Uneitler Kochkünstler und Marketing-Genie
Paul Bocuse bekam jahrzehntelang vom Guide Michelin stets die höchste Auszeichnung. Einer seiner Kritiker behauptete, er habe die drei Sterne zuletzt nur noch aus Mitleid bekommen. "Unverschämtheit", meint Kulturjournalist Holger Hettinger. Bocuses Küche sei eine kulturelle Leistung.
Der verstorbene Paul Bocuse war ein Meisterkoch. Er hatte und hat weltweit Verehrer - für sie ist er schlicht der "Papst der französischen Küche". Sein Restaurant in Collonges-au-Mont-d'Or in der Nähe von Lyon ist seit 1965 ununterbrochen mit drei Sternen geadelt worden: Dieser Rekord ist uneinholbar. Bocuse selbst erklärt seinen Erfolg mit der nie abreißenden Anstrengung, Qualität zu halten und seine Küchenmannschaft jeden Morgen aufs Neue zu motivieren.
Berühmt wurde sein Ausspruch: "Jeder kann kochen." Mit diesem Satz haben ihn auch die Macher des Pixar-Films "Ratatouille" verewigt - als Geist des Spitzenkochs "Gusteau" gibt er der Feinschmecker-Ratte Rémy Ratschläge.
Bocuse wird gerne auch ins Feld geführt, wenn man gegen kleine Portionen auf großen Tellern, endlose Menüs und eine unbehaglich-steife Restaurant-Atmosphäre ätzen möchte. Doch egal ob Fan oder Kritiker: Konsens war stets, dass der Maestro am Herd es exzellent verstand, aus dem Speisen einen kulturellen Akt zu machen. Kulturjournalist und Feinschmecker Holger Hettinger, der auch als Restaurantkritiker tätig war, hat einige Male "chez Monsieur Paul" gegessen. Waren seine Restaurantbesuche bei Bocuse immer so steife Angelegenheiten, wie man sie der Drei-Sterne-Gastronomie nachsagt? Was hat den Küchenstil der "Nouvelle Cuisine" von Bocuse so besonders gemacht?
Drei Sterne über viele Jahrzehnte
Der britische Gastronomie-Journalist Andy Hayler, der in allen Drei-Sterne-Restaurants der Welt gegessen hat, behauptete in einem Interview, dass Bocuse die drei Sterne "nur aus Barmherzigkeit" über 50 Jahre hinweg behalten durfte. In all den Jahrzehnten hätten sich bei ihm nur die Preise geändert, ansonsten sei immer das Gleiche auf der Speisekarte gelandet. Ein gerechtfertigtes Urteil?
"Das ist eine Unverschämtheit", findet Holger Hettinger. Es sei absolut üblich in der Drei-Sterne-Gastronomie, dass die Küchenchefs immer ihre "signature dishes" auf der Speisekarte hätten - das seien die Gerichte, für die Feinschmecker aus aller Welt anreisten, um sie zu probieren. "Wenn ich zum Stones-Konzert gehe, möchte ich ja auch, dass die 'Satisfaction' spielen." Insofern sei das Urteil von Andy Hayler höchst ungerecht.
"Vereint im Geist gastronomischen Genießens"
Hettinger selbst gerät ins Schwärmen, wenn er an seine Besuche im Bocuse-Restaurant zurückdenkt: "Ich fand es immer wahnsinnig vergnüglich. (...) Obwohl man da in einem Tempel ist, so würde man sich zu Hause nie einrichten, das ist plüschig und es blinkt das Gold - schafften es Bocuse und seine Equipe ganz wunderbar, einen vergnüglichen Kokon zu bauen. Und man ist dann vereint in diesem Geist des gastronomischen Genießens. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich in einem anderen Restaurant so viel mit den Nachbartischen gesprochen und interagiert habe wie bei Bocuse - das konnte er sehr gut."
Worin Bocuse - außer am Herd - ebenfalls sehr talentiert gewesen sei: Er habe das Amt des Küchenchefs aufgewertet - mit sehr viel Gefühl für PR und Marketing. Der Koch als Marke, der Star am Herd - dass Sterne-Köche heute so wahrgenommen würden, sei Bocuses Verdienst. Darüber hinaus habe der Franzose ein ausgesprochenes "merkantiles Talent" besessen: So habe er neben Restaurants in aller Welt auch Restaurant-Verträge mit dem Disney-Konzern abgeschlossen.
Fokussierung auf die eigentliche Qualität des Produkts
Hettinger sagte weiter: Was die Nouvelle Cuisine anbelange, für die Paul Bocuse stehe, so gebe es nicht d i e Nouvelle Cuisine. Was alle Köche dieser Richtung aber eine, sei "die Fokussierung auf die eigentliche Qualität des Produktes" und nicht alle Gerichte mit bestimmten Gewürzen "zuzuballern". Bocuse habe mit seiner Begeisterung für sein Metier auch "eine kulturelle Identifikationsleistung" erbracht.
Paul Bocuse sei, trotz seines großen Erfolgs, ein uneitler Mensch gewesen. Es sei ihm stets wichtig gewesen, den Nachwuchs am Herd zu fördern und exzellente junge Köche auszubilden. Auch der Österreicher Eckart Witzigmann lernte bei Bocuse und brachte die Nouvelle Cuisine anschließend nach München, wo er das Restaurant "Aubergine" eröffnete.
(mkn)