20 Jahre Amoklauf von Erfurt
Erfurt, 26. April 2002: Mit diesem Schild machten Schüler im Gutenberg-Gymnasium auf ihre Notlage aufmerksam. In Klassenräumen hatten sie sich vor dem Attentäter so gut es ging verbarrikadiert. Stunden vergingen, bis sie herauskonnten. © picture-alliance / dpa / Martin Schutt
"Rechtsstaatsprinzipien über Bord geworfen"
09:29 Minuten

Am 26. April 2002 tötete ein Ex-Schüler im Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und dann sich selbst. Eric Langer verlor seine Lebensgefährtin. Er kritisiert den damaligen Polizeieinsatz als stümperhaft und erhebt weitere Vorwürfe.
Vor 20 Jahren erschoss der ehemalige Schüler Robert S. im Gutenberg-Gymnasium in Erfurt gezielt 16 Menschen, bevor er sich selbst tötete. Unter den Opfern war auch die Kunstlehrerin Birgit Dettke. Der Rechtsanwalt Eric T. Langer verlor mit ihr seine Lebensgefährtin. Seine Trauer hat er verarbeiten können, auch mit psychologischer Hilfe, wie er erzählt. Doch bis heute vermisst Langer ein öffentliches Eingeständnis, dass der Polizei- und Rettungseinsatz nicht so gelaufen sei, wie es hätte sein sollen.
Noch während der schwer bewaffnete Täter in seiner ehemaligen Schule Menschen erschoss, gingen zahlreiche Notrufe bei der Polizei ein. Eine solche Amoktat hatte es in Deutschland zuvor noch nie gegeben. Schüler und Lehrer waren über Stunden mit Toten in dem Gebäude eingeschlossen. Zeitweise war auch nicht klar, ob es einen zweiten Täter gab.
Dass die Rettung so lange dauerte, lag auch daran, dass es damals noch keinen geregelten Amokalarm an deutschen Schulen gab. Vorgeschrieben war zudem, dass die Polizei erst auf das Sondereinsatzkommando warten musste.
Funkgerät im Einsatzleitungswagen ausgeschaltet
Nach Darstellung des Anwalts hätte der Oberbürgermeister für den Katastrophenfall zuständig sein müssen, denn das Gymnasium gehöre der Stadt. Tatsächlich übernahm offiziell der Polizeipräsident. Dieser habe allerdings nicht gemerkt, dass im Einsatzleitungswagen das Funkgerät nicht angeschaltet war, so Langer. Im Grunde habe daher auch "drei Stunden später" niemand gewusst, wer den Einsatz wirklich leite.

Erster Amoklauf an einer deutschen Schule: Damit ging das Gutenberg-Gymnasium in Erfurt in die Geschichte ein. Hier erschoss der 19 Jahre alte Robert S. vor 20 Jahren elf Lehrer, eine Referendarin, zwei Schüler, eine Sekretärin und einen Polizisten. Am Ende sich selbst.© imago / Karina Hessland
"Ich meine, das kann man eigentlich nicht stümperhafter machen, als man es gemacht hat", so der Anwalt, der später Strafanzeige stellte. Die Untersuchungskommission unter Leitung des damaligen Thüringer Justizministers Gasser legte nach Langers Überzeugung einen lückenhaften Abschlussbericht vor. So sei nicht klar, was in der Zeit vom Eintreffen des Sondereinsatzkommandos bis zu der Minute, in der die Notärztin das Gebäude betrat, passiert sei. Für diese anderthalb Stunden gebe es keine Dokumentation.
Verantwortung für die Zukunft
"Ich hätte jedes Verständnis gehabt, wenn man danach gesagt hätte: Wir waren an dem Tag überfordert", betont der Anwalt. "Dass so ein Ereignis jemanden überfordert, das ist mir vollkommen klar, und auch eine Organisation und eine Struktur überfordert ist, das ist auch klar. Aber indem man eigentlich sagt: 'Wir haben alles richtig gemacht', schiebt man einfach die Verantwortung für die Zukunft weg. Ich frage mich, ob die das heute, wenn diese Situation wieder eintreten würde, besser machen würden. Ich unterstelle das, aber sicher bin ich mir nicht."
Diese nach seiner Ansicht mangelnde Aufarbeitung sei "katastrophal", so der Vorwurf Langers. "Es macht mich auch heute noch so wütend." Am Ende seien „Rechtsstaatsprinzipien über Bord geworfen worden, um es zu schaffen, dass Ruhe einkehrt."
(bth)
(bth)