Erfolgreich mit Handicap
Menschen mit Behinderungen stoßen in ihrem Alltag immer wieder auf Barrieren. Berührungsängste und Vorurteile begegnen ihnen auch bei der Arbeitsuche. Ein möglicher Ausweg: die Selbstständigkeit. <papaya:link href="http://www.enterability.de/" text="Enterability" title="Enterability" target="_blank" /> in Berlin berät Menschen mit Handicap dabei, sich beruflich unabhängig zu machen.
Pamela Pabst: "Dann gehen wir hier lang … und dann wieder links sozusagen."
Im Labyrinth von Korridoren, Treppen und Seitengängen des Kriminalgerichts Berlin-Moabit bewegt sich Pamela Pabst fast wie im Schlaf. Das Gebäude hat sie sich Schritt für Schritt erobert. Den weißen Stock, der den glatten grauen Steinboden abtastet, setzt sie nur ab und zu ein. Ihre Assistentin Annette Müller hat sie untergehakt. Pamela Pabst ist Anwältin - und blind. Sie ist die einzige praktizierende Strafverteidigerin in Deutschland, die von Geburt an nicht sehen kann.
Pabst: "Ich hatte ja ursprünglich eigentlich mal im Sinn gehabt Richterin zu werden, Strafrichterin, aber Strafrichterin darf ich ja nicht werden, weil der Bundesgerichtshof eben sagt, ein Strafrichter muss sehend sein."
Ihren Platz im Strafgericht in Moabit musste sie sich hart erarbeiten. Schon in der Schulzeit ist klar, dass sie wesentlich mehr leisten muss als ihre Mitschüler. Auf der Schule für Blinde will sie nicht bleiben, denn dort kann sie nur ihren Realschulabschluss machen. Auf dem Gymnasium hat sie zwar keine Probleme mit dem Lernstoff, aber von ihren Mitschülern wird sie gemobbt und gehänselt - weil sie anders ist, sich mit ihren Eltern gut versteht und gute Noten hat. Begeistert von ihrem ersten Schulpraktikum, verbringt sie jede Ferien im Strafgericht Moabit oder in einer Anwaltskanzlei, als Praktikantin, Hospitantin und dann als studentische Mitarbeiterin. Sie baut sich eine Parallelwelt auf. Ihr Jura-Studium schafft sie mit hervorragenden Ergebnissen, mit viel Disziplin und Hilfe von Vorlesern. Die Endnote ihres zweiten Staatsexamens: ein Voll Befriedigend. Was bei Juristen normalerweise als Prädikatsexamen gilt - bei Pamela Pabst reicht es für den öffentlichen Dienst nicht aus.
Pabst: "Diese Examensnote hat ja auch viel mehr Mühe bedeutet als jetzt für einen Nicht-Behinderten Bewerber und das wird halt nicht berücksichtigt. Also diese Bevorzugung von behinderten Bewerbern greift nur dann ein, wenn beide Bewerber die gleich gute Note haben. Das hat mich auch sehr traurig gemacht, aber nichtsdestotrotz wenn dir keiner hilft, dann helf dir selbst. Darauf hin habe ich eben gesagt okay, dann musst du dich halt selbstständig machen, ansonsten kommst du halt nicht nach Moabit."
Die Selbstständigkeit war für die 30-Jährige die letzte Chance, ins Strafgericht Moabit zu kommen. Das Integrationsamt schickte die ambitionierte Juristin zum Trägerverein enterability, der sich vor fünf Jahren auf die Existenzgründung von Schwerbehinderten spezialisiert hat. Das Projekt hatte es zunächst nicht leicht, sich gegen die gängigen Vorurteile durchzusetzen. Vorbehalte, mit denen sich Menschen mit Schwerbehinderung permanent auseinandersetzen müssen.
Manfred Radermacher: "Als wir angefangen haben, haben ja auch alle gesagt: 'Es gibt keinen Bedarf. Erstens wird es keine Behinderten geben, die das wollen, weil die sind ja nicht belastbar, von daher auch den Anforderungen einer Selbstständigkeit, einer Unternehmungsgründung gewachsen.' Diese Vorbehalte kamen durchaus nicht nur von Laien, sondern auch von vielen Profis, die gesagt haben, haben wir noch nie was von gehört. Das gibt es nicht. Also wir haben dann relativ schnell festgestellt, dass der Bedarf riesengroß ist. Wir hatten in kurzer Zeit Wartelisten von sechs Monaten."
Sagt enterability-Projektleiter Manfred Radermacher. Das Projekt soll Menschen mit Schwerbehinderung qualifizieren, sie bei ihrem Unternehmenskonzept beraten und auch am Anfang in ihrer Selbstständigkeit unterstützen. Deutschlandweit ist das Projekt in Berlin nach wie vor einzigartig. Finanziert wird es aus Mitteln des europäischen Sozialfonds und zusätzlichen Mitteln der Aktion Mensch. Der Senat für Integration Arbeit und Soziales hat das Projekt befristet bis Ende Januar 2010. Nun solle es Bemühungen geben, das Projekt langfristig zu etablieren. Eine entsprechende Gesetzesinitiative werde vorbereitet, heißt es im Senat. Die Integrationsämter sollen dann bundesweit in die Lage versetzt werden, den Weg von Menschen mit Behinderung in die Selbständigkeit dauerhaft zu unterstützen. Solange es jedoch kein entsprechendes Gesetz gibt, bleibt die Zukunft von enterability unsicher. Obwohl die Zahlen für sich sprechen.
Radermacher: "Wir haben mehr als 400 Behinderte begleitet, die sich selbstständig machen wollten. Von diesen 400 Behinderten, die zu uns gekommen sind und mit uns gemeinsam die Idee entwickelt, erprobt haben, haben letztendlich 125 gegründet, das ist eine Gründungsquote von 30 Prozent."
Die Erfolgsquote ist genauso hoch wie bei Existenzgründern ohne Behinderung. Pamela Pabst ist eine dieser Erfolgsgeschichten, sie gründete eine Anwaltskanzlei.
Radermacher: "Pamela Pabst war eine Gründerin, die über eine hohe Kompetenz verfügt, ausgebildete Juristin mit allen notwendigen Prüfungen, die auch über die notwendige Erfahrung verfügt hat, die fachlich alles mitgebracht hat, was für eine Gründung notwendig ist, und die auch von ihrer Person her ein Unternehmertyp ist, die ist überzeugend, die hat keine Angst vorm Risiko, die war im Grunde prädestiniert für so ne Tätigkeit."
Aber Talent und Unternehmergeist allein reichten nicht aus. Die zielstrebige Juristin ist in ihrer Selbstständigkeit auf Hilfe angewiesen. Mit der Existenzgründung wurde Pamela Pabst die Finanzierung für eine Assistentin zugesprochen. Damit schafft sie nicht nur sich, sondern sogar noch einer weiteren Person einen Arbeitsplatz. 20 Stunden in der Woche steht Annette Müller ihr zur Verfügung. Das ist wenig Zeit, die sie sich mit der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten gut einteilen muss. An diesem Tag steht noch ein wichtiger Termin auf dem Plan. Pamela Pabst hört auf ihre Uhr.
Pabst: "Es ist 10 Uhr und 52 Minuten. Ich habe um 11 Uhr einen Termin vor dem Jugendschöffengericht mit einem Mandanten. (…) Und dem wird halt vorgeworfen, in seiner Wohnung eine kleine Hanfplantage gehabt zu haben."
In der Cafeteria des Strafgerichts besprechen Pamela Pabst und ihre Assistentin Details des Falles. Pamela Pabst hat ihre braunen langen Haare zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Sie trägt eine weiße Bluse und ein schwarzes Jackett. Die Fingernägel sind rosa lackiert, darum bittet sie ihre Mutter oder Freunde. Ihr Äußeres ist ihr wichtig, weil sie weiß, dass es in der Welt der Sehenden eine große Rolle spielt.
Pabst: "Man fällt ja auch auf als Blinde, man möchte ja auch nicht, dass die anderen sagen guck mal, da ist unsere Blinde, na die hat ja heute wieder einen dreckigen Pullover an."
Ein Mandant hat Pamela Pabst mit der Post Unterlagen zugeschickt. Mit dem Inhalt konnte sie ohne Annette Müller jedoch nichts anfangen.
Pabst / Müller: "Ich wollte jetzt nochmal gucken, was in diesem wunderbaren Briefumschlag drin ist. Also da haben wir ja jetzt diesen Briefumschlag, den mir der Mandant zur Verfügung gestellt hat. Alles für mich nur viele weiße Seiten und jetzt will ich eigentlich gerne mal wissen, was er uns da vor die Füße geschmissen hat."
"Er hat uns erstmal zwei Beratungshilfescheine reingepackt. Das ist schon mal sehr gut."
"Ist das jetzt schon die Bewilligung oder ist das jetzt nur das Antragsformular."
"Das ist die Bewilligung …"
Die Assistentin Annette Müller macht all das, wofür man eigentlich Augen braucht.
Müller: "Es ist natürlich schon ein anderes Arbeiten als in einem normalen laufenden Rechtsanwaltsbüro, wo eben alle sehend sind. Aber ich muss sagen, wir haben uns eigentlich sehr schnell super aufeinander eingeschossen, sind also ein Superteam und da ging es bei mir auch eigentlich relativ schnell, dass ich mich darauf eingestellt hab, bestimmte Sachen zu kommentieren, ob das jetzt Reaktionen von Mandanten sind oder eben auch Sachen, die im Gerichtssaal passieren."
Oder sie beschreibt der Anwältin Beweismaterial – eine Unterstützung, die für Pamela Pabst essentiell ist.
Pabst: "Wenn ich drauf gefasst bin, dass Fotos vorgelegt werden könnten, dass Zeugen vernommen werden, da nehm ich ja die Frau Müller mit und ja wenn dann im Termin plötzlich - hatten wir letzte Woche - da hieß es plötzlich, jetzt gucken wir uns mal ein Video an, da war keiner darauf vorbereitet und da hat dann die Frau Müller sich daneben gestellt, das Video angeguckt und hat halt dann gesagt, was da zu sehen ist. Hat halt gesagt: Jetzt sieht man wie der Angeklagte den Geldautomaten aufbricht."
Den Vorwurf, dass sie sich kein richtiges Bild von ihren Mandanten machen kann, weist sie von sich. Pamela Pabst mustert Menschen mit den Ohren.
Pabst: "Wenn Leute jetzt ne Aussage machen, hab ich sag ich mal meine Mechanismen, um rauszukriegen lügt jemand, sagt jemand die Wahrheit. Ich mach's halt an der Stimme - zittert die Stimme, wie ist der Tonfall? Man kann es ganz schwer in Worte fassen, aber wenn ich jemanden frage, haben sie meinen Brief bekommen und der sagt, ne hab ich nicht bekommen, dann höre ich dem irgendwie an, ob das jetzt ne Flunkerei war oder ob er den jetzt wirklich nicht bekommen hat, aber es transportiert sich dann über die Sprachmelodie sozusagen für mich."
Die Mehrheit der Gründer hat sich auf Handel und Dienstleistungen spezialisiert und arbeitet von zu Hause aus. Eine berufliche Selbstständigkeit ist für viele behinderte Menschen genau aus diesem Grund so attraktiv: Es besteht die Möglichkeit, den Arbeitsplatz den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten.
Radermacher: "Wir haben viele Schmerzpatienten, HIV-Infizierte, Rheumapatienten beispielsweise, deren Leistungskurve kontinuierlich sehr schwankt. Teilweise im Tagesablauf. Manche Rheumakranke können erst ab 11, 12 Uhr leistungsfähig sein. Sind aber abends und nachts voll da. Wir haben aber auch Patienten, die müssen vier Tage aussetzen und dann wieder voll da sind. Wir haben welche, die mittags zwei Stunden liegen müssen und dann wieder arbeiten können. Und der Arbeitsmarkt bietet keine Arbeitsplätze für die. Es gibt kaum Arbeitgeber, die sich auf so etwas einlassen. Und in der Selbstständigkeit schaffen die sich einen Arbeitsplatz, der sozusagen behinderten- oder leidensgerecht ist."
Auch Gudrun Brendel musste feststellen, dass sie ihren normalen Büroalltag nicht mehr bewältigen konnte. Gudrun Brendel ist hörgeschädigt, seit sie 16 ist. Trotzdem hat die heute 40-Jährige jahrzehntelang versucht mitzuhalten, als gäbe es die Behinderung gar nicht.
Gudrun Brendel: "Die Akzeptanz war jahrelang gar nicht so da. Immer, wenn ich schlecht höre, muss ich mich einfach ein bisschen mehr anstrengen. Dieser Selbstanspruch, da mehr leisten zu wollen und auch zu müssen, um eben mithalten zu können, der war ziemlich enorm, bis ich dann auch irgendwann mal gemerkt hab, das geht auch an meine körperlichen Grenzen dran und dass mir da auch einfach Grenzen gesetzt sind."
Ohne ihre Hörgeräte nimmt Gudrun Brendel das Klingeln an der Haustür nicht wahr, auch nicht den Presslufthammer, der auf der Straße wütet. Das, was sie hört, ist nur ihr innerer Lärm - das Rauschen ihres eigenen Körpers. Dann fühlt sie sich abhängig, hilflos und verletzlich. Aber selbst mit den Hörgeräten, die meistens von ihren blonden Haaren verdeckt werden, wurde der Arbeitsalltag bei der Stiftung für Jugendhilfe, für die sie gearbeitet hat, zunehmend zur Belastung.
Brendel: "Das Hören ist bei mir eine Wahnsinns-Konzentrationsanstrengung. Also irgendwann im Laufe des Tages flacht dann meine Konzentration sehr ab oder ich brauch dann einfach mal Hörpausen zwischendurch."
Erst vor zwei Jahren hat Gudrun Brendel begonnen sich mit ihrer Behinderung auseinanderzusetzen, weil es nicht mehr anders ging. Sie hat eine Selbsthilfegruppe für Hörgeschädigte gefunden, um sich mit anderen auszutauschen, dort erfährt sie auch von enterability. Zwei Monate später nimmt sie dort an einer Einführungsveranstaltung teil. Ihren Job bei der Stiftung hat sie aufgegeben. An diesem Tag sitzt Gudrun Brendel im Hinterzimmer des Ladenbüros von enterability in Kreuzberg und steht kurz vor der Existenzgründung.
Radermacher / Brendel: "Na das ist doch sehr erfreulich. Vor nicht all zu langer Zeit waren sie sich noch unsicher, ob es überhaupt Möglichkeiten gibt in dem Bereich zu arbeiten."
"Ich merke auch je mehr ich auf so Veranstaltungen gehe, wo so was das Thema ist oder wo Leute sind, die irgendwas mit Hören oder Hörschädigung zu tun haben, wenn man ins Gespräch kommt, da bringt immer so ein Stein den anderen ins Rollen."
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Behinderung hat sie auf eine Geschäftsidee gebracht: Sie will Menschen mit Hörschädigung beraten und trainieren. Rüstzeug vermitteln, wie man das Beste aus seiner Behinderung machen kann - das was sie selbst gerade tut. Damit kombiniert sie ihre eigenen Erfahrungen als Betroffene, mit dem was sie studiert hat – Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und Kommunikationswissenschaften.
Brendel: "Bei den Hörgeschädigten geht es darum, sie letztendlich auch wieder arbeitsfähiger zu machen. Also weil viele haben ja wirklich extreme Probleme am Arbeitsplatz damit, dass sie eben auch durch eine Anhäufung von Missverständnissen es teilweise nachher dann auch zu Mobbingsituationen kommt, zur Ausgrenzung, um einfach das aufbrechen zu können, erstmal überhaupt selber verstehen zu können diese Prozesse und da wirklich handlungsfähiger zu machen."
Aber sie will mit ihrem Angebot auch Hörende erreichen. Mitarbeiter aus Krankenhäusern, Pflegeheimen und die Schwerbehindertenbeauftragten von Unternehmen.
Brendel: "Bei den normal Hörenden ist es so, dass es hauptsächlich darum geht, ein besseres Verständnis oder eine Sensibilisierung für Hörgeschädigte Menschen zu bekommen, also darüber aufzuklären, wie hören Hörgeschädigte, wodurch kommt es überhaupt zu den ganzen Missverständnissen, was für Probleme auch psychosoziale Probleme, die Hörgeschädigte mit sich rumschleppen, die oft durch Missverständnisse eben entstehen. Ja darüber aufzuklären und ihnen auch zu sagen was sie tun können, damit Hörgeschädigte einfach sie besser verstehen."
Zurzeit arbeitet sie an ihrem Businessplan und trifft sich dafür in regelmäßigen Abständen mit Manfred Radermacher.
Brendel / Radermacher: "Der Plan ich schreib jetzt mal für uns, Mitte März wollen sie das Einstiegsgeld beantragen, ja dann brauchen wir ja den Businessplan. Gut dann schauen wir mal, was haben sie denn geschrieben in der Zwischenzeit."
Inzwischen ist Brendel zuversichtlich.
Brendel: "Ich weiß noch nicht, wie es jetzt konkret aussehen wird, aber das ist einfach die Hoffnung, also wenn ich weiß, gut ich hab jetzt eine Schulung, ein Seminar, dann weiß ich, dass ich da sechs bis acht Stunden, die ich da habe, wo ich auch konzentriert sein muss, aber dass ich die Möglichkeit habe am nächsten Tag zu Hause zu sein, bzw. bei mir selber zu arbeiten Dinge nachzubereiten, wo ich dann einfach Hör-Ruhe habe. Das ist für mich einfach ein großer Vorteil."
In den Seminaren von enterability sollen die gehandicapten Existenzgründer alles lernen über Gesellschaftsrecht, den Businessplan und Marketing. Die Teilnehmer erfahren über Zugänge zu Finanzierungsquellen und Darlehen speziell für Menschen mit Schwerbehinderung, wie sie technische Arbeitshilfen, eine Arbeitsassistenz, Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung, sowie eine behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes beantragen können.
Frau Noah ist 53 Jahre alt und hat beim Arbeitsamt von enterability erfahren. Frau Noah will sich als Heilpraktikerin selbstständig machen. Bei enterability fühlt sie sich gut aufgehoben.
Noah: "Na ich krieg hier einfach ne Hilfe und auch in gewisser Weise ein Verständnis entgegengebracht, was ich woanders nicht kriege, ich selber fühle mich nicht als Behinderte. Ich hab dann auch selber so gedacht, na wenn ich hier her komme und wenn dann andere Behinderte da sind, wie sehen die denn dann aus, einfach dieses typische wie man so denkt und das ist so blödsinnig, weil ich selber habe eine anerkannte Behinderung von 80 Prozent, aber deswegen fühle ich mich trotzdem nicht als Behinderte."
Über ihre Behinderung spricht Frau Noah nicht gerne und man sieht sie ihr auch nicht an. Enterability Projektleiter Manfred Radermacher hält jedoch wenig davon, seine Kunden mit Samthandschuhen anzufassen. Beim Unternehmenskonzept muss die Behinderung kontinuierlich mit einkalkuliert werden, ob beim Rollstuhlfahrer, beim spastisch gelähmten oder schwerhörigen Menschen.
Radermacher: "Wir haben zwölf Prozent Menschen, die haben eine Suchtvergangenheit. Und natürlich frage ich jeden, der zu mir kommt mit einer Suchtvergangenheit, wann waren sie das letzte Mal in der Klinik, sind sie noch in der Therapie. Seit wann sind sie trocken? Welche Unterstützungssysteme haben sie sich aufgebaut, auf die sie im Falle einer Krise zurückgreifen können? Weil jede Gründung durchläuft eine Krise. Manche am Anfang, manche nach zwei Jahren. Mit einer Suchtvergangenheit muss man vorgebeugt haben, man muss gucken, wie gehe ich damit um, wenn die Krise tatsächlich auf mich zukommt."
Auch wenn am Ende nicht alle Projektteilnehmer den Sprung in die Selbstständigkeit wagen – weil die Idee nicht tragfähig war oder einfach der Mut fehlte, sich alleine durchzuschlagen – von Manfred Radermachers Betreuung profitieren sie alle. Wer sich auf die Selbstständigkeit vorbereitet, beschäftigt sich mit den eigenen Wünschen und Talenten, so ist der Existenzgründungsprozess eine Entscheidungshilfe und unterstützt bei der beruflichen Neuorientierung, beobachtet Manfred Radermacher.
Radermacher: "Man lernt bei uns natürlich auch ne Menge. Es gibt Seminare, es gibt die konkrete Arbeit am Businessplan. Viele - immerhin in der ersten Phase, die wissenschaftlich ausgewertet wurde, haben 20 Prozent derjenigen, die abgebrochen haben, die nicht gegründet haben, in der Zeit bei uns, entweder ne neue Arbeitsstelle gefunden oder ne andere Berufsausbildung angefangen."
In den letzten fünf Jahren hat sich Manfred Radermacher mit Hunderten Lebensläufen und verschiedensten Handicaps beschäftigt. Abgesehen von der finanziellen Unabhängigkeit, die von seinen Kunden angestrebt wird, ist den meisten vor allen Dingen eins wichtig:
Radermacher: "Die wollen einfach wieder am Leben teilnehmen und ja in unserer Gesellschaft ist Arbeit ein ungeheurer wichtiger Faktor, um teilhaben zu können, um Respekt zu erfahren, um dabei zu sein, um Kontakte zu haben."
Und Respekt erfährt Pamela Pabst im Gericht. Unter den Kollegen wird ihre Arbeit sehr geschätzt. Von Richtern und Mandanten wird sie gleichermaßen weiterempfohlen.
Pabst: "Die große Anerkennung auch meiner, insbesondere ausländischen Mandanten, die dann sagen, sie sind glücklich, dass ich ihre Rechtsanwältin bin oder sie hätten durch mich ihren Lebensmut wiedergefunden, das muss ich sagen, das sind schon schöne Erlebnisse."
Link:
enterability Berlin
Im Labyrinth von Korridoren, Treppen und Seitengängen des Kriminalgerichts Berlin-Moabit bewegt sich Pamela Pabst fast wie im Schlaf. Das Gebäude hat sie sich Schritt für Schritt erobert. Den weißen Stock, der den glatten grauen Steinboden abtastet, setzt sie nur ab und zu ein. Ihre Assistentin Annette Müller hat sie untergehakt. Pamela Pabst ist Anwältin - und blind. Sie ist die einzige praktizierende Strafverteidigerin in Deutschland, die von Geburt an nicht sehen kann.
Pabst: "Ich hatte ja ursprünglich eigentlich mal im Sinn gehabt Richterin zu werden, Strafrichterin, aber Strafrichterin darf ich ja nicht werden, weil der Bundesgerichtshof eben sagt, ein Strafrichter muss sehend sein."
Ihren Platz im Strafgericht in Moabit musste sie sich hart erarbeiten. Schon in der Schulzeit ist klar, dass sie wesentlich mehr leisten muss als ihre Mitschüler. Auf der Schule für Blinde will sie nicht bleiben, denn dort kann sie nur ihren Realschulabschluss machen. Auf dem Gymnasium hat sie zwar keine Probleme mit dem Lernstoff, aber von ihren Mitschülern wird sie gemobbt und gehänselt - weil sie anders ist, sich mit ihren Eltern gut versteht und gute Noten hat. Begeistert von ihrem ersten Schulpraktikum, verbringt sie jede Ferien im Strafgericht Moabit oder in einer Anwaltskanzlei, als Praktikantin, Hospitantin und dann als studentische Mitarbeiterin. Sie baut sich eine Parallelwelt auf. Ihr Jura-Studium schafft sie mit hervorragenden Ergebnissen, mit viel Disziplin und Hilfe von Vorlesern. Die Endnote ihres zweiten Staatsexamens: ein Voll Befriedigend. Was bei Juristen normalerweise als Prädikatsexamen gilt - bei Pamela Pabst reicht es für den öffentlichen Dienst nicht aus.
Pabst: "Diese Examensnote hat ja auch viel mehr Mühe bedeutet als jetzt für einen Nicht-Behinderten Bewerber und das wird halt nicht berücksichtigt. Also diese Bevorzugung von behinderten Bewerbern greift nur dann ein, wenn beide Bewerber die gleich gute Note haben. Das hat mich auch sehr traurig gemacht, aber nichtsdestotrotz wenn dir keiner hilft, dann helf dir selbst. Darauf hin habe ich eben gesagt okay, dann musst du dich halt selbstständig machen, ansonsten kommst du halt nicht nach Moabit."
Die Selbstständigkeit war für die 30-Jährige die letzte Chance, ins Strafgericht Moabit zu kommen. Das Integrationsamt schickte die ambitionierte Juristin zum Trägerverein enterability, der sich vor fünf Jahren auf die Existenzgründung von Schwerbehinderten spezialisiert hat. Das Projekt hatte es zunächst nicht leicht, sich gegen die gängigen Vorurteile durchzusetzen. Vorbehalte, mit denen sich Menschen mit Schwerbehinderung permanent auseinandersetzen müssen.
Manfred Radermacher: "Als wir angefangen haben, haben ja auch alle gesagt: 'Es gibt keinen Bedarf. Erstens wird es keine Behinderten geben, die das wollen, weil die sind ja nicht belastbar, von daher auch den Anforderungen einer Selbstständigkeit, einer Unternehmungsgründung gewachsen.' Diese Vorbehalte kamen durchaus nicht nur von Laien, sondern auch von vielen Profis, die gesagt haben, haben wir noch nie was von gehört. Das gibt es nicht. Also wir haben dann relativ schnell festgestellt, dass der Bedarf riesengroß ist. Wir hatten in kurzer Zeit Wartelisten von sechs Monaten."
Sagt enterability-Projektleiter Manfred Radermacher. Das Projekt soll Menschen mit Schwerbehinderung qualifizieren, sie bei ihrem Unternehmenskonzept beraten und auch am Anfang in ihrer Selbstständigkeit unterstützen. Deutschlandweit ist das Projekt in Berlin nach wie vor einzigartig. Finanziert wird es aus Mitteln des europäischen Sozialfonds und zusätzlichen Mitteln der Aktion Mensch. Der Senat für Integration Arbeit und Soziales hat das Projekt befristet bis Ende Januar 2010. Nun solle es Bemühungen geben, das Projekt langfristig zu etablieren. Eine entsprechende Gesetzesinitiative werde vorbereitet, heißt es im Senat. Die Integrationsämter sollen dann bundesweit in die Lage versetzt werden, den Weg von Menschen mit Behinderung in die Selbständigkeit dauerhaft zu unterstützen. Solange es jedoch kein entsprechendes Gesetz gibt, bleibt die Zukunft von enterability unsicher. Obwohl die Zahlen für sich sprechen.
Radermacher: "Wir haben mehr als 400 Behinderte begleitet, die sich selbstständig machen wollten. Von diesen 400 Behinderten, die zu uns gekommen sind und mit uns gemeinsam die Idee entwickelt, erprobt haben, haben letztendlich 125 gegründet, das ist eine Gründungsquote von 30 Prozent."
Die Erfolgsquote ist genauso hoch wie bei Existenzgründern ohne Behinderung. Pamela Pabst ist eine dieser Erfolgsgeschichten, sie gründete eine Anwaltskanzlei.
Radermacher: "Pamela Pabst war eine Gründerin, die über eine hohe Kompetenz verfügt, ausgebildete Juristin mit allen notwendigen Prüfungen, die auch über die notwendige Erfahrung verfügt hat, die fachlich alles mitgebracht hat, was für eine Gründung notwendig ist, und die auch von ihrer Person her ein Unternehmertyp ist, die ist überzeugend, die hat keine Angst vorm Risiko, die war im Grunde prädestiniert für so ne Tätigkeit."
Aber Talent und Unternehmergeist allein reichten nicht aus. Die zielstrebige Juristin ist in ihrer Selbstständigkeit auf Hilfe angewiesen. Mit der Existenzgründung wurde Pamela Pabst die Finanzierung für eine Assistentin zugesprochen. Damit schafft sie nicht nur sich, sondern sogar noch einer weiteren Person einen Arbeitsplatz. 20 Stunden in der Woche steht Annette Müller ihr zur Verfügung. Das ist wenig Zeit, die sie sich mit der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten gut einteilen muss. An diesem Tag steht noch ein wichtiger Termin auf dem Plan. Pamela Pabst hört auf ihre Uhr.
Pabst: "Es ist 10 Uhr und 52 Minuten. Ich habe um 11 Uhr einen Termin vor dem Jugendschöffengericht mit einem Mandanten. (…) Und dem wird halt vorgeworfen, in seiner Wohnung eine kleine Hanfplantage gehabt zu haben."
In der Cafeteria des Strafgerichts besprechen Pamela Pabst und ihre Assistentin Details des Falles. Pamela Pabst hat ihre braunen langen Haare zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Sie trägt eine weiße Bluse und ein schwarzes Jackett. Die Fingernägel sind rosa lackiert, darum bittet sie ihre Mutter oder Freunde. Ihr Äußeres ist ihr wichtig, weil sie weiß, dass es in der Welt der Sehenden eine große Rolle spielt.
Pabst: "Man fällt ja auch auf als Blinde, man möchte ja auch nicht, dass die anderen sagen guck mal, da ist unsere Blinde, na die hat ja heute wieder einen dreckigen Pullover an."
Ein Mandant hat Pamela Pabst mit der Post Unterlagen zugeschickt. Mit dem Inhalt konnte sie ohne Annette Müller jedoch nichts anfangen.
Pabst / Müller: "Ich wollte jetzt nochmal gucken, was in diesem wunderbaren Briefumschlag drin ist. Also da haben wir ja jetzt diesen Briefumschlag, den mir der Mandant zur Verfügung gestellt hat. Alles für mich nur viele weiße Seiten und jetzt will ich eigentlich gerne mal wissen, was er uns da vor die Füße geschmissen hat."
"Er hat uns erstmal zwei Beratungshilfescheine reingepackt. Das ist schon mal sehr gut."
"Ist das jetzt schon die Bewilligung oder ist das jetzt nur das Antragsformular."
"Das ist die Bewilligung …"
Die Assistentin Annette Müller macht all das, wofür man eigentlich Augen braucht.
Müller: "Es ist natürlich schon ein anderes Arbeiten als in einem normalen laufenden Rechtsanwaltsbüro, wo eben alle sehend sind. Aber ich muss sagen, wir haben uns eigentlich sehr schnell super aufeinander eingeschossen, sind also ein Superteam und da ging es bei mir auch eigentlich relativ schnell, dass ich mich darauf eingestellt hab, bestimmte Sachen zu kommentieren, ob das jetzt Reaktionen von Mandanten sind oder eben auch Sachen, die im Gerichtssaal passieren."
Oder sie beschreibt der Anwältin Beweismaterial – eine Unterstützung, die für Pamela Pabst essentiell ist.
Pabst: "Wenn ich drauf gefasst bin, dass Fotos vorgelegt werden könnten, dass Zeugen vernommen werden, da nehm ich ja die Frau Müller mit und ja wenn dann im Termin plötzlich - hatten wir letzte Woche - da hieß es plötzlich, jetzt gucken wir uns mal ein Video an, da war keiner darauf vorbereitet und da hat dann die Frau Müller sich daneben gestellt, das Video angeguckt und hat halt dann gesagt, was da zu sehen ist. Hat halt gesagt: Jetzt sieht man wie der Angeklagte den Geldautomaten aufbricht."
Den Vorwurf, dass sie sich kein richtiges Bild von ihren Mandanten machen kann, weist sie von sich. Pamela Pabst mustert Menschen mit den Ohren.
Pabst: "Wenn Leute jetzt ne Aussage machen, hab ich sag ich mal meine Mechanismen, um rauszukriegen lügt jemand, sagt jemand die Wahrheit. Ich mach's halt an der Stimme - zittert die Stimme, wie ist der Tonfall? Man kann es ganz schwer in Worte fassen, aber wenn ich jemanden frage, haben sie meinen Brief bekommen und der sagt, ne hab ich nicht bekommen, dann höre ich dem irgendwie an, ob das jetzt ne Flunkerei war oder ob er den jetzt wirklich nicht bekommen hat, aber es transportiert sich dann über die Sprachmelodie sozusagen für mich."
Die Mehrheit der Gründer hat sich auf Handel und Dienstleistungen spezialisiert und arbeitet von zu Hause aus. Eine berufliche Selbstständigkeit ist für viele behinderte Menschen genau aus diesem Grund so attraktiv: Es besteht die Möglichkeit, den Arbeitsplatz den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten.
Radermacher: "Wir haben viele Schmerzpatienten, HIV-Infizierte, Rheumapatienten beispielsweise, deren Leistungskurve kontinuierlich sehr schwankt. Teilweise im Tagesablauf. Manche Rheumakranke können erst ab 11, 12 Uhr leistungsfähig sein. Sind aber abends und nachts voll da. Wir haben aber auch Patienten, die müssen vier Tage aussetzen und dann wieder voll da sind. Wir haben welche, die mittags zwei Stunden liegen müssen und dann wieder arbeiten können. Und der Arbeitsmarkt bietet keine Arbeitsplätze für die. Es gibt kaum Arbeitgeber, die sich auf so etwas einlassen. Und in der Selbstständigkeit schaffen die sich einen Arbeitsplatz, der sozusagen behinderten- oder leidensgerecht ist."
Auch Gudrun Brendel musste feststellen, dass sie ihren normalen Büroalltag nicht mehr bewältigen konnte. Gudrun Brendel ist hörgeschädigt, seit sie 16 ist. Trotzdem hat die heute 40-Jährige jahrzehntelang versucht mitzuhalten, als gäbe es die Behinderung gar nicht.
Gudrun Brendel: "Die Akzeptanz war jahrelang gar nicht so da. Immer, wenn ich schlecht höre, muss ich mich einfach ein bisschen mehr anstrengen. Dieser Selbstanspruch, da mehr leisten zu wollen und auch zu müssen, um eben mithalten zu können, der war ziemlich enorm, bis ich dann auch irgendwann mal gemerkt hab, das geht auch an meine körperlichen Grenzen dran und dass mir da auch einfach Grenzen gesetzt sind."
Ohne ihre Hörgeräte nimmt Gudrun Brendel das Klingeln an der Haustür nicht wahr, auch nicht den Presslufthammer, der auf der Straße wütet. Das, was sie hört, ist nur ihr innerer Lärm - das Rauschen ihres eigenen Körpers. Dann fühlt sie sich abhängig, hilflos und verletzlich. Aber selbst mit den Hörgeräten, die meistens von ihren blonden Haaren verdeckt werden, wurde der Arbeitsalltag bei der Stiftung für Jugendhilfe, für die sie gearbeitet hat, zunehmend zur Belastung.
Brendel: "Das Hören ist bei mir eine Wahnsinns-Konzentrationsanstrengung. Also irgendwann im Laufe des Tages flacht dann meine Konzentration sehr ab oder ich brauch dann einfach mal Hörpausen zwischendurch."
Erst vor zwei Jahren hat Gudrun Brendel begonnen sich mit ihrer Behinderung auseinanderzusetzen, weil es nicht mehr anders ging. Sie hat eine Selbsthilfegruppe für Hörgeschädigte gefunden, um sich mit anderen auszutauschen, dort erfährt sie auch von enterability. Zwei Monate später nimmt sie dort an einer Einführungsveranstaltung teil. Ihren Job bei der Stiftung hat sie aufgegeben. An diesem Tag sitzt Gudrun Brendel im Hinterzimmer des Ladenbüros von enterability in Kreuzberg und steht kurz vor der Existenzgründung.
Radermacher / Brendel: "Na das ist doch sehr erfreulich. Vor nicht all zu langer Zeit waren sie sich noch unsicher, ob es überhaupt Möglichkeiten gibt in dem Bereich zu arbeiten."
"Ich merke auch je mehr ich auf so Veranstaltungen gehe, wo so was das Thema ist oder wo Leute sind, die irgendwas mit Hören oder Hörschädigung zu tun haben, wenn man ins Gespräch kommt, da bringt immer so ein Stein den anderen ins Rollen."
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Behinderung hat sie auf eine Geschäftsidee gebracht: Sie will Menschen mit Hörschädigung beraten und trainieren. Rüstzeug vermitteln, wie man das Beste aus seiner Behinderung machen kann - das was sie selbst gerade tut. Damit kombiniert sie ihre eigenen Erfahrungen als Betroffene, mit dem was sie studiert hat – Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und Kommunikationswissenschaften.
Brendel: "Bei den Hörgeschädigten geht es darum, sie letztendlich auch wieder arbeitsfähiger zu machen. Also weil viele haben ja wirklich extreme Probleme am Arbeitsplatz damit, dass sie eben auch durch eine Anhäufung von Missverständnissen es teilweise nachher dann auch zu Mobbingsituationen kommt, zur Ausgrenzung, um einfach das aufbrechen zu können, erstmal überhaupt selber verstehen zu können diese Prozesse und da wirklich handlungsfähiger zu machen."
Aber sie will mit ihrem Angebot auch Hörende erreichen. Mitarbeiter aus Krankenhäusern, Pflegeheimen und die Schwerbehindertenbeauftragten von Unternehmen.
Brendel: "Bei den normal Hörenden ist es so, dass es hauptsächlich darum geht, ein besseres Verständnis oder eine Sensibilisierung für Hörgeschädigte Menschen zu bekommen, also darüber aufzuklären, wie hören Hörgeschädigte, wodurch kommt es überhaupt zu den ganzen Missverständnissen, was für Probleme auch psychosoziale Probleme, die Hörgeschädigte mit sich rumschleppen, die oft durch Missverständnisse eben entstehen. Ja darüber aufzuklären und ihnen auch zu sagen was sie tun können, damit Hörgeschädigte einfach sie besser verstehen."
Zurzeit arbeitet sie an ihrem Businessplan und trifft sich dafür in regelmäßigen Abständen mit Manfred Radermacher.
Brendel / Radermacher: "Der Plan ich schreib jetzt mal für uns, Mitte März wollen sie das Einstiegsgeld beantragen, ja dann brauchen wir ja den Businessplan. Gut dann schauen wir mal, was haben sie denn geschrieben in der Zwischenzeit."
Inzwischen ist Brendel zuversichtlich.
Brendel: "Ich weiß noch nicht, wie es jetzt konkret aussehen wird, aber das ist einfach die Hoffnung, also wenn ich weiß, gut ich hab jetzt eine Schulung, ein Seminar, dann weiß ich, dass ich da sechs bis acht Stunden, die ich da habe, wo ich auch konzentriert sein muss, aber dass ich die Möglichkeit habe am nächsten Tag zu Hause zu sein, bzw. bei mir selber zu arbeiten Dinge nachzubereiten, wo ich dann einfach Hör-Ruhe habe. Das ist für mich einfach ein großer Vorteil."
In den Seminaren von enterability sollen die gehandicapten Existenzgründer alles lernen über Gesellschaftsrecht, den Businessplan und Marketing. Die Teilnehmer erfahren über Zugänge zu Finanzierungsquellen und Darlehen speziell für Menschen mit Schwerbehinderung, wie sie technische Arbeitshilfen, eine Arbeitsassistenz, Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung, sowie eine behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes beantragen können.
Frau Noah ist 53 Jahre alt und hat beim Arbeitsamt von enterability erfahren. Frau Noah will sich als Heilpraktikerin selbstständig machen. Bei enterability fühlt sie sich gut aufgehoben.
Noah: "Na ich krieg hier einfach ne Hilfe und auch in gewisser Weise ein Verständnis entgegengebracht, was ich woanders nicht kriege, ich selber fühle mich nicht als Behinderte. Ich hab dann auch selber so gedacht, na wenn ich hier her komme und wenn dann andere Behinderte da sind, wie sehen die denn dann aus, einfach dieses typische wie man so denkt und das ist so blödsinnig, weil ich selber habe eine anerkannte Behinderung von 80 Prozent, aber deswegen fühle ich mich trotzdem nicht als Behinderte."
Über ihre Behinderung spricht Frau Noah nicht gerne und man sieht sie ihr auch nicht an. Enterability Projektleiter Manfred Radermacher hält jedoch wenig davon, seine Kunden mit Samthandschuhen anzufassen. Beim Unternehmenskonzept muss die Behinderung kontinuierlich mit einkalkuliert werden, ob beim Rollstuhlfahrer, beim spastisch gelähmten oder schwerhörigen Menschen.
Radermacher: "Wir haben zwölf Prozent Menschen, die haben eine Suchtvergangenheit. Und natürlich frage ich jeden, der zu mir kommt mit einer Suchtvergangenheit, wann waren sie das letzte Mal in der Klinik, sind sie noch in der Therapie. Seit wann sind sie trocken? Welche Unterstützungssysteme haben sie sich aufgebaut, auf die sie im Falle einer Krise zurückgreifen können? Weil jede Gründung durchläuft eine Krise. Manche am Anfang, manche nach zwei Jahren. Mit einer Suchtvergangenheit muss man vorgebeugt haben, man muss gucken, wie gehe ich damit um, wenn die Krise tatsächlich auf mich zukommt."
Auch wenn am Ende nicht alle Projektteilnehmer den Sprung in die Selbstständigkeit wagen – weil die Idee nicht tragfähig war oder einfach der Mut fehlte, sich alleine durchzuschlagen – von Manfred Radermachers Betreuung profitieren sie alle. Wer sich auf die Selbstständigkeit vorbereitet, beschäftigt sich mit den eigenen Wünschen und Talenten, so ist der Existenzgründungsprozess eine Entscheidungshilfe und unterstützt bei der beruflichen Neuorientierung, beobachtet Manfred Radermacher.
Radermacher: "Man lernt bei uns natürlich auch ne Menge. Es gibt Seminare, es gibt die konkrete Arbeit am Businessplan. Viele - immerhin in der ersten Phase, die wissenschaftlich ausgewertet wurde, haben 20 Prozent derjenigen, die abgebrochen haben, die nicht gegründet haben, in der Zeit bei uns, entweder ne neue Arbeitsstelle gefunden oder ne andere Berufsausbildung angefangen."
In den letzten fünf Jahren hat sich Manfred Radermacher mit Hunderten Lebensläufen und verschiedensten Handicaps beschäftigt. Abgesehen von der finanziellen Unabhängigkeit, die von seinen Kunden angestrebt wird, ist den meisten vor allen Dingen eins wichtig:
Radermacher: "Die wollen einfach wieder am Leben teilnehmen und ja in unserer Gesellschaft ist Arbeit ein ungeheurer wichtiger Faktor, um teilhaben zu können, um Respekt zu erfahren, um dabei zu sein, um Kontakte zu haben."
Und Respekt erfährt Pamela Pabst im Gericht. Unter den Kollegen wird ihre Arbeit sehr geschätzt. Von Richtern und Mandanten wird sie gleichermaßen weiterempfohlen.
Pabst: "Die große Anerkennung auch meiner, insbesondere ausländischen Mandanten, die dann sagen, sie sind glücklich, dass ich ihre Rechtsanwältin bin oder sie hätten durch mich ihren Lebensmut wiedergefunden, das muss ich sagen, das sind schon schöne Erlebnisse."
Link:
enterability Berlin