Erinnerung an Amos Oz und Uri Avnery

Wie sich Israel verändert hat

07:27 Minuten
Junge Siedler stehen israelische Fahnen schwenkend auf einem Hügel, um gegen die anstehende Anerkennung Palästinas durch die Vereinten Nationen zu demonstrieren.
Seit einigen Jahren rückt Israel politisch immer weiter nach rechts: Hier demonstrieren 2011 junge israelische Siedler im Westjordanland. © picture alliance / dpa / Oliver Weiken
Von Matthias Bertsch |
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Zweistaatenlösung? Davon redet in Israel heute kaum noch jemand. Dabei wäre sie eine Möglichkeit, den Nahostkonflikt zu befrieden – davon waren die im vergangenen Jahr verstorbenen Schriftsteller Amos Oz und Uri Avnery bis zuletzt überzeugt.
November 1947 in New York. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen beschließt die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat – mit 33 zu 13 Stimmen. Der Schriftsteller Amos Oz war damals acht Jahre alt.
"Ich war bis zwei Uhr morgens wach und als ich ins Bett gegangen bin, kam mein Vater mit", erinnerte Oz sich später. "Er erzählte mir, dass er als Kind in Polen von Antisemiten geschlagen wurde. Und er hat mir gesagt: 'Ab heute kann es zwar sein, dass du in der Schule schikaniert oder geschlagen wirst, aber nicht mehr, weil du Jude bist. Das ist vorbei.' Das hat mir deutlich gemacht, wie wichtig es war, einen jüdischen Staat zu schaffen."
Der israelische Schriftsteller Amos Oz sitzt auf einer Bank und blickt in die Ferne
Schriftsteller, Friedensaktivist und Kämpfer für eine Zweistaatenlösung: der im vergangenen Jahr verstorbene Amos Oz.© imago/Leonardo/Cendamo Leemage
Auch für den 15 Jahre älteren Uri Avnery war der jüdische Staat eine unverzichtbare Errungenschaft. 1933 aus Deutschland geflohen hatte er sich in Palästina zunächst einer zionistischen Untergrundorganisation angeschlossen, die Briten und Araber gleichermaßen bekämpfte. Nach der Ausrufung Israels und dem Überfall der arabischen Nachbarländer, die die Teilung Palästinas ablehnten, meldete sich Avnery als Freiwilliger.
Zeitzeuge Uri Avnery in Tel Aviv, Friedensaktivist
Gilt für viele als Vater der Zweistaatenlösung: der Schriftsteller und Publizist Uri Avnery (1923 - 2018).© ARD-Studio Tel Aviv / David Gastager
Doch so begeistert er in den Krieg zog, so ernüchtert kehrte er daraus zurück: der israelische Sieg war untrennbar mit der Nakba verbunden, der Vertreibung Hunderttausender Araber aus dem neu gegründeten jüdischen Staat, an der er mitgewirkt hatte. Dazu kam eine schwere Verwundung, sodass Uri Avnery nach dem Krieg eine grundlegende Entscheidung traf:
"Ich habe sofort begonnen zu versuchen, eine politische Organisation aufzustellen, die das forderte, was man heute die Zwei-Staaten-Lösung nennt: nämlich einen arabischen Staat Palästina neben dem neuen hebräischen Staat Israel. Es gibt Leute, die behaupten, ich wäre der Vater der Zwei-Staaten-Lösung. Ich habe es nie bestritten."

"Sie drohen uns auszuradieren"

Für den Schriftsteller Amos Oz war es ein anderer Krieg, der ihn zum Kämpfer für eine Zweistaatenlösung machte: der Sechstagekrieg 1967. Er endete mit der israelischen Besetzung jener Gebiete, die im UN-Teilungsplan für den arabischen Teilstaat vorgesehen waren. Wenig später begannen religiöse Zionisten, in den ehemals biblischen Provinzen Judäa und Samaria Siedlungen zu errichten und damit ihren Anspruch auf das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan anzumelden. Für Oz eine Anmaßung, der er sich vehement entgegenstellte, zum Beispiel in seinem Buch "Liebe Fanatiker":
"Wer versucht, die Tatsache zu vertuschen oder zu leugnen, dass die Rückkehr nach Zion in unserer Zeit, der Aufbau der Dörfer, Städte und Kibbuzim, von einer politischen, säkularen, modernen, pragmatischen Bewegung bewerkstelligt wurde, nicht durch den Messias, bedroht den Kern meiner jüdischen Identität und derjenigen, die so sind wie ich. Sie drohen uns auszuradieren."
Blick auf die Siedlung Kiryat Arba im Westjordanland, östlich von Hebron. Nach den Plänen der israelischen Likud-Partei sollen in dieser und anderen Siedlungen die gleichen Gesetze gelten wie in Israel.   
Kiryat Arba im Westjordanland, östlich von Hebron. Immer mehr Siedlungen entstehen in den palästinensischen Gebieten. © AFP/Hazem Bader
Kern dieser Identität war nicht mehr die Religion oder zumindest nicht mehr die Halacha, die strengen jüdischen Religionsgesetze. Oz wie Avnery waren Nachfahren jener aschkenasischen, also mittel- und osteuropäischen Juden, die nicht nur von der christlichen Judenfeindschaft Europas geprägt waren, sondern auch von Aufklärung und Säkularisierung:
"Als sich vor etwa 200 Jahren die Säkularisierung in Europa zu verbreiten begann, als der Kern der Identität der nichtjüdischen Umgebung aufhörte, religiös bestimmt zu sein, und national wurde, erst recht nach dem Auftauchen säkularer, multinationaler Ideologien, wurde das Leben der Juden innerhalb der Mauern der Halacha immer bedrückender und der Reiz der Welt der Nachbarn immer verlockender."

Mehrheit sein, nicht Minderheit

Der Zionismus, für den Avnery und Oz standen und mit ihnen die Gründerväter und -mütter Israels, war nicht nur eine Antwort auf die tödliche Gefahr des Antisemitismus, sondern auch auf die Verlockungen der Assimilation, die zum Verschwinden der Juden in der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft führen würde – wie viele befürchteten.
Die Antwort auf diese beiden Bedrohungen lautete: Israel muss säkular, demokratisch und jüdisch sein. Dass zwischen jüdisch und demokratisch ein grundsätzliches Spannungsverhältnis besteht, war Oz bewusst – doch er war weder bereit, auf das eine noch auf das andere zu verzichten, "weil ich auf dem Recht der israelischen Juden bestehe, wie jedes andere Volk die Mehrheit und nicht die Minderheit zu sein, und sei es auch nur auf einem kleinen Stückchen Land", heißt es in "Liebe Fanatiker".
Insofern war der Kampf für die Zweistaatenlösung für Avnery wie Oz nie ganz uneigennützig. Der Slogan "Stop the occupation!", den beide zahllose Male geäußert haben, steht nicht nur für einen Staat Palästina neben Israel, sondern auch dafür, den jüdischen Charakter Israels zu bewahren. Eine Position, die von rechts wie links kritisiert wird.

Ein gemeinsamer Staat wäre keine Lösung

Während die politische Rechte in Israel einen Staat Palästina grundsätzlich zurückweist, lehnen die extreme Linke – und viele ihrer Unterstützer, wie z.B. die BDS-Bewegung – das Konzept eines jüdischen Staates als rassistisch ab. Sie fordern eine Ein-Staaten-Lösung mit gleichen Rechten für Juden und Araber in ganz Palästina. Das klingt gut, aber die Realität sähe anders aus, war Uri Avnery überzeugt. In einem seiner letzten Artikel beschrieb er, warum er die Ein-Staaten-Lösung ablehnte:
"Am Ende wird Israel entscheiden müssen: Frieden schließen mit dem palästinensischen Volk oder alle besetzten Gebiete annektieren, ohne der arabischen Bevölkerung die Staatsbürgerschaft zu gewähren. Also: ein offizieller Apartheidstaat, der im Laufe der Generationen zu einem binationalen Staat mit arabischer Mehrheit – einem Albtraum für fast alle jüdischen Israelis – werden kann."
Auch Amos Oz war überzeugt, dass es für ein friedliches Zusammenleben in einem Staat auf absehbare Zeit keine Mehrheiten gebe – auf beiden Seiten:
"Ich bin sicher, dass es eine Zweistaatenlösung geben wird, aus dem einfachen Grund, dass es keine Alternative gibt. Die Palästinenser werden nicht gehen, wohin auch, die Israelis auch nicht, beide werden bleiben, und sie werden keine glückliche Familie werden. Also müssen sie das Haus in zwei kleinere Wohnungen teilen, das muss so kommen. Die Mehrheit der Israelis weiß es in ihrem tiefsten Herzen und die Mehrheit der Palästinenser auch."
Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten: Junge Männer mit palästinensischen Flaggen.
Immer wieder kommt es an der Grenze zum Gaza-Streifen zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten.© imago/ZUMA Press/Mohammed Turabi
Und doch hat sich in den letzten Jahren in Israel etwas verändert. Das politische Klima hat sich immer weiter nach rechts verschoben, sodass die Bekenntnisse zur Zweistaatenlösung zunehmend wie bloße Worthülsen klingen. Aus den ständig weiter wachsenden Siedlungen in den besetzten Gebieten sind längst Kleinstädte geworden, deren Räumung kaum noch jemand für realistisch hält. Eine wachsende Zahl von Israelis sieht in den Palästinensern nur noch Störenfriede, die man gern loswerden will.
"Natürlich gibt es noch eine andere Vision, die niemand ausspricht: auf die Gelegenheit warten, eine neue Nakba durchzuführen, also alle Palästinenser aus Palästina zu vertreiben."
Das schrieb Uri Avnery wenige Monate vor seinem Tod im Sommer 2018.
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