Zum 50. Todestag

Relevanter denn je: Erich Kästner

Erich Kästner betrachtet sein Ebenbild aus Bronze im Jahr 1958.
Hatte immer eine gewisse Distanz zu sich selbst: Erich Kästner. © picture-alliance / dpa / Goebel
Erich Kästner ist heute vor allem für seine Kinderbücher bekannt. Doch er schrieb auch Erwachsenenromane, Reportagen, Gedichte. Während der NS-Zeit blieb er in Deutschland – obwohl seine Bücher verbrannt wurden. Nun jährt sich Kästners 50. Todestag.
Erich Kästner schrieb Kinderbuch-Klassiker wie "Emil und die Detektive" und "Das doppelte Lottchen". Schon vor dem Zweiten Weltkrieg war er ein literarischer Tausendsassa, verfasste Reportagen, Glossen und Gedichte und war in der Weimarer Republik so etwas wie ein literarischer Popstar. Während der Nazizeit blieb Kästner trotz Schreibverbot in Deutschland, nach dem Krieg mahnte er unermüdlich vor Nationalismus und Militarismus. Literarisch aufgearbeitet hat er die NS-Zeit jedoch nur bedingt. Am 29. Juli 2024 jährt sich sein 50. Todestag.
Erich Kästner wird am 23. Februar 1899 in Dresden geboren und wächst in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Mit 17 Jahren wird er eingezogen und dient im Ersten Weltkrieg in einem Artillerie-Regiment. Die Schrecken des Krieges führen bei ihm zu einer ausgeprägten Abneigung gegen Nationalismus, Kriegstreiberei und Waffenbegeisterung.
Eine weitere wichtige Prägung ist sein ungewöhnlich enges Verhältnis zu seiner psychisch labilen Mutter, die er mehrfach vom Selbstmord abhalten muss. Er schreibt ihr zeitweise täglich Briefe und Postkarten und bleibt ihr bis zu ihrem Tod 1951 eng verbunden.

Kästner als Literaturstar der Weimarer Republik

Nach Kriegsende studiert Kästner in Leipzig. Sein Studium finanziert er als Theaterkritiker und Journalist, 1925 promoviert er als Germanist. Von 1927 an lebt Kästner in Berlin und publiziert Gedichte, Lustspiele, Rezensionen, Glossen und Reportagen – teils unter Pseudonym, teils unter seinem echten Namen. Bald ist er in der Hauptstadt bekannt, er gilt als bissiger Satiriker und scharfer Beobachter. Erich Kästner wird zum Chronisten seiner Zeit.
Ende der Zwanziger ist Kästner eine der herausragenden literarischen Stimmen der Weimarer Republik. 1928 erscheint sein erster Gedichtband "Herz auf Taille", dem bis 1933 drei weitere Bände folgen. Doch es ist sein erstes Kinderbuch "Emil und die Detektive", das ihn 1929 endgültig zum Star der deutschen Literaturszene werden lässt. Weitere Kinderbücher sollten folgen – allesamt zeitlose Klassiker: "Pünktchen und Anton" (1931), "Das fliegende Klassenzimmer" (1933) oder "Das doppelte Lottchen" (1949).

Gegner des Nazi-Regimes

Sein wachsendes Unbehagen angesichts des wiedererstarkenden Nationalismus drückt er 1928 in seinem Gedicht "Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?" aus. Darin beschreibt der 29-Jährige Deutschland als durch und durch militaristisch geprägtes Land:

Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen
Und mit gezognem Scheitel auf die Welt
Dort wird man nicht als Zivilist geboren
Dort wird befördert, wer die Schnauze hält

Und Kästner schließt mit den prophetischen Worten:

Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen.
Auch sein Roman "Fabian" von 1931 belegt Kästners außergewöhnliche Beobachtungsgabe für das Zeitgeschehen. Es ist die Geschichte eines arbeitslosen Germanisten namens Jakob Fabian, der durch das wilde Berlin der späten zwanziger Jahre streift und versucht, in einer Stadt, die sich gesellschaftlich und politisch zunehmend im Ausnahmezustand befindet, seine Moral und Integrität zu bewahren.

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Das Buch wurde um einige erotische Szenen gekürzt, war aber dennoch vielen zu obszön. Kästner selbst kommentierte es so: "Dieses Buch ist nichts für Konfirmanden, ganz gleich, wie alt sie sind." 2013, lange nach Kästners Tod, erscheint das Buch erstmals ungekürzt und mit seinem ursprünglichen Titel "Der Gang vor die Hunde". Es gilt heute als Meisterwerk und wurde 1980 von Wolf Gremm und 2021 von Dominik Graf (in der Hauptrolle: Tom Schilling) verfilmt. 2021 brachte Frank Castorf das Buch auf die Bühne des Berliner Ensembles.

Bücherverbrennung und Berufsverbot

Auch Adolf Hitler bekommt von Erich Kästner sein Fett weg. 1930 schreibt dieser in seinem "Brief an den Weihnachtsmann":

Und nach München lenk die Schritte
Wo der Hitler wohnen soll
Hau dem Guten, bitte, bitte,
Den Germanenhintern voll!

Als dieser 1933 schließlich die Macht ergreift und die ganze Welt Deutschland "kennenlernt", wie Kästner es prophezeit hatte, ist der Autor auf dem Höhepunkt seines Erfolges.
Kästners Bücher werden verboten, er erhält Publikationsverbot. Am 10. Mai sieht er aus nächster Nähe, wie seine Bücher auf dem damaligen Opernplatz in Berlin von den Nazis verbrannt werden. Goebbels persönlich erwähnt Kästner in seiner Rede am Feuer als dritten Autoren. 1958 erinnert sich Kästner in einer Rede vor dem westdeutschen PEN-Klub: "Ich habe Gefährlicheres erlebt, Tödlicheres, aber Gemeineres nicht."
Am 10. Mai 1933 verbrennen Nationalsozialisten auf dem Berliner Opernplatz Bücher verfemter Autoren wie Lion Feuchtwanger, Erich Kästner und Sigmund Freud.
Erich Kästner war dabei, als die Nazis seine Bücher verbrannten. Er wurde von SA-Männern erkannt und umringt, aber er durfte gehen.© picture-alliance / dpa / dpa

Kästner bleibt in Nazi-Deutschland

Im Gegensatz zu vielen seiner Kolleginnen und Kollegen entscheidet sich Kästner, in Deutschland zu bleiben, obwohl er zweimal von der Gestapo verhaftet wird. Er hofft zunächst, dass der Spuk schnell vorbei sein wird. Auch will er als Chronist seiner Zeit aufschreiben, was in Deutschland passiert. Er sieht es, wie er später sagt, als "Berufspflicht, jedes Risiko zu laufen, wenn er dadurch Augenzeuge bleiben und eines Tages schriftlich Zeugnis ablegen kann."
Heimlich führt Kästner Tagebuch, versteckt die Aufzeichnungen immer wieder, nimmt sein "blaues Buch" als einziges mit in den Luftschutzkeller. Sein Ziel: eines Tages den großen Roman über das sogenannte „Dritte Reich“ zu schreiben. Es sollte ihm Zeit seines Lebens nicht gelingen. Es sei unmöglich, so Kästner nach dem Krieg, Millionen Tote in eine literarische Architektur zu gliedern.
Der vielleicht offensichtlichste Grund für sein Bleiben ist jedoch, dass er seine psychisch labile Mutter nicht allein lassen will. Kästner bleibt also in Berlin, lebt von Erspartem und schreibt unter Hitlers Augen heimlich unter Pseudonym weiter – harmlose Lustspiele und ähnliches.
1942 verfasst Kästner – dank enger Beziehungen zur UfA und ebenfalls unter Pseudonym – das Drehbuch zum Kassenschlager "Münchhausen" mit Hans Albers. Goebbels erfährt später davon und duldet es. Kästner übersteht die Nazizeit ohne Blessuren und kann nach 1945 an seine Erfolge anknüpfen, niemand wirft ihm nach dem Krieg Opportunismus vor. Zeit seines Lebens mahnt er vor Militarismus und Nationalismus, auch als Präsident des PEN-Zentrums. Erich Kästner stirbt 1974 mit 75 Jahren in seiner Wahlheimat München.
Szene aus "Münchhausen" (D 1943, Regie: Josef von Baky): Hans Albers an eine Kanone gelehnt, um ihn herum preußische Soldaten.
Ein echter Coup: Kästner schrieb trotz Schreibverbot das Drehbuch für einen der größten Blockbuster der NS-Zeit.© picture alliance / Sammlung Richter

Warum ist Kästner heute noch wichtig?

Kästners Kinderbücher sind dank ihrer oft unangepassten, lebensklugen Kinderhelden auch heute noch populär. Die Kinderfiguren agierten in Kästners Werken "total autark", sagt Ines Dettmann, Leiterin des Jungen Literaturhauses Köln: "Es sind Kinder, die wissen, was sie wollen."
Bücher wie "Die Konferenz der Tiere" und Gedichte wie "Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?" sind Schullektüre. 2023 kam die Neuverfilmung von "Das fliegende Klassenzimmer" (in den Hauptrollen Tom Schilling und Hannah Herzsprung) in die Kinos.
Der Literaturwissenschaftler Tobias Lehmkuhl schreibt 2023 in seiner Kästner-Biografie "Der doppelte Erich" von der Ambivalenz Erich Kästners gegenüber seiner Zeit und sich selbst. Für Lehmkuhl ist Kästner ein Mensch, der mit sich selbst "nie im Reinen" war, bei dem es immer eine "Restdistanz" gab, gegenüber anderen und seiner eigenen Person. Vielleicht war Kästner gerade deshalb ein so glänzender Beobachter, dessen Werk gerade heute, im Angesicht von weltweit wachsendem Nationalismus und Rechtsextremismus, relevant bleibt.

pj

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