Erinnerungen einer aufrechten Reporterin

10.07.2012
Ein Mosaik an Briefen, Textfragmenten, Erzählungen und schlichten Zetteln hat Hanna Kroll zusammengetragen. Sie ist eine der wichtigsten Schriftstellerinnen und Journalistinnen Polens, geht ihrem Lebensthema, jüdischem Leben und Überleben in Polen, immer wieder neu nach.
Irgendwann in den siebziger Jahren erzählt Zygmunt, Veteran des polnischen Untergrundkampfes gegen die Deutschen im Zweiten Weltkrieg, der Autorin Hanna Krall seine Geschichte. Damals lieferte Zygmunt im Auftrag eines Warschauer Schokoladenfabrikanten Süßwaren an die Gestapo-Zentrale. Mitunter unterbrachen die Gestapo-Leute ihre Folterverhöre und umarmten den Lieferanten. Einmal richteten sie aber die Pistole auf ihn und brüllten "Durchsuchung". Doch glücklicherweise ging es um einen Scherz. Der Untergrundagent blieb unentdeckt.

Solche Geschichten wie die von Zygmunt haben Hanna Krall als Meisterin der Reportage berühmt gemacht. In ihrem jüngsten Band "Rosa Straußenfedern" bilden die knapp und lakonisch geschriebenen Reportagen indes nur ein Element. Darüber hinaus dokumentieren Tagebuchnotizen, Briefe, Zettelnachrichten und Erinnerungsprotokolle aller Art das Leben der Schriftstellerin zwischen 1960 und 2009. In der Textkomposition findet sich sogar eine anonyme Schmähschrift, der Hanna Krall den Titel verleiht: "Darüber, dass es reicht." 1968, auf dem Höhepunkt einer antisemitischen Kampagne der kommunistischen Partei, fordert eine Bürgerin die Journalistin Krall auf, das Land, dem die Juden so viel zu verdanken hätten und dem sie nicht mit Loyalität begegnen würden, auf der Stelle zu verlassen. Sie solle nach Israel verschwinden.

Hanna Krall kam in einer jüdischen Familie 1935 in Warschau zur Welt und überlebte den Holocaust in einem polnischen Versteck. 1955 begann sie als Journalistin zu arbeiten, zunächst für die Warschauer Tageszeitung "Życie Warszawy", später für das Wochenblatt "Polityka", unter anderem als Korrespondentin in der Sowjetunion. Als Journalistin im kommunistischen Polen musste sie sich mit der Pressezensur abfinden und lavieren. Das war möglich, solange ihr Blatt - "Polityka" - von Mieczysław Rakowski geleitet wurde, einem liberalen Kommunisten, dem der Chauvinismus vieler Parteifreunde zuwider war.

Der Band bietet das Gedächtnisprotokoll einer Unterredung mit dem Chefredakteur. Rakowski ermuntert seine Autorin, sich den sozialen Ungerechtigkeiten in Polen zu widmen, aber nur unter besonderer Vorsicht. Während das Buch so die Unmöglichkeit einer freien Meinungsäußerung im Polen der Nachkriegszeit spiegelt, dokumentiert es zugleich, wie die Autorin in den siebziger Jahren das zunächst allseits wenig beliebte Genre für sich entdeckt, das sie dann international berühmt machen wird - Reportagen über den Holocaust und viele unglaubliche Begebenheiten des 20. Jahrhunderts.

"Rosa Straußenfedern" vereint sehr Persönliches mit Geschichten von historischer Tragweite: Neben Zygmunts Erlebnissen in der Gestapo-Zentrale liest man über das tragische Schicksal einer angeblichen Lenin-Attentäterin oder darüber, wie Ignaz Bubis, Unternehmer, Politiker und Vorsitzender des Zentralrats der deutschen Juden, den Holocaust überlebte. "Rosa Straußenfedern" ist eine eigenwillige, spannende Chronik aus dem Leben einer Schriftstellerin, die auch in diesem Buch untrügliches Gespür dafür bewiesen hat, was sich aufzuheben lohnt.

Besprochen von Martin Sander

Hanna Krall: "Rosa Straußenfedern"
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann
Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 2012
208 Seiten, 19,50 Euro
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