Poet des Folk
Sein erstes Album erschien 1965, mehr als dreißig sind es inzwischen. Der heute 73-jährige Songwriter Eric Andersen war Anfang der Sechziger im New Yorker "Village" dabei, als der Folk die Welt veränderte. Harald Mönkedieck stellt ihn vor.
Eric Andersen aus seinem Mini-Album "Shadow And Light Of Albert Camus". Andersen ist ein Singer-Songwriter von der US-Ostküste, der viele seiner späteren Jahre in Europa verbracht hat. Lange in Norwegen, heute in Amsterdam, gemeinsam mit seiner niederländischen Frau Inge.
Regelmäßig kehrt der Zeitzeuge Andersen zurück in die USA. Im Frühjahr 2016 initiierte er in New York - gemeinsam mit dem Stadthistoriker Stephen Petrus – die Veranstaltungsreihe "Camus – A Stranger In The City". Unter Beteiligung der Nachlassverwalter des Nobelpreisträgers und Prominenz wie Patti Smith.
Albert Camus reiste im Jahr 1946 nach New York. Andersen sang seine neuen Camus-Songs erstmals 2013, im Theater von Aix-en-Provence, zum 100. Geburtstag des Autors.
Dylan, Ginsberg, Warhol, Mitchell und van Zandt
Andersen ist – wie viele seiner amerikanischen Folk- und Beatnik-Generationsgenossen – literarisch interessiert. Kam oft in Berührung mit dem gegenkulturellen Geist seiner Zeit. Andersen traf Dylan, Ginsberg und Warhol, war Freund von Joni Mitchell und Townes Van Zandt, lebte im Chelsea Hotel und in Woodstock, arbeitete in L.A. und in Nashville. Schließlich in Norwegen, wo er in den Achtzigern ein neues Leben begann.
Eric Andersen hatte nie selbst Hits, doch er schrieb Songs, die oft gecovert wurden – sogar von Johnny Cash, Bob Dylan und The Grateful Dead. "Thirsty Boots", "Violets Of Dawn", "Close The Door Lightly". Es sind Songs, die poetische Geschichten erzählen, dabei gern ein Geheimnis wahren.
Andersen hat viel erlebt. Man hört es seiner Stimme an. Im Frühjahr 2016 in New York denkt der 73jährige an die alte Heimat, die Erfahrung des Exils, den Stellenwert des literarischen Existenzialisten Camus.
"Man braucht eine große Dosis Camus hier in den USA. Das Land ist wie ein Schiff ohne Ruder in einer gewalttätigen Welt. Man muss aufpassen. Ich bin zwar im Exil, doch ich habe noch immer eine Beziehung zu New York. Ich komme in gewisser Weise von hier. Nach meiner Kindheit und dem College war New York mein Ort. Sie ist immer noch die Hauptstadt der Welt. Aber sie wirkt verkommen auf mich, außer all diesen Luxusapartment-Hochhäusern. Ich war zwanzig Jahre in Norwegen, bin jetzt in den Niederlanden. Aber ich denke immer noch an die Yankees und die Mets …"
Dankbar für jeden Tag
Eric Andersen hat die Vereinigten Staaten oft bereist, er spielte in Japan und in Europa. Sein Blick auf die Welt ist der Blick eines Mannes, der dankbar ist für jeden Tag. Nicht frei von Altersmelancholie, mit vielen Erinnerungen an vergangene und vielleicht bessere Zeiten.
"In meinem Alter ist man froh, überhaupt irgendwo aufzuwachen. Die Welt ist klein geworden. In Moskau, Tokio und Atlanta trägt man dasselbe, überall die gleichen Bücher, Filme und Platten. Die Popkultur ist omnipräsent, einheimische Sprachen und Kulturen gehen verloren. Alles wird geglättet. Egal wo Du bist. Wir werden kontrolliert von Kräften der Macht und des Geldes. New York sieht für mich sehr ungesund aus, verglichen mit meiner Erinnerung. Ich bekomme immer diese Preisschild-Schocks. Ein Burger eben noch 8 Dollar, zwei Jahre später 14."
Nicht immer lief alles glatt in der Karriere des New Yorkers. Die Bänder seines vielleicht besten Albums "Stages" verschwanden zwanzig Jahre lang bis in die Neunziger. Deals mit Labels kamen und gingen, nicht alle Projekte wurden verwirklicht. Heute arbeitet Andersen mit einem kleinen Label aus Köln. Der Amerikaner mag deutsche Gradlinigkeit, die Wertschätzung von Kultur jenseits kommerzieller Interessen.
"Ich schätze Deutschland und habe viele gute Freunde dort. Ich hab’s ein wenig mit Deutschland. Man hört zwar dieses und jenes, doch historisch betrachtet – außerhalb der Zerstörung der Hitler-Jahre – haben Deutsche viel geleistet für die Kultur. Ich arbeite gerade mit dem Sohn von Heinrich Böll für ein Projekt über seinen Vater. Deutschland hat viele Verdienste, denn man lässt dort Worten Taten folgen, geht Risiken ein. Das liebe ich an Deutschland. Man hat dort keine Angst, Dinge zu versuchen. Das möchte ich jetzt einmal aktenkundig machen."
Einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt
Der Songwriter-Veteran Eric Andersen arbeitet auch mit 73 Jahren weiter an einem Songkatalog mit vielen Qualitäten, auch wenn die einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Über die Liebe hat er oft geschrieben – romantisch, poetisch, philosophisch. Gern auch in längerer Form, mit gesprochenen statt gesungenen Worten. Und die Liebe ist auch heute noch das Wichtigste für den US-Songpoeten zwischen den Welten: Umarmung statt Ablehnung, Akzeptanz des Anderen, Empathie für den Mitmenschen. Darum geht es im Leben, sagt Andersen – und denkt dabei vielleicht auch an Camus, den Franzosen aus Algerien.
"Love is the only thing that matters. Love is needed more than ever. The love for humanity. You have to open up and realize everyone is struggling the same way you are. You gotta love them and love their struggle. You have to empathize with this thing." ("Liebe ist das einzige was zählt. Sie wird heute gebraucht mehr als je zuvor. Die Liebe für die Menschen. Man muss sich öffnen und erkennen: jeder kämpft den gleichen Kampf. Man muss den Menschen und seinen Kampf lieben. Empathie haben dafür.")