Erinnerungen an Ernst Jandl
Ernst Jandl hätte am 1. August seinen 80. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass gibt seine langjährige Seelen-, Arbeits- und Alltagsgefährtin Friederike Mayröcker nun einen sehr persönlichen Band mit Erinnerungen an Jandl heraus: "Und ich schüttelte einen Liebling". Ein Besuch in Mayröckers Wiener Wohnung lässt erahnen, wie eng die Bindung zwischen den beiden Dichtern war.
"Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen." Diese Einsicht Faulkners trifft auch auf Friederike Mayröckers Verhältnis zu Ernst Jandl zu. Auch fünf Jahre nach seinem Tod ist der Dichter noch allgegenwärtig in Mayröckers Leben.
Friederike Mayröcker: "Ich spreche in Gedanken mit ihm. Manchmal hab ich das gleiche Gefühl wie nach dem Tod meiner Mutter: Dass sie trotzdem noch da ist, dass sie mich beschützt. Bei Ernst Jandl habe ich das gleiche Gefühl."
Mayröckers Wohnung in der Zentagasse in Wien-Margareten hat es längst zu einschlägiger Berühmtheit gebracht. Das Tableau ist oft beschrieben worden.
Zunächst kämpft sich der Besucher durch das typische Stiegenhaus einer Wiener Mietskaserne, Gulaschdüfte hängen in der Luft. Im vierten Stock dann die Klause der Dichterin. Hier haust Friederike Mayröcker in einem penibel choreographierten Chaos aus zehntausenden Zetteln, Büchern, Manuskripten.
An den Wänden, auf den vollgeräumten Ablageflächen: Fotos von Ernst Jandl, Bücher von Ernst Jandl, Briefe von Ernst Jandl. In den frühen 50er Jahren hat ihn Mayröcker kennen, auch lieben gelernt. War Jandl für sie so etwas wie ein Lebensmensch?
Friederike Mayröcker: "Das ist so ein Wort von Thomas Bernhard, der Lebensmensch. Er war ein ganz wichtiger Mensch für mich. Wir waren einander immer die ersten Kritiker. Wenn er tagsüber Gedichte geschrieben hat, hat er sie mir immer gleich am Abend gezeigt. Und ich hab die Texte immer mit großer Freude und großem Interesse gelesen. Meistens waren die Sachen so wunderbar, dass ich überhaupt keine Kritik anbringen konnte. Außer, dass man sagt: Mein Gott, ist das schön."
Ernst Jandl: Eine Veränderung.
"Und wieder: eine Veränderung.
Und wieder: eine Veränderung.
Und wieder: eine Veränderung.
Und schon wieder: eine Veränderung.
Und schon wieder: eine Veränderung.
Und schon wieder: eine Veränderung.
Und noch eine.
Und noch eine.
Und noch eine.
Und noch viele
Und noch viele viele viele viele
Geburtstage im Kreise der Familie."
Ihre Erinnerungen an Ernst Jandl hat Friederike Mayröcker in einem Buch festgehalten, das Mitte August bei Suhrkamp erscheint: "Und ich schüttelte einen Liebling" ein origineller, fast kesser Titel für einen Text in typischer Mayröcker-Manier: In freier poetischer Assoziation werden Träume, Gespräche, Erinnerungsfragmente herbeiphantasiert, in deren Mittelpunkt stets "EJ" steht: Ernst Jandl.
Friederike Mayröcker: "Am liebsten habe ich die Gedichte, die er mir gewidmet hat. Und dann mag ich die wehmütigen, melancholischen, die ernsten Gedichte ganz besonders. Eines meiner Lieblingsgedichte ist das:
"In der Küche ist es kalt,
ist jetzt strenger Winter halt.
Mütterchen steht nicht am Herd,
und mich fröstelt wie ein Pferd."
Das ist ein wunderbares Gedicht. Das hat er auch auf Lesungen oft vorgetragen, weil es mir so gut gefallen hat, und ich war ja oft dabei bei seinen Lesungen."
Ein halbes Jahrhundert lang haben Mayröcker und Jandl in getrennten Wohnungen gelebt: Mayröcker hier im fünften Bezirk, Jandl ein paar Gehminuten entfernt im vierten.
Friederike Mayröcker: "Das war eigentlich immer schon so, dass wir beide in unseren Wohnungen gearbeitet haben, tagsüber, und am Abend bin ich dann zu ihm hinübergegangen. Dann haben wir miteinander Nachtmahl gegessen und darüber gesprochen, was am Tag alles passiert ist. Das war eigentlich ideal."
Ernst Jandl wird immer wieder als humoristischer Dichter verkannt, auch verharmlost. Wer genauer hinliest, hinhört, wird einen schwermütigen Zug in seinen Gedichten finden. Der Wiener Psychiater Leo Navratil, bekannt geworden durch seine Arbeit mit den Art-Brut-Künstlern von Gugging, hat in Jandls Texten eine manisch-depressive Tendenz geortet. Friederike Mayröcker bestätigt diesen Befund.
Friederike Mayröcker: "Er hat eine große Depression gehabt in den siebziger Jahren. Das ist dann wieder besser geworden. Und auch in seinen letzten Lebensjahren war die Depression wieder vorherrschend. Natürlich, wenn er gelesen hat, war das anders, da war er voller Energie und Begeisterung. Ich hab ihm sehr, sehr gerne zugehört. Er hat auch manchmal Sachen nur für mich vorgelesen. Das hat mir sehr gefallen."
Ernst Jandl liest ein Gedicht:
"Wir wollen wissen, wo wir herkommen.
Wer ist unserer Urahn,
unser Altvorderer,
dieses Arschloch.
Damit wir uns ihm ehrfürchtig nahen.
Damit wir uns ihm ehrfürchtig nahen."
Friederike Mayröcker: "Wir haben uns beide so geachtet und geliebt, dass jeder von uns seine eigenen Sachen machen konnte, und der andere hat sich gefreut, wenn er eine gute Arbeit hinter sich gebracht hat."
Über Friederike Mayröckers neues Buch hätte sich Ernst Jandl gewiss gefreut. Die Fritzi, wie ihre Freunde sie nennen, hat eine gute Arbeit hinter sich gebracht.
Friederike Mayröcker: "Ich spreche in Gedanken mit ihm. Manchmal hab ich das gleiche Gefühl wie nach dem Tod meiner Mutter: Dass sie trotzdem noch da ist, dass sie mich beschützt. Bei Ernst Jandl habe ich das gleiche Gefühl."
Mayröckers Wohnung in der Zentagasse in Wien-Margareten hat es längst zu einschlägiger Berühmtheit gebracht. Das Tableau ist oft beschrieben worden.
Zunächst kämpft sich der Besucher durch das typische Stiegenhaus einer Wiener Mietskaserne, Gulaschdüfte hängen in der Luft. Im vierten Stock dann die Klause der Dichterin. Hier haust Friederike Mayröcker in einem penibel choreographierten Chaos aus zehntausenden Zetteln, Büchern, Manuskripten.
An den Wänden, auf den vollgeräumten Ablageflächen: Fotos von Ernst Jandl, Bücher von Ernst Jandl, Briefe von Ernst Jandl. In den frühen 50er Jahren hat ihn Mayröcker kennen, auch lieben gelernt. War Jandl für sie so etwas wie ein Lebensmensch?
Friederike Mayröcker: "Das ist so ein Wort von Thomas Bernhard, der Lebensmensch. Er war ein ganz wichtiger Mensch für mich. Wir waren einander immer die ersten Kritiker. Wenn er tagsüber Gedichte geschrieben hat, hat er sie mir immer gleich am Abend gezeigt. Und ich hab die Texte immer mit großer Freude und großem Interesse gelesen. Meistens waren die Sachen so wunderbar, dass ich überhaupt keine Kritik anbringen konnte. Außer, dass man sagt: Mein Gott, ist das schön."
Ernst Jandl: Eine Veränderung.
"Und wieder: eine Veränderung.
Und wieder: eine Veränderung.
Und wieder: eine Veränderung.
Und schon wieder: eine Veränderung.
Und schon wieder: eine Veränderung.
Und schon wieder: eine Veränderung.
Und noch eine.
Und noch eine.
Und noch eine.
Und noch viele
Und noch viele viele viele viele
Geburtstage im Kreise der Familie."
Ihre Erinnerungen an Ernst Jandl hat Friederike Mayröcker in einem Buch festgehalten, das Mitte August bei Suhrkamp erscheint: "Und ich schüttelte einen Liebling" ein origineller, fast kesser Titel für einen Text in typischer Mayröcker-Manier: In freier poetischer Assoziation werden Träume, Gespräche, Erinnerungsfragmente herbeiphantasiert, in deren Mittelpunkt stets "EJ" steht: Ernst Jandl.
Friederike Mayröcker: "Am liebsten habe ich die Gedichte, die er mir gewidmet hat. Und dann mag ich die wehmütigen, melancholischen, die ernsten Gedichte ganz besonders. Eines meiner Lieblingsgedichte ist das:
"In der Küche ist es kalt,
ist jetzt strenger Winter halt.
Mütterchen steht nicht am Herd,
und mich fröstelt wie ein Pferd."
Das ist ein wunderbares Gedicht. Das hat er auch auf Lesungen oft vorgetragen, weil es mir so gut gefallen hat, und ich war ja oft dabei bei seinen Lesungen."
Ein halbes Jahrhundert lang haben Mayröcker und Jandl in getrennten Wohnungen gelebt: Mayröcker hier im fünften Bezirk, Jandl ein paar Gehminuten entfernt im vierten.
Friederike Mayröcker: "Das war eigentlich immer schon so, dass wir beide in unseren Wohnungen gearbeitet haben, tagsüber, und am Abend bin ich dann zu ihm hinübergegangen. Dann haben wir miteinander Nachtmahl gegessen und darüber gesprochen, was am Tag alles passiert ist. Das war eigentlich ideal."
Ernst Jandl wird immer wieder als humoristischer Dichter verkannt, auch verharmlost. Wer genauer hinliest, hinhört, wird einen schwermütigen Zug in seinen Gedichten finden. Der Wiener Psychiater Leo Navratil, bekannt geworden durch seine Arbeit mit den Art-Brut-Künstlern von Gugging, hat in Jandls Texten eine manisch-depressive Tendenz geortet. Friederike Mayröcker bestätigt diesen Befund.
Friederike Mayröcker: "Er hat eine große Depression gehabt in den siebziger Jahren. Das ist dann wieder besser geworden. Und auch in seinen letzten Lebensjahren war die Depression wieder vorherrschend. Natürlich, wenn er gelesen hat, war das anders, da war er voller Energie und Begeisterung. Ich hab ihm sehr, sehr gerne zugehört. Er hat auch manchmal Sachen nur für mich vorgelesen. Das hat mir sehr gefallen."
Ernst Jandl liest ein Gedicht:
"Wir wollen wissen, wo wir herkommen.
Wer ist unserer Urahn,
unser Altvorderer,
dieses Arschloch.
Damit wir uns ihm ehrfürchtig nahen.
Damit wir uns ihm ehrfürchtig nahen."
Friederike Mayröcker: "Wir haben uns beide so geachtet und geliebt, dass jeder von uns seine eigenen Sachen machen konnte, und der andere hat sich gefreut, wenn er eine gute Arbeit hinter sich gebracht hat."
Über Friederike Mayröckers neues Buch hätte sich Ernst Jandl gewiss gefreut. Die Fritzi, wie ihre Freunde sie nennen, hat eine gute Arbeit hinter sich gebracht.

Friederike Mayröcker, österreichische Autorin© AP Archiv