Buch "Ist das noch Demokratie oder kann das weg?"

Über ein verteidigenswertes Gut

Buchcover "Ist das noch Demokratie oder kann das weg?" von Erica Benner
© Kein&Aber Verlag

Erica Benner

Aus dem Englischen übersetzt von Yamin von Rauch

Ist das noch Demokratie oder kann das weg? Gedanken zu der besten Staatsform die wir kennenKein & Aber, 2024

280 Seiten

20,00 Euro

Von Michael Meyer |
Die Demokratie ist ein zerbrechliches Gut. Zukunftsängste, Xenophobie und Sehnsucht nach autoritären Strukturen setzen sie unter Druck. Autorin Erica Benner beschreibt anhand ihrer eigenen Biografie, warum die Demokratie verteidigenswert ist.
Was ist Demokratie? „Illiberale Demokratie“ wie in Ungarn oder „gelenkte Demokratie“ wie in Russland? Wohl kaum. Diese Grundfrage versucht Erica Benners Buch zu beantworten, das im Original „Adventures in Democracy“ heißt, übersetzt etwa „Abenteuer Demokratie“.  Bei aller Ernsthaftigkeit ist es erstaunlich unterhaltsam geschrieben und kommt sehr stark narrativ daher. Benner beschreibt auch anhand selbst erlebter Geschichten, wie sie Debatten und Diskussionen in verschiedenen Ländern rückblickend beurteilt. Sie wurde als Tochter amerikanischer Eltern in Tokio geboren, wuchs in Japan und in Großbritannien auf und hat seitdem in weiteren Ländern gelebt und gearbeitet, darunter Deutschland, Polen und Ungarn.

Schwierige Geburt der Demokratie in Japan

Benner geht zu Anfang ihres Buches erstmal weit zurück. Sie beschreibt, wie die Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg nach Japan kam. Als „Gaijin“, also Ausländerin, lebte sie im Nachkriegsjapan und analysiert rückblickend, dass das Land keine verbindenden Geschichten über die Geburt seiner gegenwärtigen Demokratie kenne. Diese war, so beschreibt es Benner, zuerst das Verdienst der Amerikaner und der Besatzung. Doch 80 Jahre später ist Japan immer noch eine funktionierende Demokratie, trotz einer schwierigen Geburt dieser Staatsform:

Im Fall einer auferlegten Demokratie wie in Japan hinterlässt diese Geburt nicht nur sichtbare Spuren an der neuen Demokratie, sondern auch an der älteren, die dafür verantwortlich ist. Wenn in der ersten Selbstzweifel und Ängste über eine zu große Abhängigkeit von einer fremden Macht aufkommen, kann in der zweiten ein unverhältnismäßiger Eindruck von der eigenen Stärke entstehen, die als Ausdruck natürlicher oder gottgegebener Tugendhaftigkeit gesehen wird. Die alten Griechen nannten dies Hybris: eine gefährlich unrealistische Einschätzung der eigenen Stärken und Ansprüche.

Erica Benner

Die USA, auf die Benner anspielt, sind sicher ein besonderes Beispiel, in Deutschland dürfte dieser Typ von Hybris nicht so präsent sein, wohl aber eine ausgeprägte Debattenkultur. Benner fragt im weiteren Verlauf: In einer Welt, die einem enormen globalen Druck wie Ungleichheit, Krieg, Migration und Umweltzerstörung ausgesetzt ist, sei „die Frage berechtigt, ob eine Regierungsform, die auf endlosen Debatten zwischen streitsüchtigen, falsch informierten Bürgern beruht, der Herausforderung gewachsen ist.“
Benners Antwort ist ein klares Ja. Aber sie plädiert auch dafür, die selbstgefällige Sicht auf den Status quo zu verwerfen und mehr Ehrlichkeit in unsere Gespräche über das Ideal und die Realität der modernen Demokratie zu bringen. Hier bringt sie verschiedene Punkte zur Sprache.

Gleichheit ist auch in Demokratien ein Ideal

Benner untersucht etwa, welche Folgen es hat, wenn Gesellschaften etwas weniger oder etwas stärker demokratisch verfasst sind. Also, wenn man so will, wenn manche Bürger und Bürgerinnen etwas mehr oder weniger Privilegien haben. Etwa: Wie behaupten sich Frauen, wenn es um einflussreiche Posten geht? Ein anderes Kapitel behandelt die Frage, wie Xenophobie Eingang findet in politische Debatten, etwa in Japan, Großbritannien oder den USA. Um eine echte Demokratie aufrechtzuerhalten, müsse man sich zudem mit allen Beteiligten auseinandersetzen. Auch wenn sie Ansichten vertreten, die man zuweilen vielleicht verabscheut. Benner drängt uns dazu, die vielen Schwächen der Demokratie einzugestehen. So habe sie zum Beispiel „schon immer ein Wissensproblem. Wahlen werden durch Beliebtheit gewonnen, nicht durch Fachwissen.“
Das heikle Verhältnis der Demokratie zu den Experten trat während der Pandemie zutage, als Spezialisten plötzlich enormen Einfluss auf Fragen von Leben und Tod hatten. Doch Experten seien nicht einfach nur Experten, sondern auch Menschen mit parteipolitischen Neigungen, Egos und Karrierewünschen. Dieses Problem untersucht sie in einem eigenen Kapitel.
Aber die eigentliche Herausforderung, die sich wie ein roter Faden durch ihr Buch zieht, ist die Ungleichheit. Es sei einerseits absurd zu glauben, dass Demokratie immer zu mehr Gleichheit führe. Und andererseits seien Demokratien trotz all ihrer Schwächen immer noch am ehesten in der Lage, eine Welt zu schaffen, in der es zumindest einigermaßen gerecht zugeht. Erica Benner hat eine durchaus ambivalente und durch Anekdoten sehr lebensnah geschriebene Analyse vorgelegt. Sie skizziert alle möglichen Schwächen der Demokratie und kommt zu dem Schluss, dass diese es aktuell zwar schwieriger machen, die Demokratie zu verteidigen. Dennoch sieht sie genau hier auch eine Chance:

Denn diese einst so selbstgerechten Demokratien haben mit alten und neuen Dämonen zu kämpfen. Das muss an sich nichts Schlechtes sein. Die Leerstellen, die die westlichen Modelle hinterlassen, schaffen mehr Raum für kreatives Nachdenken darüber, was die Einheimischen brauchen und welche Veränderungen sie befürworten würden. Und es ist immer besser, eine realistische Sicht darauf zu haben, wofür man kämpft, und die vielen Fallstricke der Demokratie zu kennen.

Erica Benner

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