Der Beitrag von Patrick Bahners ist Teil der Reihe "Der Bundestag wolle beschließen..." anlässlich von 70 Jahren Grundgesetz, in dieser Woche jeweils um 7.20 Uhr im DLF Kultur.
Niemand muss seine Religion verbergen
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Niemand muss seine religiöse Überzeugung offenbaren, steht im Grundgesetz. Der Publizist Patrick Bahners fordert eine Erweiterung: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren – oder zu verbergen.“ Was auch für den Staatsdienst relevant wäre.
Niemand muss seine religiöse Überzeugung offenbaren – so steht es im Grundgesetz. Der Publizist Patrick Bahners fordert: Die Bestimmung wie folgt zu erweitern. "Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren – oder zu verbergen."
Die Religionsfreiheit steht unter den Grundrechten fast ganz vorne, in Artikel 4 des Grundgesetzes. Der Parlamentarische Rat fasste sich kurz. "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." Die Kürze hat einen Grund in der Sache. Am fundamentalen Charakter der Vorschrift soll kein Zweifel aufkommen.
Die Religionsfreiheit steht unter den Grundrechten fast ganz vorne, in Artikel 4 des Grundgesetzes. Der Parlamentarische Rat fasste sich kurz. "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." Die Kürze hat einen Grund in der Sache. Am fundamentalen Charakter der Vorschrift soll kein Zweifel aufkommen.
Das Gewissen bezeichnet für den Staat eine absolute Grenze. Artikel 4 fiel aber auch deshalb kurz aus, weil er nicht das letzte Wort des Grundgesetzes zu den Religionen ist. Im hinteren Teil folgt das Kleingedruckte. Artikel 140 bestimmt, dass fünf Artikel der Weimarer Reichsverfassung, die das Verhältnis von Staat und Kirche regeln, zum Text des Grundgesetzes gehören.
Die Bekenntnisfreiheit schließt eine Bekenntnispflicht aus
Mit den Monarchen verschwanden 1919 auch die Staatskirchen. Der Staat hat die Religionen in die Freiheit entlassen und verpflichtet sich, sie alle gleich zu behandeln. Die Weimarer Religionsartikel ziehen rechtliche Konsequenzen aus Erfahrungen tatsächlicher religiöser Diskriminierung. So war im Kaiserreich mit einer Quotenregelung für katholische Professoren experimentiert worden, weil protestantische Wissenschaftler Katholiken als ungebildet verachteten. Und obwohl den Juden niemand Bildungsferne vorwerfen konnte, waren sie im Staatsdienst unterrepräsentiert.
Der Realität fortwirkender Missachtung formal gleichberechtigter Minderheiten trägt eine Bestimmung der Weimarer Verfassung Rechnung: "Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren." Religion ist Privatsache in dem Sinne, dass jeder für sich behalten darf, was er glaubt. Die Bekenntnisfreiheit schließt eine Bekenntnispflicht aus.
Der Realität fortwirkender Missachtung formal gleichberechtigter Minderheiten trägt eine Bestimmung der Weimarer Verfassung Rechnung: "Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren." Religion ist Privatsache in dem Sinne, dass jeder für sich behalten darf, was er glaubt. Die Bekenntnisfreiheit schließt eine Bekenntnispflicht aus.
Einzelne Bundesländer haben Berufsverbote erlassen
Nach sieben Jahrzehnten eines vom Grundgesetz erneuerten Religionsfriedens wächst heute wieder das Misstrauen gegenüber Mitbürgern, die in ihrem Leben auch dem Gesetz einer Religion folgen. Sie bekommen die Aufforderung zu hören, ihre Religion doch gefälligst als Privatsache zu behandeln – was nun aber heißen soll: sich unsichtbar zu machen. Die Schriftstellerin Monika Maron sieht sich von Kopftuchträgerinnen sogar auf der Straße belästigt.
Erst recht löst das Kopftuch von Amtsträgerinnen Abwehrreaktionen aus – obwohl Artikel 33 des Grundgesetzes garantiert, dass die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen Bekenntnis ist. Einzelne Bundesländer haben schon ein Berufsverbot für Justizbeamte mit Kopftuch oder Kippa zum Gesetz gemacht, als müsste es ein Indiz für Fanatismus sein, wenn eine Muslimin oder ein Jude sich auch im Dienst so kleidet, wie sie oder er es überall in der Öffentlichkeit tut.
Eine Klarstellung des Verfassungstextes wäre angebracht
Die Befolgung religiöser Kleidervorschriften deutet für sich genommen aber nicht auf ein gestörtes Verhältnis zu den Amtspflichten des Staatsdieners. Vom einzelnen Beamten muss erwartet werden, dass er religiöse und staatliche Normen auseinanderhält – wie der Staat es vormacht. Wegen dieser Trennung von Staat und Kirche oder Moschee oder Synagoge müssen Gläubige sich nicht verstecken. Zur Klarstellung ist eine Ergänzung des Verfassungstextes angezeigt: "Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren – oder zu verbergen."