Erfolgreiche Singles in einem Haus

In Paris, im feinen sechsten Arrondissement, wohnt eine Hausgemeinschaft von erfolgreichen Singles. Alle sind Angehörige der intellektuellen Oberschicht. Nur im ersten Stockwerk wird nie jemand gesehen. Doch eines Tages sind verdächtige Schreie aus diesem anscheinend unbewohnten Appartment zu hören.
Wie in wenigen anderen Büchern empfiehlt sich vor der Lektüre dieses Romans jene des Inhaltsverzeichnisses. Denn obwohl die Kapitel nüchtern mit den römischen Ziffern I bis XIV überschrieben sind, liegt in der Gliederung zu Beginn zwar nicht der Schlüssel zum Inhalt, aber doch zur Form: Jeder Abschnitt erhält dort eine musikalische Entsprechung, von der Ouvertüre über Free Jazz, Responsorium und große Fuge bis zum Finale.

Dementsprechend unterschiedlich sind die Kapitel aufgebaut. Bemerkenswert unterschiedlich versteht der Autor seinen Schreibstil zu ändern. Was wie eine Krimigeschichte aus dem wohlhabenden Paris beginnt, wird abgelöst von der Parodie einer derben Schilderung durch einen Detektiv, geht über in ein Verhör, um dann einen großen Teil des Buches in kulturphilosophischen Abhandlungen zu verharren - mit eingestreuten Fantasy-Elementen.
Um den Leser nicht auf jener falschen Spur zu belassen, auf die ihn der Autor setzt und am Schluss das Buch etwas enttäuscht aus der Hand legen lässt: Das, was am Anfang zu erzählen begonnen wird, ist nur das Podium, auf dem Denis seine kulturpessimistischen Überlegungen zum Lauf der Zeit aufbaut. Fast widerwillig wendet er sich ab und zu dem nicht weiter bemerkenswerten Gang der Geschehnisse im Haus Rue de Tournon 35 zu.

Dort wohnt in jeder Etage je ein erfolgreicher Single, allesamt Angehörige der intellektuellen oberen Schicht. Im zweiten Stock des noblen Altbaus residiert Oberst Richard Brightley, amerikanischer Vietnam-Veteran und Geheimdienstler. Ein Stockwerk höher wohnt Professor Léon Chablier, Astrophysiker und Nobelpreisträger. Darüber lebt die heimliche Hauptperson des Romans, die knapp 50-jährige Finanzexpertin und Hobbychellistin Marie Meyer. Die Wohnung über ihr bewohnt Daniel Devembre, hoher Kulturbeamter im Ministerium. Das Dachgeschoss gehört dem Ethnologen Ernst Ekerl, von dem etwas Geheimnisvolles ausgeht.

Bei Erwähnung seines Namens fügt der Autor stets "unser Zauberer Ekerl" an, in quälender Zwanghaftigkeit, wie man sie von Thomas Bernhard kennt, der ebenfalls einmal definierte Begriffe immer wieder durch ihre meist lange Definition ersetzt.
Auch die Länge der Sätze, die Einstreuung von Parenthesen und Erläuterungen zwischen Gedankenstrichen, die den Leser in ihrer Häufung ermüden, sind Bernhard nicht unähnlich. Die Frage, was die Schreie bedeuteten, die Marie Meyer und Daniel Devembre an einem grauen Herbstsonntag aus der Wohnung im ersten Stock wahrgenommen hatten und wem die Wohnung tatsächlich gehört, bleibt von Ariel Denis unbeantwortet. Stattdessen widmet er sich lieber den beiden, wie er sie nennt "exemplarischen Individuen", Meyer und Devembre, handelt an ihnen in fast altmodischer Art den Narzissmus der neuen Zeit und die Schalheit virtueller Welten ab und spickt sein Epos mit überbordenden Zitaten aus Literatur und Musik in der Art eines leicht arroganten Bildungsbürgers, was insofern unfair ist, weil wohl nur ein Bruchteil seiner Leserschaft Kulturwissenschaftler wie er ist, um die zahlreichen Anspielungen zu deuten. Wohl nicht von ungefähr scheint eines seiner Lieblingsvokabel das Wort "sublim" zu sein: "Nur einem feineren Verständnis zugänglich".

Rezensiert von Stefan May

Ariel Denis: Die Akte Meyer-Devembre,
aus dem Französischen von Regine Herrmannsdörfer,
Atrium Verlag, Zürich 2007, 304 Seiten, 19,90 Euro