Der Sturkopf der Polarforschung
Erich Dagobert von Drygalski war ein Pionier der Polarforschung, dennoch ist sein Name nicht so bekannt wie der von Robert Falcon Scott oder Roald Amundsen. Vor 150 Jahren wurde der als Sturkopf geltende Geograf in Königsberg geboren.
"Häufig standen Südlichte am Himmel und verbreiteten über die zauberhafte Natur ihren magischen Glanz. Ich stand auf der Brücke und schaute dem Treiben der Eisberge zu, die - wie von einer magischen Kraft getrieben - gegen uns anrückten und das dünne Jungeis am Rande des Feldes leicht vor sich herschoben, dass es knisterte und krachte."
Februar 1902: Unter der Leitung von Erich von Drygalski dringt das Forschungsschiff Gauß erstmals in die Antarktis vor, jenen riesigen weißen, noch weitgehend unbekannten Fleck auf der Südhalbkugel. Diese Pionierleistung geriet jedoch fast in Vergessenheit, als sich Amundsen und Scott zehn Jahre später ihren spektakulären Wettlauf zum Südpol lieferten. Von Drygalskis Kommentar dazu:
"Für die Polarforschung ist es unerheblich, wer als Erster am Pol steht."
Seine gelegentliche Sturköpfigkeit schrieb man der ostpreußischen Herkunft zu. Erich Dagobert von Drygalski wurde am 9. Februar 1865 in Königsberg geboren, begann bereits mit 17 Physik und Mathematik zu studieren, wechselte dann an die Universität Bonn, wo er seine Leidenschaft für Geografie entdeckte und vom "Polarfieber" seiner Zeit angesteckt wurde: Mit 22 schrieb er seine Doktorarbeit über Eisregionen im hohen Norden und bekam eine Anstellung beim Geodätischen Institut in Potsdam. 1891 beauftragte die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin den gerade 26-Jährigen mit zwei Expeditionen nach Westgrönland. Seine Gletscherforschungen dort empfahlen von Drygalski dann für die Leitung der ersten deutschen Südpolarexpedition. Und auch wenn ihn "nur" die wissenschaftliche Neugier antrieb, begann im August 1901 eine sehr abenteuerliche Reise von Kiel aus über Kapstadt zu den Kerguelen-Inseln im Pazifischen Ozean und dann Richtung Antarktis:
"Der Wind war zum Schneesturm angewachsen. Wir hielten auf die Öffnung zwischen zwei Eiskanten zu, ich gestehe, dass mich bei dieser Einfahrt ein gewisses Grauen erfasste. Bekannt war hier nichts, lediglich das, was wir um uns sahen - und dieses war Eis."
Im März 1902 sitzt das Forschungsschiff Gauß vollständig fest. Aber Erich von Drygalski ist voller Tatendrang: Um das Schiff herum bauen er und die anderen Expeditionsteilnehmer eine Forschungsstation auf: Iglus, Holzhütten und Zelte, in denen die verschiedenen Messinstrumente, Fernrohre, Laborgerätschaften, Eisbohrer und Motoren installiert und gelagert werden. Die Wissenschaftler arbeiten bei jedem Wetter:
"Das ganze Gesicht pflegte sich mit einer dicken Eiskruste zu überziehen, bisweilen war der Winddruck so heftig, dass man den Atem verlor und nur noch rückwärts am Kabel sich zum Schiffe zurückziehen konnte."
Politische Dimension der Expedition nicht erkannt
Sie haben auch Hundeschlitten dabei und erkunden auf mehreren Fahrten die überraschend reichhaltige Tierwelt der Antarktis und vor allem die Gletscher und Eisformationen. Sie entdecken einen erloschenen Vulkan, den sie "Gaußberg" nennen, unternehmen mehrere Fahrten mit dem Fesselballon, beobachten das Wetter und machen sogar ein Luftbild von dem eingeschlossenen Forschungsschiff. Erst nach 50 Wochen ist die Gefangenschaft im Eis vorbei:
"Es war, als wir plötzlich zwei kurz aufeinanderfolgende Stöße verspürten. Mit dem Rufe Das Eis bricht! stürzte ich an Deck, und oben fanden wir schon eine Kehle zwischen dem Eise."
Schon auf der Rückreise erreichte Erich von Drygalski die Nachricht, dass es keine weiteren finanziellen Mittel für die Expedition mehr geben werde. Kaiser Wilhelm II., hieß es, sei enttäuscht, weil sie nicht bis zum Südpol vorgedrungen war. Denn obwohl vor der Abfahrt ins ewige Eis auf der Gauß "nach einem brausenden Hurra auf Seine Majestät patriotische Lieder gesungen wurden", hat von Drygalski die politische Dimension des Unternehmens nicht erkannt - oder wollte es nicht:
"Nicht um Sensationen zu erregen, sind wir in die Antarktis gezogen, sondern zum Nutzen der Wissenschaft."
Das Forschungsschiff wurde an die kanadische Regierung verkauft. Erich von Drygalski erhielt 1906 einen Ruf als Professor für Geografie nach München, wo er bis zur Emeritierung 1935 blieb. Allerdings nicht immer vor Ort: 1910 reiste er mit Graf Zeppelin nach Spitzbergen, wo dieser testen wollte, ob Luftschiffe auch für die Arktis tauglich sind.
Drygalski starb am 10. Januar 1949, mit 84 Jahren. Sein Name ist nicht mehr allgemein bekannt, hat aber weltweit einen guten Klang in der Polarforschung und in der Geografie. Das Fazit nach der Südpolarexpedition könnte man auch als sein Lebensmotto lesen:
"Neues entstand aus bewährten Grundlagen und auch gänzlich Neues aus dem Schauen und dem Kampf mit der großen Natur."