Immer mit wacher Neugier unterwegs
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Über Jahre war er das vertrauensvolle Gesicht, das uns über die Ereignisse in der Welt informierte. Nun ist die Reporterlegende Gerd Ruge gestorben. Sein Kollege Johannes Grotzky zeichnet das Bild eines offenen Menschen, der bescheiden lebte.
"Er hatte etwas Stoisches, eine innere Gelassenheit, manchmal so ein bisschen auch wie ein Buddhist, der die Welt auf sich zukommen lässt und für alles offen ist", sagt Johannes Grotzky. Der ehemalige Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks war in den 1980er-Jahren ARD-Korrespondent in der Sowjetunion und wohnte Tür an Tür mit seinem Kollegen Gerd Ruge.
In den 1950er-Jahren war Gerd Ruge der erste westdeutsche Korrespondent mit Mikrofon in der UdSSR. Aus dem Radiomann wurde über die Jahre ein Fernsehkorrespondent, der für die ARD auch aus Washington berichtete – und den "Weltspiegel" ins Leben rief, den es noch immer gibt. Am Freitag ist die Reporterlegende im Alter von 93 Jahren gestorben.
In den 1950er-Jahren war Gerd Ruge der erste westdeutsche Korrespondent mit Mikrofon in der UdSSR. Aus dem Radiomann wurde über die Jahre ein Fernsehkorrespondent, der für die ARD auch aus Washington berichtete – und den "Weltspiegel" ins Leben rief, den es noch immer gibt. Am Freitag ist die Reporterlegende im Alter von 93 Jahren gestorben.
"Mach dir keine Sorgen!"
"Was mich dann immer am meisten fasziniert hat", sagt Grotzky über seinen Kollegen, "ist, dass er auch Phasen hatte, wo er sagte: 'Also Hannes, du weißt, im Moment bin ich nicht mehr so ganz in der Lage. Ich habe jetzt anderes vor, und den ganzen Tag gearbeitet. Jetzt übernimm du das bitte für mich.' Ich war ja Radiokorrespondent, aber er hat mich dann sehr oft in die Fernsehstation nach Ostankino geschickt, um für ihn abends die Gespräche in den Tagesthemen zu übernehmen. Und er hat mir dann gesagt, weil ich natürlich erst mal Angst davor hatte: 'Mach dir keine Sorgen. Das ist genau wie im Radio sprechen. Du guckst dabei nur in die Kamera.' Das fand ich ganz rührend. Er hat nie die Sachen so überdimensional gesehen und auch nie irgendwie eine große Aufregung über die Bedeutung seiner Arbeit gemacht. Das war für ihn sein Leben."
Ein Leben mit vielen Abenteuern. Grotzky berichtet von einem Ereignis zu Ostern in Moskau: Im kommunistischen Regime waren religiöse Feiertage quasi verboten, in die Kirchen durften nur alte Frauen mit ihren Enkelkindern. Zudem waren die Gotteshäuser von Milizgruppen umstellt. Schließlich durften Grotzky und Ruge als einzige erwachsene Männer am Gottesdienst teilnehmen, der fünfeinhalb Stunden dauern sollte:
"Die Leute kamen in so eine Stimmung der Meditation hinein, und vor uns sah ich so halb im Schlaf, wie eine Frau die Kerze immer weiter senkte und einen kleinen Jungen vor sich anzündete. Der Gerd nahm mich, warf sich hinterher auf den Jungen drauf, und so haben wir diesen Jungen in der Kirche gelöscht. Das hat aber die Menschen gar nicht besonders bewegt. Alle haben meditativ weiter Ostern gefeiert."
Bescheiden und pragmatisch
1956 bot sich für Ruge das erste Mal die Gelegenheit, in Russland zu arbeiten. In Moskau lebte er unter "bescheidensten Verhältnissen", wie Grotzky berichtet, "auch wenn es anspruchsvoll klingt, nämlich im Hotel National mit Blick auf den Kreml. Da hatte er zwei Zimmer und lebte dort mit seiner Frau. Das war sehr bedrückend zum Teil, für beide extrem anstrengend."
In diesem Hotelzimmer brachte Ruge seine Berichte zu Papier, die er dann ein paar Hundert Meter weiter zu einem Postamt bringen musste, "wo ein Schalter war mit einem Zensor, der fließend Deutsch sprach", so Grotzky. "Der hat die Texte durchgelesen, gestrichen, was ihm nicht gefiel, und den Rest nach Deutschland gekabelt. Und dann wurde der Text im WDR verlesen und anderen Sendern zur Verfügung gestellt".