100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe über mörderische Demokratiefeindschaft und ihre Hintergründe
Eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam
100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Freikorps in Berlin 1923. Die Freikorps wurden zwar 1921 verboten, umgingen das Verbot aber durch Umbenennung. Außerdem wurden sie i.d.R. nicht von der Polizei belangt © imago images/United Archives International
Erfolgloses Verbot der Freikorps
04:45 Minuten
Als vor 100 Jahren ein Großteil der Freikorps verboten wurde, zeigte das wenig Wirkung: Die betreffenden Organisationen benannten sich einfach um und machten unbehelligt weiter.
„Amtlich wird gemeldet: Die Reichsregierung hat aufgrund des Gesetzes vom 22. März 1921 die Auflösung der Organisationen von Roßbach, Hubertus, Aulock, Heydebreck und Oberland ausgesprochen.“
Die bürgerliche Regierung unter Reichskanzler Josef Wirth von der katholischen Zentrumspartei will Organisationen auflösen, die die Republik gewaltsam bekämpfen. Die Reichsregierung habe sämtliche Tätigkeiten der nun verbotenen Organisationen überprüft und diese im Ergebnis verbieten müssen, berichtet der sozialdemokratische „Vorwärts“. Das Verbot erstrecke sich ausdrücklich auch auf etwaige Nachfolgeorganisationen. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis- oder Festungshaft bis zu drei Monaten bedroht.
Reaktion auf Londoner Ultimatum
Das Verbot vom November 1921 ist keine Reaktion auf die Ermordung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger drei Monate zuvor. Vielmehr reagiert die Regierung in Berlin auf das „Londoner Ultimatum“ der Siegermächte vom Mai 1921. Die Alliierten verlangen unter anderem die Demilitarisierung Deutschlands, sonst drohen sie mit der Besetzung des Ruhrgebiets.
Die Regierung Wirth verspricht zwar, das Ultimatum zu erfüllen. Aber die paramilitärischen Freikorps, aus deren Reihen politische Morde verübt werden, unterlaufen die Demilitarisierung. Die Regierung reagiert erst im November mit dem Verbot der Organisationen. Die Zeitung der unabhängigen Sozialdemokraten, die „Freiheit“, kommentiert skeptisch:
„Die Auflösung dieser gegenrevolutionären Organisationen […] kommt reichlich spät. Und sie kommt wieder, wie so vieles in der deutschen Republik, nicht aus eigner Machtvollkommenheit, sondern auf Geheiß der Entente. Wir wollen aber schon jetzt betonen, daß es nicht genügt, die Auflösungsverordnung in die Welt zu setzen. […]
Der Selbsterhaltungstrieb der Republik erforderte es, daß man diese Landknechtshorden längst auflöste. Man hat sich von außen dazu zwingen lassen. Auch kein Ruhmesblatt der Republik.“
Der Selbsterhaltungstrieb der Republik erforderte es, daß man diese Landknechtshorden längst auflöste. Man hat sich von außen dazu zwingen lassen. Auch kein Ruhmesblatt der Republik.“
Verbot hat keine Konsequenzen
Wie berechtigt der Argwohn der „Freiheit“ ist, wird sich bald zeigen. So lässt sich das Freikorps Oberland ab Dezember 1921 unter dem Namen „Bund Oberland e. V.“ ins Vereinsregister eintragen und hält sogar in der offiziellen Satzung ungestraft am Ziel des Kampfes gegen den Versailler Vertrag fest – Konsequenzen hat dies nicht.
Auch die „Brigade Roßbach“ existiert unter anderen Namen unbehelligt weiter. Beide Organisationen veranstalten Feiern, zu denen sie öffentlich einladen. Auch das: ohne Konsequenzen. Die „Freiheit“ stellt im Februar 1922 fest:
„Wohl wurden sogar Ausnahmeverordnungen gegen das Fortbestehen der militärischen Banden erlassen. Aber sie wurden im Gegensatz zu den Ausnahmeverordnungen der Regierung gegen die Arbeiter nie angewendet.“
Der „Vorwärts“ berichtet von einer Versammlung der „Rossbacher“ vom 23. November 1922 in München – ein Jahr nach dem Verbot:
„Unter frenetischem Jubel erschien Roßbach. Er gab eine Geschichte seines Freikorps und machte sich lustig darüber, daß die Regierung seine Vereinigung nicht so schnell auflösen könne, wie er sie gründe. ‚In einem Jahr werden wir wieder einige Male aufgelöst sein und dennoch weiter bestehen.' […]
Dann gab er seiner Freude darüber Ausdruck, daß es so schön sei, auch unter den Gesetzen zum Schutz der Republik jeden Tag zeigen zu können, ‚daß wir trotzdem noch leben wollen‘.“
Dann gab er seiner Freude darüber Ausdruck, daß es so schön sei, auch unter den Gesetzen zum Schutz der Republik jeden Tag zeigen zu können, ‚daß wir trotzdem noch leben wollen‘.“
Dass der Redner Gerhard Roßbach erst Tage zuvor inhaftiert gewesen war, ist für ihn kein Grund, vorsichtig zu sein. Erst nach seiner Beteiligung am Hitler-Putsch im November 1923 flüchtet er nach Österreich, aber nur für kurze Zeit. Er kehrt bald wieder zurück.