Erinnerungskultur und Denkmalschutz
Der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck thront über Hamburg. Vielen ist er ein Dorn im Auge. Wegen des Denkmalschutzes darf die Statue nicht verändert werden. Nun soll aber das Umfeld neugestaltet werden. © picture alliance / imageBROKER / Thomas Lammeyer
Der erbitterte Kampf um Mahnmale und Denkmäler
Denkmäler haben nicht nur oft eine lange Geschichte, sie schreiben auch Geschichte. Der Kampf um ihren Platz in der Öffentlichkeit wird seit eh und je erbittert geführt. Warum das so ist – im Überblick.
Bedeutende Denkmäler stehen oft an großen Plätzen. Nicht selten bestimmen sie das Stadtbild – und doch nehmen die meisten Passanten selten Notiz von ihnen. Sie wissen oft nicht einmal, an wen oder was da so aufwendig erinnert wird.
Anders sieht es aus, wenn öffentlich darüber diskutiert wird, bestimmte Denkmäler abzureißen oder umzugestalten. Auf einmal melden sich Menschen zu Wort, die für den Erhalt des Denkmals sind und die sich bisher nicht groß dafür interessiert haben. Das überrascht jedes Mal. Warum ist das so?
Überblick
Welche Funktionen haben Denkmäler?
Denkmäler haben und hatten verschiedene Funktionen, die sich über die Jahrhunderte und Kulturen hinweg verändert haben. Eine der ältesten ist die religiöse. Vor allem im alten Ägypten wurden Denkmäler als Verbindungsorte ins Jenseits betrachtet. Wer das Geld hatte, kümmerte sich schon zu Lebzeiten darum, sein Grab so zu gestalten, dass er es im Totenreich, sprich: in seinem zweiten Leben, gemütlich hatte, sagt die Ägyptologin und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann.
In Europa waren im Mittelalter die Kathedralen die wichtigsten Denkmäler, die in die Höhe ragten und Himmel und Erde miteinander verbinden sollten: die Achse nach oben. Gleichzeitig demonstrierten sie genauso wie die Pyramiden in Ägypten Macht und Ansehen.
Selbstinszenierung als Nation
Heute stehen Denkmäler ganz im Zeichen der Identitätsstiftung von Nationen. Mit der Französischen Revolution und dem Aufkommen des Nationalstaats Ende des 18. Jahrhunderts verlagert sich der Sinn seit dem 19. Jahrhundert komplett auf diesen politischen Aspekt.
Ihre Aufgabe lautet nun, die Selbstinszenierung als Nation, als Kollektiv zu visualisieren und ins Gedächtnis einzubrennen. Überall stehen Monumente, die an Nationengründungen erinnern: an Vereinigungs- oder Abwehrkämpfe. Es sind Orte des Triumphs, des Sieges, aber auch der Einstimmung auf Kriege und auf Feindbilder.
Ein Beispiel: Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 entstand der erste moderne deutsche Nationalstaat mit Kaiser Wilhelm I. an der Spitze. Dieser hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Selbstbild der Nation möglichst konkret zu profilieren, wie Assmann erklärt:
„Damals ging es darum, den Sieg über Frankreich 1871 in die Dauer der Zukunft fortzuschreiben und eine deutsche Nation auf diesem Feindbild gegen Frankreich aufzubauen – und so sehen die Denkmäler aus, überall immer gegen Frankreich gerichtet.“
Historische Linien in die Gegenwart hinein
Die Funktionen der Statuen und Mahnmale mögen sich zwar über die Jahrtausende und über die Kulturen hinweg unterscheiden, doch in ihrem Kern geht es immer darum, festzuhalten, auf welchen Teil der Geschichte sich eine Gruppe von Menschen als erinnerungswürdig einigt.
Es geht um Verewigung im kollektiven Gedächtnis und Rückbesinnung, um historische Linien in die Gegenwart hinein – aber auch um Heldengeschichten, die als Anreiz wirken sollen, besonders mutig zu sein und für die Gemeinschaft einzutreten.
Wieso kochen beim Thema Denkmalsturz die Emotionen hoch?
Geschichte wird von Siegern gemacht, sie setzen sich oft selbst ein Denkmal oder beseitigen jene Erinnerungsstätten, die den Besiegten wichtig waren. Wo es Sieger gibt, gibt es auch Verlierer. Und diese werden in der Regel vom Gedenken ausgeschlossen.
Aber ein bloßer Haufen Steine erklärt noch nicht, warum der Streit um Denkmäler so erbittert geführt wird. „Denkmäler sind immer mit Emotionen verbunden, sie schaffen diese Emotion ja überhaupt erst“, erklärt Aleida Assmann. „Sie sind eine Organisation und Manipulation von Emotionen.“
Zu jedem Denkmal gehört aber immer auch ein nicht-materielles Gedenken: Feste und Gedenktage, an denen dort viele Aktionen stattfinden. So werden Erinnerungen und Emotionen aktiviert.
Warum werden Denkmäler immer wieder neu bewertet?
Denkmäler sind „Widerhaken der Vergangenheit“, sagt Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda. Mit der Zeit verlieren sie aber ihren konkreten historischen Kontext. Dann bleibt nur noch der öffentliche Raum, in dem sie stehen: die Gesellschaft.
Verändert sich nun ein Wertesystem, verändert sich das Denkmal selbst: Entweder wird es obsolet oder es bekommt eine neue Bedeutung. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 oder dem Mauerfall 1989 machte man sich jeweils sofort daran, Erinnerungen an die Zeiten davor zu beseitigen:
Adolf-Hitler-Straßen wurden schnell umbenannt und viele Lenin-Monumente verschwanden aus dem Stadtbild. Seit ein paar Jahren werden gehäuft Denkmäler gestürzt, weil damit etwa Kriegstreiber oder Sklavenhändler geehrt wurden.
Ständige Aushandlungsprozesse
Denkmäler sind also nichts Statisches. Es handelt sich hier um ständige Aushandlungsprozesse. Dabei ist wichtig, festzuhalten, dass Erinnerung eine umkämpfte Ressource ist, wie die Historikerin Cordelia Heß erklärt: Unterschiedliche Gruppen konkurrieren darum, im öffentlichen Raum Aufmerksamkeit für ihr Leiden, für ihre historischen Verletzungen zu bekommen.
Der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Rothberg hingegen schlägt als eine Art Lösung vor: Erinnerung sollte multidimensional sein. Die Erinnerung an unterschiedliches historisches Leid sollte sich gegenseitig sowohl methodisch als auch in Bezug auf die Empathiefähigkeit befruchten und erweitern.
Doch die Historikerin Cordelia Heß sieht das kritisch. Die Realität zeige, dass die Erinnerungskapazität von Gesellschaften begrenzt sei. Das ist einer der Gründe, weswegen der Kampf um das Erinnern weiter hart geführt wird.
Erinnerung ist eine umkämpfte Ressource
Und auch wenn es auf den ersten Blick den Anschein hat, dass die aktuellen Denkmalstürze Ausdruck eines Zeitgeists sind, so sind sie in der Regel nicht ohne eine langjährige Vorarbeit von unten, von direkt Betroffenen, von lokalen Initiativen denkbar, wie Heß erklärt.
Erst wenn die Bronzestatue, die den Politiker und Sklavenhändler Edward Colston zeigt und seit Ende des 19. Jahrhunderts im britischen Bristol an ihn erinnert, im Hafenbecken der Stadt versenkt wird, nimmt eine größere Öffentlichkeit von dieser Notiz. Dass es aber lokale Initiativen waren, die in mühsam langen Kämpfen Bewusstsein für die Schattenseiten des Geehrten geschaffen und damit den Sturz lange vorbereitet haben, bleibt meist unbeachtet.
Wie könnte eine Neugestaltung von Denkmälern aussehen?
Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten mit den „Widerhaken der Geschichte“ umzugehen. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda plädiert dafür, Denkmäler nicht per se abreißen zu lassen, sondern neu zu kontextualisieren.
In seinen Wirkbereich fällt das besonders martialische Bismarck-Denkmal: Über 30 Meter hoch thront es quasi über Hamburg. Geehrt wird Otto von Bismarck, erster Reichskanzler und Vater der Sozialversicherung, aber auch erbitterter Verfolger von Sozialisten und nicht zuletzt Begründer des deutschen Kolonialreichs.
Orte der Auseinandersetzung
In der Hansestadt wird schon seit Jahren über den Umgang mit der Statue im Alten Elbpark diskutiert – dank der hartnäckigen erinnerungspolitischen Kämpfe des lokalen Arbeitskreises "Hamburg postkolonial".
Brosda erklärt, würde man Forderungen nach Abriss nachgeben und die Widerhaken der Vergangenheit nicht mehr sehen, dann hätten wir am Ende bereinigte städtische Oberflächen mit der Folge, dass Punkte für eine Auseinandersetzung darüber, was schiefgelaufen ist, aus dem öffentlichen Raum verschwinden würden. „Und das hielte ich für das Problematische.“
Aleida Assmann erklärt, dass es im Umgang mit Denkmälern auf die Prozesse ankommt, die in Gang gesetzt werden, also auf die ursprünglich beabsichtigten emotionalen Prozesse und auf die Jahrhunderte später einsetzenden Umdenkprozesse.
Umdenkprozesse werden in Gang gesetzt
Als ein gelungenes Beispiel führt sie das Erinnern an Karl Lueger in Wien an. Ein Denkmal für den ehemaligen Bürgermeister und glühenden Antisemiten soll 2024 um 3,5 Grad nach rechts gekippt werden:
„Dieses Schiefstellen soll bewirken, dass die Menschen merken: Hier stehst du nicht mehr auf festem Boden. Es wird hier ein bisschen schwindelig. Du musst neu oder anders über diese Person nachdenken. Also sie ist weiter dort. Der Ort ändert sich nicht, aber es kommt ein Denkzeichen hinzu und setzt einen Prozess in Gang.“
ckr