Gesine Palmer, geboren 1960 in Schleswig-Holstein, ist Religionsphilosophin. Sie studierte evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Ihre wiederkehrenden Themen sind Religion, Psychologie und Ethik – im Kleinen der menschlichen Beziehungen wie im Großen der Politik.
Ein Denkmal für Walter Lübcke!
04:34 Minuten
Die Frage, welche Denkmäler wir nicht mehr wollen, wird viel diskutiert. Die Philosophin Gesine Palmer findet eine Frage fast noch wichtiger: Wen wollen wir eigentlich noch ehren? Einer, der es wert wäre, ist der ermordete Politiker Walter Lübcke.
Symbole können praktische Kommunikationsmittel sein: Schnell, kompakt und klar vermitteln sie eine Botschaft von allgemeiner Relevanz. Der Nachteil: Durch die Prägnanz sind sie immer überdeterminiert und unterkomplex. Ein Straßenname oder das Denkmal einer berühmten Person sagt: "Diesen Menschen wollen wir hier ehren."
Dabei ist ein Denkmal kein wissenschaftlicher Vortrag, der eine mögliche Sicht auf die allgemeinen und besonderen Aspekte eines Problems, einer Strategie, einer Führungspersönlichkeit in Ruhe darlegt. Ein Personen-Standbild kann Argumente der Gegner kaum anhören und explizit berücksichtigen. Es steht da, meist versehen mit irgendeiner Plakette, die Ross, Reiter und Künstler nennt und sagt den Vorübergehenden bestenfalls: "Denk mal!" Also: "Denk mal darüber nach, wer hier steht und warum."
Dabei ist ein Denkmal kein wissenschaftlicher Vortrag, der eine mögliche Sicht auf die allgemeinen und besonderen Aspekte eines Problems, einer Strategie, einer Führungspersönlichkeit in Ruhe darlegt. Ein Personen-Standbild kann Argumente der Gegner kaum anhören und explizit berücksichtigen. Es steht da, meist versehen mit irgendeiner Plakette, die Ross, Reiter und Künstler nennt und sagt den Vorübergehenden bestenfalls: "Denk mal!" Also: "Denk mal darüber nach, wer hier steht und warum."
Schon in der Antike wurden Standbilder zerstört
Manche Leute denken dann: "Dieses Denkmal stünde hier besser nicht", und reißen es nieder. Das geschieht so seit Menschengedenken. Wir kennen starke Beispiele aus der Antike. So schickten die Nachfolger der ägyptischen Pharaonin Hatshepsut – eine Frau als Pharao, unerhört, wenn das Schule machen würde! – sicherheitshalber Büttel mit Hacken los, um ihre Standbilder zu zerstören.
Zuweilen mit dem paradoxen Ergebnis, dass sie mit ihren Hackspuren genau die Umrisse der Verpönten anzeigten, denn über den Auftrag hinaus arbeitete man auch im alten Ägypten nicht gern. Damit hatte sich ihre Haltung – Frauen können keine pharaonischen Ämter ausüben – zwar durchgesetzt, aber die besondere Erinnerung daran, dass es auch anders gehen konnte, ist unter dem Wüstensand mit erhalten geblieben.
Zuweilen mit dem paradoxen Ergebnis, dass sie mit ihren Hackspuren genau die Umrisse der Verpönten anzeigten, denn über den Auftrag hinaus arbeitete man auch im alten Ägypten nicht gern. Damit hatte sich ihre Haltung – Frauen können keine pharaonischen Ämter ausüben – zwar durchgesetzt, aber die besondere Erinnerung daran, dass es auch anders gehen konnte, ist unter dem Wüstensand mit erhalten geblieben.
Statt Denkmäler abzureißen, neue bauen
Einer demokratischen Gesellschaft steht es gut an, dieses Nacheinander des Gedenkens, in dem offiziell immer eine Variante siegreich ist und eine andere nur durch das erhalten wird, was deutsche Philosophen die "List von Vernunft und Geschichte" genannt haben, in ein respektvolles Nebeneinander zu überführen.
Hat das nicht schon ganz gut funktioniert, als im Zuge der Wiedervereinigung ein paar Leninstatuen vom Sockel geholt wurden, andere aber ebenso stehen blieben wie ein paar alte Kader, die sich noch einmal unter anderem Namen in der Politik engagierten? Vielleicht ist es darum sinnvoller, nicht so sehr über den Abriss von Denkmälern zu sprechen, sondern mehr darüber, welche Denkmäler wir noch brauchen könnten?
Hat das nicht schon ganz gut funktioniert, als im Zuge der Wiedervereinigung ein paar Leninstatuen vom Sockel geholt wurden, andere aber ebenso stehen blieben wie ein paar alte Kader, die sich noch einmal unter anderem Namen in der Politik engagierten? Vielleicht ist es darum sinnvoller, nicht so sehr über den Abriss von Denkmälern zu sprechen, sondern mehr darüber, welche Denkmäler wir noch brauchen könnten?
Lübcke stellte sich den Feinden der Demokratie
Wie wäre es zum Beispiel mit einem Denkmal für Walter Lübcke? Der Mann ist bekanntlich ermordet worden, weil er mit deutlichen Worten die in diesem Staat geltenden Werte verteidigt hat. Seine Intervention über die Freiheit, das Land zu verlassen, wenn man dessen Werte nicht teilt, war so einprägsam wie unmissverständlich.
Lübcke hat den Feinden unserer Demokratie furchtlos die Stirn geboten. Rechtsextreme haben dies zum Anlass für unzählige Drohungen und schließlich den schändlichen Mord genommen. Sie fühlten sich gemeint. Denn sie wussten ganz gut: Lübcke wollte nicht wieder Gesinnungsprüfungen einführen und schon gar nicht Leute aus dem Land jagen. Sein gerechter Zorn richtete sich gegen rassistische Kleingeisterei.
Was Lübcke sagen wollte, war: Menschenrechte gelten in diesem Land für jeden im gleichen Umfang – egal ob Geburtsdeutscher oder Einwanderer.
Was Lübcke sagen wollte, war: Menschenrechte gelten in diesem Land für jeden im gleichen Umfang – egal ob Geburtsdeutscher oder Einwanderer.
Auch Kant hatte rassistische Vorurteile
Mit Denkmälern ehren wir selten abstrakte Prinzipien – auch wenn es dazu eine lange Tradition gibt. Öfter ehren wir mit ihnen Menschen, die sich um diese Prinzipien verdient gemacht haben. Von einem Denkmal für den kategorischen Imperativ ist mir nichts bekannt. Aber es gibt in Deutschland viele Denkmäler für Immanuel Kant. Die werden hoffentlich stehen bleiben – obwohl auch Kant Sätze geschrieben hat, die der zeitgenössischen Kritik an rassistischen Vorurteilen mit Recht aufstoßen müssen.
Dennoch bleiben seine Verdienste um die philosophische Grundlegung von Wissenschaft und Menschenrecht unbestritten. Lassen wir ihn stehen – und stellen wir für zukünftige Generationen Denkmäler von Menschen, die in unserer Zeit für die uns wichtigen Dinge einstehen, in Sichtweite: vielleicht eines für den schwarzen Philosophen Amo oder für die Komponistin Fanny Mendelssohn: und eines für Walter Lübcke.