Erinnerungen eines Schiedsrichters

Rezensiert von Thomas Jaedicke |
Pierluigi Collina war der Star unter den FIFA-Schiedsrichtern. Bis zu seinem Karriereende im vergangenen Jahr galt der Mann mit der Glatze als der beste Referee der Welt. In dem Buch "Meine Regeln des Spiels" erzählt der Italiener aus seiner Sicht von so wichtigen Spielen wie dem WM-Finale 2002.
Pierluigi Collina ist eitel. Eitel und ehrgeizig. Beinahe nichts hat er in seiner Schiedsrichterkarriere dem Zufall überlassen. Körperlich und mental immer topfit. Die Fahrten zu den Spielen, in seiner Anfangszeit oft zu Amateurklubs in der Provinz, sind bis ins letzte Detail geplant. Es verstört den Vater zweier Töchter, die sich nicht für Fußball interessieren, wenn seine Spielkleidung, die er vor einem Match in der Kabine ausbreitet, in der Tasche nicht wie sonst gepackt ist.

Man kann sich leicht vorstellen, was in dem vielleicht besten Referee der Welt vorgegangen sein muss, als er vor dem Champions League Finale 1999 zwischen Manchester United und dem FC Bayern das Nou Camp Stadion in Barcelona betrat und in der Umkleidekabine seine Tasche öffnete: Die Fahnen für die Schiedsrichterassistenten waren nicht drin! Collina hatte sie im Hotel vergessen.

Collinas Buch ist eine Sammlung von Anekdoten. Nicht brillant geschrieben, aber doch oft witzig erzählt. Interessant ist es, zu erfahren, aus welcher Perspektive Schiedsrichter ein Fußballspiel erleben. Eindrucksvoll beschreibt der Italiener, wie einsam er sich beispielsweise fühlte, als er vor dem WM-Finale 2002 zwischen Brasilien und Deutschland das Spielfeld betrat.

Nachvollziehbar wird, wie anstrengend es sein muss, vor zigtausenden Menschen im Stadion und den unsichtbaren, aber doch fühlbaren Milliarden Fernsehzuschauern beim wichtigsten Spiel der Welt in Sekundenbruchteilen wichtige Entscheidungen treffen zu müssen. Collina erzählt, wie er sich kurz vor dem Abpfiff - er wusste, das Spiel gut geleitet zu haben -, auf den ballführenden Brasilianer zu bewegte, um sich das Spielgerät zu sichern und mit nach Hause nehmen zu können. Nach Spielschluss hätten zudem Ronaldo und Dietmar Hamann ihm ihre Trikots geschenkt. Was ist das für ein Mann, dem Spieler nach der vielleicht wichtigsten Partie ihres Lebens einfach ihre Trikots überlassen?

Collina lässt keine Fragen offen. Seine Glatze trägt er beispielsweise seit seinem 24. Lebensjahr, als ihm plötzlich die Haare ausgingen. Allerdings hatte er sich zuvor schon einmal den Schädel rasiert. Aus Solidarität. Seinem besten Freund, an Krebs erkrankt und wegen einer Chemotherapie ebenfalls kahlköpfig, wollte er helfen. Es nutzte nichts; der Freund starb. Dieser Freund war es auch, der ihn zum Schiedsrichtern brachte.

Mit 16 spielte Collina in seiner Heimatstadt Bologna Libero bei Pallavicini, als sein Freund ihn überredete, den Schirilehrgang zu machen. Es wurde eine Karriere daraus, die ihn oft daran hinderte, seinen Beruf als Finanzberater auszuüben. Für Collina hat der Schiedsrichter eine dienende Rolle. Er ist es, der dafür sorgen muss, dass die Stars auf dem Feld ihre Kunst den Regeln entsprechend entfalten können und so den Zuschauern eine perfekte Show bieten können.

All das beschreibt Pierluigi Collina sehr anschaulich. Aber trotzdem hat das Buch zwei große Schwächen. Erstens ist es bereits 2002 geschrieben worden, als Collina noch pfiff. Inzwischen hat der 46-Jährige aber die Altersgrenze erreicht und ist nicht mehr aktiv. Zweitens strotzt es nur so vor Dopplungen. Ständig ertappt man sich dabei, dieses und jenes vor 20 Seiten schon mal gelesen zu haben. Liegt das vielleicht daran, dass es die dtv-Lektoren 2006, im Jahr der Weltmeisterschaft, nicht so genau genommen haben und mit dieser Veröffentlichung noch auf der mächtigen Fußballwelle mitschwimmen wollten?


Pierluigi Collina, Meine Regeln des Spiels. Was mich Fußball über das Leben lehrte
Übersetzt von Bruno Genzler
Deutscher Taschenbuchverlag, München 2006
223 Seiten, Softcover, 9,00 Euro.