Eric Jarosinski: Nein. Ein Manifest
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015
96 Seiten, 12,00 Euro
Todtraurige Witze gegen den Pflicht-Optimismus
Wir leben in einer "Tyrannei des Ja", meint der amerikanische Philosoph und Germanist Eric Jarosinski. Zu sehen etwa beim alternativlosen "Like"-Daumen sozialer Netzwerke. Auf Twitter hat er sich erfolgreich der Negation verschrieben. Nun erscheint eine Auswahl der Texte als Buch: verzweifelt und hoch komisch.
Dem amerikanischen Philosophen, Germanisten und selbsternannten "gescheiterten Intellektuellen" Eric Jarosinski zufolge leben wir in einer "Tyrannei des Ja". Andauernd sollen wir zu Menschen, Dingen, Sachverhalten unsere Zustimmung geben − am deutlichsten ist diese Tendenz vermutlich in sozialen Netzwerken wie Facebook zu beobachten, wo man immer nur den affirmativ nach oben gereckten Daumen anklicken kann. Gefällt nicht? Gibt's nicht.
Ermüdet von all dem rief Jarosinski vor einigen Jahren einen Twitter-Account ins Leben, der sich ganz der Negation verschrieben hat. Unter dem Namen NeinQuarterly setzt er, meist mehrmals täglich, aphoristische Tweets zu Philosophie, Kunst, Politik und der deutschen Sprache ab. Inzwischen hat er über 110.000 Follower in 125 Ländern; außerdem eine Kolumne in der ZEIT namens "Ideologie des Alltags". Nun erscheint eine Auswahl seiner Texte erstmals in Buchform.
Frontalzusammenstöße zwischen Haiku und Kalauer
Mit "Nein. Ein Manifest" stellt Jarosinski sich bewusst in die Tradition der Frankfurter Schule, deren Werke er einst, als Professor an der University of Pennsylvania, ausgiebig gelehrt und gelesen hat. Das Bild auf der Buchvorderseite zeigt entsprechend nicht den Autor, sondern ist ein verfremdetes Portrait von Theodor W. Adorno. Jarosinskis "Nein" orientiert sich an dessen Konzept der "negativen Dialektik", das allenfalls in der Verneinung der bestehenden Zustände noch Hoffnung auf Verbesserung aufblitzen sieht: "Es ist keine Schönheit und kein Trost mehr", schrieb Adorno, "außer in dem Blick, der aufs Grauen geht, ihm standhält und im ungeminderten Bewusstsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhält".
Der Untertitel des Buchs führt allerdings beherzt in die Irre: Ein "Manifest" würde sowohl dem Prinzip der negativen Dialektik als auch dem aphoristischen Charakter des Werks widersprechen. Auf knapp 140 Seiten versammelt es nihilistische Vierzeiler, todtraurige Witze, Frontalzusammenstöße zwischen Haiku und Kalauer: "Verzweiflung. / Auf der Suche nach einer besseren Welt. / Und Hoffnung. / Dass sie sich nie finden lässt." Neben der Unfallstelle stehen Nietzsche, Kafka, Emile Cioran und Freud und winken.
Auswahl erscheint knapp bemessen
Bei aller Verzweiflung ist das Buch dabei immer wieder hochkomisch − etwa, wenn Jarosinski die Freudsche Sublimationstheorie zusammenfasst, Kultur sei "die ungerauchte Zigarette nach dem Verzicht auf Sex". Oder wenn er schreibt, Deutsch sei eine "Sprache, die für die Philosophie erfunden wurde, aber für den Bau von Autos verwendet wird". Vor allem im Glossarteil scheint auch der große amerikanische Misanthrop Ambrose Bierce Pate gestanden zu haben, der vor hundert Jahren sein "Wörterbuch des Teufels" veröffentlichte. Analog könnte man sagen: "Nein." ist das Wörterbuch des melancholischen, bisweilen auch manisch-depressiven Intellektuellen: "Mein Glas: halb leer. / Mein Grab: halb voll."
Die schlechte Nachricht zum Schluss: Wenn man bedenkt, dass Jarosinski auf Twitter inzwischen mehr als 35.000 Tweets abgesetzt hat, dann erscheint die knappe Auswahl an Texten − etwa 70 sehr luftig gesetzte Vierzeiler sowie gut 100 Definitionen − doch eher knapp bemessen. Zumal getreue Follower von NeinQuarterly etliche brillante Tweets vermissen dürften. Sie können sich allenfalls mit einem Jarosinskismus über die Kürze des Buchs hinwegtrösten: "Lange Rede. / Kurzer Sinn. / Kurze Rede. / Langer Sinn."