Warum wir politische Rhetorik häufig verklären
Schmidt konnte es, Strauß konnte es, Wehner konnte es. Mit Worten kämpfen, das ist auch heute noch das Tagesgeschäft von Berufspolitikern. Warum früher im Bundestag dennoch nicht alles besser war, erläutert die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville.
Früher gab es noch die echten, großen Reden im Bundestag: Diese Ansicht hört man häufig. Politiker der 1970er und 80er Jahre wie Helmut Schmidt, Herbert Wehner oder Franz-Josef Strauß würden gern "verklärt", glaubt stattdessen die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville.
Einige Leute wären wohl "verdattert und verdutzt", würde heute im Parlament so angriffslustig gesprochen wie damals, sagte sie im Deutschlandfunk Kultur. "Was ist denn das für ein machohaftes provozierendes Gehabe?!" - das wäre die Reaktion.
Sie erwarte daher auch nicht, dass Deutschland in der politischen Debatte ein "Trump-Stil" mit offener Abwertung des politischen Gegners drohe. Die Deutschen hätten ein "gewisses politisches Sensorium für die Diskrimination durch Sprache" erworben, meinte die Wissenschaftlerin und Autorin ("Der Sound der Macht", C.H. Beck, 192 Seiten, 14,95 Euro). Politische Correctnes sei "eine Errungenschaft des liberal-demokratischen Diskurses". Nur Populisten würden "mit großer provokativer Geste" dahinter zurückfallen.
Allerdings unterscheide sich politische Rhetorik grundsätzlich von Allerweltsrhetorik, sagte Séville - nämlich dadurch, dass es im "oppositionellen Kräftefeld" darum gehe, den anderen in Misskredit zu bringen und gleichzeitig dabei zu überzeugen.
Im Gespräch mit unserem Sender analysierte Astrid Séville die Rhetorik von Kanzlerin Angela Merkel und Juso-Kevin Kühnert:
"Bei Merkel stehen wir vor dem Phänomen, dass sie ihre Entscheidungen nicht gut erklären kann", so die Politikwissenschaftlerin. "Also, was sind eigentlich die politischen, die normativen, die ideologischen Beweggründe?" Und das sei ein Problem für den politischen Wettbewerb, wenn nicht mehr klar sei, warum jemand wie entscheide. Allerdings sei Merkel mit ihrer "Rhetorik der Verunklarung, der Verschwurbelung" sehr erfolgreich.
Um die politische Rede des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert einzuordnen, bemühte Séville die Rhetorik-Lehre des altgriechischen Philosophen Aristoteles: "Eigentlich sind die Anforderungen an eine gute Rede immer gleich: Ethos, Pathos, Logos", sagte sie, "also Glaubwürdigkeit – das vernünftige Argument – und trotzdem die leidenschaftliche Ansprache".
Ein junger Politiker wie Kühnert oder auch Jens Spahn von der CDU habe damit zu kämpfen, dass er aus seiner Biografie noch keinen "Glaubwürdigkeitsbonus" gewonnen habe. Kühnert könne "noch so gut sprechen", solange ihm vom Publikum der Ethos abgesprochen werde, verpuffe die beste Rede.
(huc)