Der Beitrag von Hans-Jürgen Papier ist Teil der Reihe "Der Bundestag wolle beschließen..." anlässlich von 70 Jahren Grundgesetz, in dieser Woche jeweils um 7.20 Uhr im DLF Kultur.
Nachhaltigkeit muss bei der Gesetzgebung mit beachtet werden
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Gleichberechtigung, Umwelt- und Tierschutz als Staatsziele reichen nicht aus, sagt der frühere Präsident am Bundesverfassungsgericht Hans-Jürgen Papier. Er fordert, das Prinzip der Nachhaltigkeit ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern.
Nachhaltigkeit ist ohne Zweifel das politische, ökonomische und ökologische Gebot der Stunde. Dem Grundgesetz ist diese Idee nicht gänzlich fremd. Allerdings sind es derzeit nur einzelne Sektoren der Politik – etwa die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen oder die sogenannte Schuldenbremse – die dem Gebot der Nachhaltigkeit verpflichtet sind. Das ist zu wenig. Die Vorsorge für die nachhaltige Befriedigung von Gemeinschaftsinteressen sollte ausdrücklich zur Aufgabe aller staatlichen Gewalten erklärt werden, insbesondere auch der Gesetzgebung. Und sie sollte vor allem auch eine sozialpolitische Dimension erhalten.
Sämtliche Gesetze auf Nachhaltigkeit prüfen
Die Auflistung eines weiteren Staatszieles – vergleichbar dem Tierschutz, oder der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen oder der Gleichberechtigung von Mann und Frau – wäre eine mögliche Lösung. Die Gefahr das Grundgesetz dabei mit immer neuen und immer sehr spezifischen Staatszielbestimmungen zu überfrachten, ist allerdings groß. Es geht ja ums Ganze, um alles.
Deshalb ist die Ergänzung des zentralen Art. 20 eine naheliegende und angemessene Lösung. Er normiert die rechtliche Grundordnung der Bundesrepublik und sichert unter anderem Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Sozialstaatsprinzip. An dieser Stelle wäre das Ziel einer "dauerhaften Befriedigung des Gemeinwohls und der Belange auch künftiger Generationen" seiner zentralen Bedeutung angemessen fixiert.
Ein Gewinn an Systemgerechtigkeit der Gesetzgebung
Das würde deutlich machen, dass es bei diesem Ziel um die Bestimmung des gesamten Wesens der deutschen Demokratie geht. Auch wäre somit klar gemacht, dass es sich dabei um einen allgemeinen verfassungsrechtlichen Gestaltungsauftrag der Verfassungsorgane handelt. Das verspricht einen Gewinn an Rationalität, Kontinuität und Systemgerechtigkeit der Gesetzgebung. Das mag technisch klingen, würde aber der facto sämtliche Gesetze und damit auch die ganz konkrete Politik einer ständigen Nachhaltigkeitsprüfung unterziehen.
Darüber hinaus kann es dazu beitragen, das Bürgervertrauen in die Funktionsfähigkeit der rechtsstaatlichen Demokratie und ihrer Organe zu stärken oder wiederzugewinnen. Würde es doch zeigen und immer wieder zeigen, dass der Gesetzgeber über das Tagesgeschäft und über die eigenen Bedürfnisse hinaus denkt.
Die politische Durchschlagskraft erhöhen
Auch aus politisch-ethischen Gesichtspunkten und für das politische Bewusstsein in diesem Land ist es wichtig, das Verfassungsprinzip der Nachhaltigkeit ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern. Es gewönne damit nicht nur eine juristische Verbindlichkeit, sondern auch eine erhöhte politische Durchschlagskraft.
Es empfiehlt sich, neben dem materiellen Prinzip der Nachhaltigkeit auch eine diesbezügliche verfahrensmäßige Absicherung im Grundgesetz zu verankern. Diese sollte verlangen, dass der Gesetzgeber bereits im Gesetzgebungsverfahren die angemessene Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsprinzips darzulegen und zu begründen hat. Somit wäre sichergestellt, dass die Folgen des eigenen Handelns immer mitgedacht werden müssen.