: " Wo gehobelt wird, fallen Späne. "
Von der Noblesse eines schwarzpolierten Konzertflügels keine Spur.
1853 gründete Heinrich Steinweg eine Firma, in New York, wo er sich inzwischen wegen der besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen niedergelassen hat. Heinrich nennt sich "Henry", das Unternehmen trägt den Namen "Steinway and Sons" und ist eine Aktiengesellschaft. Auch sein Geschäftsmotto ist sehr amerikanisch: to built the best piano possible.
Bereits 1860 gelten seine Instrumente als derart ausgefeilt, dass die Konkurrenz beginnt, das "Steinway System" zu kopieren. Henry Steinway, sein Bruder - ein Ingenieur und Akustiker - sowie seine Söhne - ebenfalls Klavierbauer und -techniker - melden an die einhundert Patente an. Bezüglich der Rimbiegung. Bezüglich der Ganzgusseisenplatte. Bezüglich der Hämmer und der kreuzweise gespannten Stahlsaiten.
Alles, bis auf die Ganzgusseisenplatte oder die Schafwollfilze, wird noch heute, im eigenen Haus hergestellt. Wird, bis heute, nach alten Vorlagen und Patenten gefertigt. Es hat sich nicht viel verändert in 150 Jahren. Weder in New York, noch in Hamburg-Bahrenfeld.
Dennis Korlas schneidet Saiten zurecht. Der Flügel vor ihm sieht inzwischen auch aus wie ein Flügel - er hat Beine, er glänzt schwarz, der Resonanzboden wurde eingepasst und innen im Gehäuse liegt die massive Gusseisenplatte, über die Korlas gleich die rund 250 Saiten spannen wird.
Er trägt weiße Handschuhe, damit kein Schweiß die Saiten anlaufen lässt.
Sonja Kerr sitzt an einem Flügel, vor sich die Tastatur, die noch nicht fest verschraubt ist, an der Tastatur befestigt die Mechanik, deren 28 Hammerköpfe die Saiten anschlagen, sobald man die Tasten bewegt. Kerr richtet die Hammerköpfe so aus, dass sie die Saiten an ihrem optimalen Punkt treffen. Danach sieht der Flügel aus wie ein Flügel. Er hat Beine, er glänzt schwarz, er hat Saiten, er hat 28 Tasten. Er ist reif für die Teststrecke.
In einer schallgedämpften Kabine spielt die Einpaukmaschine - ein Roboter, eine Höllenmaschine - den Flügel ein. Eine Stunde lang. Jede Taste wird 10.000 Mal angeschlagen.
1996 notiert das Unternehmen an der Wallstreet, die Aktie wird unter dem Kürzel "LVB" wie Ludwig van Beethoven gehandelt. 1972 hatte Henry Z. Steinway, Heinrich Steinwegs Urenkel, die Klavierfabrik an den Medienriesen CBS verkauft.
Marketingdirektor Werner Husman in seinem Hamburger Büro. Gibt es irgendetwas, das er kritisieren könnte an einem Steinway - außer vielleicht den Preis...?
Husmann: " Sie meinen: den Wert... (lacht) "
Ein Steinway hält so lange, dass er die meisten seiner Kunden nur einmal sieht. Vom Generationenvertrag spricht der Mann, dass, anders als bei der Rente, bei der niemand weiß, was am Ende übrig ist, noch die Enkel von einer solchen Anschaffung profitieren. Die Preise bewegen sich zwischen 20.000 und 100.000 Euro, Sonderwünsche kosten extra, doch nichts ist unmöglich. Neulich kam ein Kunde mit einer rosa Schublade mit goldenen Schnitzereien. Inzwischen passt sein neuer Flügel perfekt zur Möblierung des Salons. Es gibt Finanzierungspläne und auch Leasingangebote.
Husmann: " Über 90 Prozent aller Künstler spielen einen Steinway. In über 90 Prozent, wahrscheinlich 99 Prozent, der Konzerthallen der Welt stehen Steinways. Für uns ist es nach wie vor eine Motivation, diese unglaubliche Stellung zu behalten. Die letzten entscheidenden Innovationen für den Klavierflügelbau, die sind in den 30er, 40er Jahren gewesen. Und was wir gemacht haben oder uns verlagern: Wir versuchen, die Produktpräzision zu erhöhen. Das heißt im Teilfertigungsbereich werden jetzt auch verstärkt Hochpräzisionsmaschinen eingesetzt. Wir wollen eine Präzision haben, eine Fertigungstoleranz von unter 0,1 Millimeter. Das ist unser Ziel. Weil neue Patente oder so Bahn brechende neue Ideen - wenn Sie nicht in die Elektronik gehen wollen - dann ist das eigentlich, tja: fast unmöglich. "
Heinrich Steinweg und seine Nachfahren sparten und investierten, sie bauten 1860 die riesige Fabrik in der 52. Straße, dort, wo heute die Park Avenue entlangläuft. Man baute eine Arbeitersiedlung mit eigener Kirche, Schule, Bücherei, Feuerwehr, Post. Und man gründete 1880 die bis heute einzige Fabrik außerhalb der USA, in Hamburg. Das Werk in New York beliefert Nord-, Mittel- und Südamerika. Hamburg beliefert den Rest der Welt.
Husmann: " Das klassische akustische Klavier, der Flügel - da ist der Markt so wie er ist. Er schrumpft ein wenig, dafür kommen aber die asiatischen Märkte dazu, mit einer großen Zahl von Interessenten. Weltweit reden wir hier von 500.000 bis 600.000 Instrumente, die im Jahr gebaut werden. Und das hat sich in den letzten zehn Jahren eigentlich auch nicht viel geändert. "
In der Sunturi-Bunka Kaikan Hall in Tokio stehen 18 Steinways, der japanische Rundfunk besitzt 48. Trotzdem, sagt Husmann: Wer sind wir denn? Wir tragen einen großen Namen - aber in Deutschland sind wir ein mittelständisches Unternehmen, in den USA ein Kleinbetrieb.
Steinway verkaufte Flügel an die bedeutendsten Künstler und in die ruhmreichsten Konzerthallen der Welt. Man gründete eine eigene Künstler- und Konzertabteilung und betreute die geschätzten Kunden in allen Situationen des täglichen Lebens. "Ich habe meine Hosen und meinen Anzug im New Yorker Appartement liegen lassen", kabelte Ignaz Paderewski. "Und meine Tochter hat außerdem zwölf Schildkröten vergessen. Glaubt, sie seien in der Küchenspüle."
Werner Husmann über die Künstler- und Konzertabteilung:
" Ja, also diese Fälle kommen seltener heute vor (lacht) Wir sorgen in erster Linie dafür, dass das Instrument in Ordnung ist. Es ist sehr einfach, die Instrumente in der Philharmonie und in München im Herkulessaal in Ordnung zu halten, aber wir sind auch in Taiwan und Bejing und Shenzen. Wo immer das sein mag! Dort herrschen immerhin 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und 30 Grad. Oder es ist zehn Grad minus, Schnee und sie haben 20 Prozent Luftfeuchtigkeit. Dieses muss alles ein Steinway mitmachen. Der arme Künstler - im Gegensatz zum Violinisten, der hat sein Instrument dabei - der Pianist hat nicht 700 Kilo unterm Arm und stellt seinen eigenen Flügel auf. Sondern er muss immer den Flügel nehmen, der dort ist. Und dieses macht einen Künstler sicherlich nervös. Das würde mich auch nervös machen. Und das ist für ihn von größter Bedeutung, dass er, wenn er seiner Kunst nachgeht, auch wirklich das optimale Handwerkszeug dort hat. Und das ist eigentlich die größte Aufgabe unserer Abteilung Künstler- und Konzertbetreuung. "
Der Flügel, der längst aussieht wie ein Flügel, klingt jetzt auch so. Er durchläuft insgesamt sieben Stimmungen. Der Flügel klingt wie ein Flügel. Doch ein Steinway ist berühmt für die Brillanz seines Klangs.
" Ich hör mir den Klang an, und dann versuche ich herauszufinden, welche Töne mir nicht gefallen. Und hier ist zum Beispiel einer, der klingt so ein bisschen fester ... "
Gerd Fründ ist Intoneur. "Ich hoffe nicht, dass ich Elefantenohren habe", sagt er. Doch wie sollte er sonst die feinen Unterschiede hören? Ob ein Ton hart oder weich oder fest klingt. Brillant, klar und offen, voll, oder eben nicht? Fründ zieht die Klaviatur aus dem Flügel, hebt den Hammerkopf am Ende der Taste des für seinen Geschmack etwas zu harten Gs und sticht mit der Intoniernadel ein paar Mal kurz und fest in den Filz des Hammerkopfs. Ist da ein Unterschied...?
Fründ: " (lacht) " Ja, das hören ja viele nicht, aber das alles zeichnet einen Steinway aus: Dass man wirklich Kleinigkeiten macht und sich Mühe in der Ausarbeitung gibt. "
Jazz-Boogie-Woogie-Ragtime-Blues-Festival in einem Hamburger Möbelhaus. "Steinway and Sons" hat zehn schwarzpolierte Konzertflügel aufgestellt, zwischen Musterküchen, Lampenstudio, Schrankwänden und Schlafsofas. Ein Herr wippt in einem Schwingsessel, Servicepreis 1517 Euro, zwei Damen lümmeln sich in weißen Lederpolstern.
" Ja, ja, das ist schön bequem... (lacht) "
Eine Frau in Jeanskostüm und Lackschuhen singt, ein Herr mit Backenbart und gestreiftem Freizeithemd klatscht. Klavierspieler sind die wenigsten...
Mann: " (lacht) Die Klaviere sind mir drei Nummern zu groß. Nicht nur von der Größe, sondern auch vom Preis... (lacht) "
Mit dem gehobenen Einzelhandel kooperieren wir gern, sagt Marketingchef Werner Husmann, Product Placement ist tabu. Ein wenig "traurig" sei man bei Steinway, sagt er, weil alle Welt die schönen Flügel nur mit klassischer Musik verbinde. Dank der Präsenz bei Festivals ist Steinway in der Jazz-Szene heute bekannter als vor zehn Jahren. Aber HipHop, Punk, Pop?
Husmann: " Um diese Musik zu machen, ist nicht unbedingt ein klassischer Flügel notwendig. Keyboarder, die auf elektronischen Tasteninstrumenten hochgebracht wurden, die brauchen keinen klassischen Flügel. Es gibt eine Reihe von Popkünstlern, die auch einen Steinway zu Hause haben. Auf der Bühne spielen sie natürlich elektronische Geräte - sie brauchen nur ‘ne Steckdose, 220 Volt und spielen los. Und zum Beispiel die Instrumentenwarte an Radio- und TV-Sendern haben uns gesagt: Ja, Sie glauben doch nicht, dass ich für diesen Popmusiker den Steinway aus dem Keller hole, das kommt überhaupt (!) nicht in Frage! Und das ist eigentlich völlig unangebracht, weil ein Steinway liebt es, gespielt zu werden, und von wem ist eigentlich ziemlich egal. "
Am Ende Applaus für Joja Wendt, Vince Weber, Gottfried Böttger und ihre Pianistenkollegen. Dann stehen zehn schwarzpolierte Mythen zwischen Beistelltischchen und Anrichten - wie Außerirdische. Niels hat noch nie an einem Steinway gesessen. Probiers doch mal, sagt sein Vater.
Junge: " Ja, also die Tasten gehen schwer runter zu drücken. "
Rubinstein, Rachmaninow, Horowitz und Paderewski spielten ihn. Sting und Paul McCartney. Wagner, Mahler, Toscanini. Duke Ellington und Cole Porter. Helmut Schmidt hat einen und Meryl Streep. Wenn ein Flügel das Hamburger Werk verlässt, besteht er aus 12.000 Einzelteilen, hat 30 Arbeitsgänge hinter sich, hundert Handwerker und rund ein Jahr Arbeit. Er entstand zu 85 Prozent in Handarbeit. Fast wie 1825 in Heinrich Steinwegs Seesener Küche.
Helmut Schmidt hat einen und Meryl Streep. Werner Husmann, Mitglied der Geschäftsführung des Hamburger Steinway-Werkes hat auch einen. Kann ihn aber nicht spielen.
Husmann: " Das ist überhaupt nicht Image schädigend, weil, wenn ich spielen würde, würde ich damit jeden unserer Künstler beleidigen. War ‘ne sehr gute Antwort, nicht?... (lacht)
Die Männer kleistern Holzschichten übereinander. Ahorn, Mahagoni; kein Pressspan. Heben sie - hauruck, hundert Kilo -, und schleppen den meterlangen, nicht sehr breiten Streifen zu einer Biegepresse, spannen ihn ein und formen aus dem leimkleckernden Holz: das Gehäuse des Flügels, den Rim.
Dennis Otto: " Mit der Heizung, die wir dafür haben, kann er nach zwei Stunden wieder raus. Nach zwei Stunden ist der fertig gebacken, sozusagen. Dann er geht in Keller, und da muss er dann erstmal circa sechs Monate lagern. Die Feuchtigkeit muss raus. "
Früher hat Dennis Otto noch Krafttraining gemacht. Heute ist das nicht mehr nötig.
Das erste Klavier war ein Hochzeitsgeschenk, zusammengetüftelt in einer Küche in Seesen im Harz, 1825. Der junge Förstersohn Heinrich Steinweg heiratet seine Braut Juliane und schenkt ihr ein "Fortepiano". Steinweg liebt die Musik, in der Schlacht bei Waterloo blies er das Horn zum Angriff gegen den Feind, im Feldlager bastelte er Mandolinen und Zithern. Er wird Tischler, doch die strenge Zunftordnung verbietet ihm zunächst den Bau von Musikinstrumenten. Zu Hause in seiner Küche baut Steinweg seinen ersten Flügel. Der Herzog von Braunschweig wird einer seiner ersten Kunden.
Der Maschinensaal ist eine große Industriehalle, und wenn man die hohen Holzstapel sieht, könnte man meinen, hier werden Einbauküchen hergestellt. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man Flügelteile. Ein Bein. Einen Deckel. Ein Mann in kurzen Hosen schleift ein Rim.
Stefan Wiesner: " Hier werden Stimmstock und der Querblock eingeleimt. Diese Anspitzung werden an der Maschine gemacht ... "
Ein Steinway ist Handarbeit. Doch seit fünf Jahren bohren computergesteuerte Präzisionsmaschinen Dübellöcher in den Rim, fräsen das Bodenlager, auf dem später der Resonanzboden aufliegt, den Resonanzboden selbst. Als Stefan Wiesner das Flügelgehäuse aus der Anlage fährt, ist es voller kringeliger Sägespäne - lustig sieht das aus, wie in einer Bastelwerkstatt...
Wiesner: " Wo gehobelt wird, fallen Späne. "
Von der Noblesse eines schwarzpolierten Konzertflügels keine Spur.
1853 gründete Heinrich Steinweg eine Firma, in New York, wo er sich inzwischen wegen der besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen niedergelassen hat. Heinrich nennt sich "Henry", das Unternehmen trägt den Namen "Steinway and Sons" und ist eine Aktiengesellschaft. Auch sein Geschäftsmotto ist sehr amerikanisch: to built the best piano possible.
Bereits 1860 gelten seine Instrumente als derart ausgefeilt, dass die Konkurrenz beginnt, das "Steinway System" zu kopieren. Henry Steinway, sein Bruder - ein Ingenieur und Akustiker - sowie seine Söhne - ebenfalls Klavierbauer und -techniker - melden an die einhundert Patente an. Bezüglich der Rimbiegung. Bezüglich der Ganzgusseisenplatte. Bezüglich der Hämmer und der kreuzweise gespannten Stahlsaiten.
Alles, bis auf die Ganzgusseisenplatte oder die Schafwollfilze, wird noch heute, im eigenen Haus hergestellt. Wird, bis heute, nach alten Vorlagen und Patenten gefertigt. Es hat sich nicht viel verändert in 150 Jahren. Weder in New York, noch in Hamburg-Bahrenfeld.
Dennis Korlas schneidet Saiten zurecht. Der Flügel vor ihm sieht inzwischen auch aus wie ein Flügel - er hat Beine, er glänzt schwarz, der Resonanzboden wurde eingepasst und innen im Gehäuse liegt die massive Gusseisenplatte, über die Korlas gleich die rund 250 Saiten spannen wird.
Er trägt weiße Handschuhe, damit kein Schweiß die Saiten anlaufen lässt.
Sonja Kerr sitzt an einem Flügel, vor sich die Tastatur, die noch nicht fest verschraubt ist, an der Tastatur befestigt die Mechanik, deren 28 Hammerköpfe die Saiten anschlagen, sobald man die Tasten bewegt. Kerr richtet die Hammerköpfe so aus, dass sie die Saiten an ihrem optimalen Punkt treffen. Danach sieht der Flügel aus wie ein Flügel. Er hat Beine, er glänzt schwarz, er hat Saiten, er hat 28 Tasten. Er ist reif für die Teststrecke.
In einer schallgedämpften Kabine spielt die Einpaukmaschine - ein Roboter, eine Höllenmaschine - den Flügel ein. Eine Stunde lang. Jede Taste wird 10.000 Mal angeschlagen.
1996 notiert das Unternehmen an der Wallstreet, die Aktie wird unter dem Kürzel "LVB" wie Ludwig van Beethoven gehandelt. 1972 hatte Henry Z. Steinway, Heinrich Steinwegs Urenkel, die Klavierfabrik an den Medienriesen CBS verkauft.
Marketingdirektor Werner Husman in seinem Hamburger Büro. Gibt es irgendetwas, das er kritisieren könnte an einem Steinway - außer vielleicht den Preis...?
Husmann: " Sie meinen: den Wert... (lacht) "
Ein Steinway hält so lange, dass er die meisten seiner Kunden nur einmal sieht. Vom Generationenvertrag spricht der Mann, dass, anders als bei der Rente, bei der niemand weiß, was am Ende übrig ist, noch die Enkel von einer solchen Anschaffung profitieren. Die Preise bewegen sich zwischen 20.000 und 100.000 Euro, Sonderwünsche kosten extra, doch nichts ist unmöglich. Neulich kam ein Kunde mit einer rosa Schublade mit goldenen Schnitzereien. Inzwischen passt sein neuer Flügel perfekt zur Möblierung des Salons. Es gibt Finanzierungspläne und auch Leasingangebote.
Husmann: " Über 90 Prozent aller Künstler spielen einen Steinway. In über 90 Prozent, wahrscheinlich 99 Prozent, der Konzerthallen der Welt stehen Steinways. Für uns ist es nach wie vor eine Motivation, diese unglaubliche Stellung zu behalten. Die letzten entscheidenden Innovationen für den Klavierflügelbau, die sind in den 30er, 40er Jahren gewesen. Und was wir gemacht haben oder uns verlagern: Wir versuchen, die Produktpräzision zu erhöhen. Das heißt im Teilfertigungsbereich werden jetzt auch verstärkt Hochpräzisionsmaschinen eingesetzt. Wir wollen eine Präzision haben, eine Fertigungstoleranz von unter 0,1 Millimeter. Das ist unser Ziel. Weil neue Patente oder so Bahn brechende neue Ideen - wenn Sie nicht in die Elektronik gehen wollen - dann ist das eigentlich, tja: fast unmöglich. "
Heinrich Steinweg und seine Nachfahren sparten und investierten, sie bauten 1860 die riesige Fabrik in der 52. Straße, dort, wo heute die Park Avenue entlangläuft. Man baute eine Arbeitersiedlung mit eigener Kirche, Schule, Bücherei, Feuerwehr, Post. Und man gründete 1880 die bis heute einzige Fabrik außerhalb der USA, in Hamburg. Das Werk in New York beliefert Nord-, Mittel- und Südamerika. Hamburg beliefert den Rest der Welt.
Husmann: " Das klassische akustische Klavier, der Flügel - da ist der Markt so wie er ist. Er schrumpft ein wenig, dafür kommen aber die asiatischen Märkte dazu, mit einer großen Zahl von Interessenten. Weltweit reden wir hier von 500.000 bis 600.000 Instrumente, die im Jahr gebaut werden. Und das hat sich in den letzten zehn Jahren eigentlich auch nicht viel geändert. "
In der Sunturi-Bunka Kaikan Hall in Tokio stehen 18 Steinways, der japanische Rundfunk besitzt 48. Trotzdem, sagt Husmann: Wer sind wir denn? Wir tragen einen großen Namen - aber in Deutschland sind wir ein mittelständisches Unternehmen, in den USA ein Kleinbetrieb.
Steinway verkaufte Flügel an die bedeutendsten Künstler und in die ruhmreichsten Konzerthallen der Welt. Man gründete eine eigene Künstler- und Konzertabteilung und betreute die geschätzten Kunden in allen Situationen des täglichen Lebens. "Ich habe meine Hosen und meinen Anzug im New Yorker Appartement liegen lassen", kabelte Ignaz Paderewski. "Und meine Tochter hat außerdem zwölf Schildkröten vergessen. Glaubt, sie seien in der Küchenspüle."
Werner Husmann über die Künstler- und Konzertabteilung:
" Ja, also diese Fälle kommen seltener heute vor (lacht) Wir sorgen in erster Linie dafür, dass das Instrument in Ordnung ist. Es ist sehr einfach, die Instrumente in der Philharmonie und in München im Herkulessaal in Ordnung zu halten, aber wir sind auch in Taiwan und Bejing und Shenzen. Wo immer das sein mag! Dort herrschen immerhin 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und 30 Grad. Oder es ist zehn Grad minus, Schnee und sie haben 20 Prozent Luftfeuchtigkeit. Dieses muss alles ein Steinway mitmachen. Der arme Künstler - im Gegensatz zum Violinisten, der hat sein Instrument dabei - der Pianist hat nicht 700 Kilo unterm Arm und stellt seinen eigenen Flügel auf. Sondern er muss immer den Flügel nehmen, der dort ist. Und dieses macht einen Künstler sicherlich nervös. Das würde mich auch nervös machen. Und das ist für ihn von größter Bedeutung, dass er, wenn er seiner Kunst nachgeht, auch wirklich das optimale Handwerkszeug dort hat. Und das ist eigentlich die größte Aufgabe unserer Abteilung Künstler- und Konzertbetreuung. "
Der Flügel, der längst aussieht wie ein Flügel, klingt jetzt auch so. Er durchläuft insgesamt sieben Stimmungen. Der Flügel klingt wie ein Flügel. Doch ein Steinway ist berühmt für die Brillanz seines Klangs.
" Ich hör mir den Klang an, und dann versuche ich herauszufinden, welche Töne mir nicht gefallen. Und hier ist zum Beispiel einer, der klingt so ein bisschen fester ... "
Gerd Fründ ist Intoneur. "Ich hoffe nicht, dass ich Elefantenohren habe", sagt er. Doch wie sollte er sonst die feinen Unterschiede hören? Ob ein Ton hart oder weich oder fest klingt. Brillant, klar und offen, voll, oder eben nicht? Fründ zieht die Klaviatur aus dem Flügel, hebt den Hammerkopf am Ende der Taste des für seinen Geschmack etwas zu harten Gs und sticht mit der Intoniernadel ein paar Mal kurz und fest in den Filz des Hammerkopfs. Ist da ein Unterschied...?
Fründ: " (lacht) " Ja, das hören ja viele nicht, aber das alles zeichnet einen Steinway aus: Dass man wirklich Kleinigkeiten macht und sich Mühe in der Ausarbeitung gibt. "
Jazz-Boogie-Woogie-Ragtime-Blues-Festival in einem Hamburger Möbelhaus. "Steinway and Sons" hat zehn schwarzpolierte Konzertflügel aufgestellt, zwischen Musterküchen, Lampenstudio, Schrankwänden und Schlafsofas. Ein Herr wippt in einem Schwingsessel, Servicepreis 1517 Euro, zwei Damen lümmeln sich in weißen Lederpolstern.
" Ja, ja, das ist schön bequem... (lacht) "
Eine Frau in Jeanskostüm und Lackschuhen singt, ein Herr mit Backenbart und gestreiftem Freizeithemd klatscht. Klavierspieler sind die wenigsten...
Mann: " (lacht) Die Klaviere sind mir drei Nummern zu groß. Nicht nur von der Größe, sondern auch vom Preis... (lacht) "
Mit dem gehobenen Einzelhandel kooperieren wir gern, sagt Marketingchef Werner Husmann, Product Placement ist tabu. Ein wenig "traurig" sei man bei Steinway, sagt er, weil alle Welt die schönen Flügel nur mit klassischer Musik verbinde. Dank der Präsenz bei Festivals ist Steinway in der Jazz-Szene heute bekannter als vor zehn Jahren. Aber HipHop, Punk, Pop?
Husmann: " Um diese Musik zu machen, ist nicht unbedingt ein klassischer Flügel notwendig. Keyboarder, die auf elektronischen Tasteninstrumenten hochgebracht wurden, die brauchen keinen klassischen Flügel. Es gibt eine Reihe von Popkünstlern, die auch einen Steinway zu Hause haben. Auf der Bühne spielen sie natürlich elektronische Geräte - sie brauchen nur ‘ne Steckdose, 220 Volt und spielen los. Und zum Beispiel die Instrumentenwarte an Radio- und TV-Sendern haben uns gesagt: Ja, Sie glauben doch nicht, dass ich für diesen Popmusiker den Steinway aus dem Keller hole, das kommt überhaupt (!) nicht in Frage! Und das ist eigentlich völlig unangebracht, weil ein Steinway liebt es, gespielt zu werden, und von wem ist eigentlich ziemlich egal. "
Am Ende Applaus für Joja Wendt, Vince Weber, Gottfried Böttger und ihre Pianistenkollegen. Dann stehen zehn schwarzpolierte Mythen zwischen Beistelltischchen und Anrichten - wie Außerirdische. Niels hat noch nie an einem Steinway gesessen. Probiers doch mal, sagt sein Vater.
Junge: " Ja, also die Tasten gehen schwer runter zu drücken. "
Rubinstein, Rachmaninow, Horowitz und Paderewski spielten ihn. Sting und Paul McCartney. Wagner, Mahler, Toscanini. Duke Ellington und Cole Porter. Helmut Schmidt hat einen und Meryl Streep. Wenn ein Flügel das Hamburger Werk verlässt, besteht er aus 12.000 Einzelteilen, hat 30 Arbeitsgänge hinter sich, hundert Handwerker und rund ein Jahr Arbeit. Er entstand zu 85 Prozent in Handarbeit. Fast wie 1825 in Heinrich Steinwegs Seesener Küche.
Helmut Schmidt hat einen und Meryl Streep. Werner Husmann, Mitglied der Geschäftsführung des Hamburger Steinway-Werkes hat auch einen. Kann ihn aber nicht spielen.
Husmann: " Das ist überhaupt nicht Image schädigend, weil, wenn ich spielen würde, würde ich damit jeden unserer Künstler beleidigen. War ‘ne sehr gute Antwort, nicht?... (lacht)