Erinnerungsort für deutsche Verbrechen in Polen

Opferverbände fordern Mitsprache und Entschädigungen

08:52 Minuten
Rolf Nikel, ehemaliger deutscher Botschafter in Polen, spricht bei einer Veranstaltung zur Vorstellung eines Konzepts zum Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen.
Rolf Nikel, ehemaliger deutscher Botschafter in Polen, stellte sein Konzept zum Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen nun vor. © picture alliance/dpa/Reuters/Pool / Michele Tantussi
Von Martin Sander |
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Um der deutschen Verbrechen in Polen im Zweiten Weltkrieg zu gedenken, beschloss der Bundestag 2020 einen "Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen". Doch bei den Planungen fühlen sich Opferverbände übergangen - und sie fürchten um ihre Entschädigungen.
Eigentlich hatte Roman Kwiatkowski, der Vorsitzende des polnischen Roma-Verbands, bereits auf eigene Kosten Flug und Hotel in Berlin gebucht, um seine Meinung kundzutun, wenn der Arbeitsstab des deutschen Außenministeriums sein Konzept für einen "Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen" vorstellen würde. Doch weil das Auswärtige Amt den Termin Ende August kurzfristig auf den heutigen 15. September verschob, blieb Kwiatkowski zuhause.
Am Ringplatz von Krakau, hinter der Marienkirche, erklärt er mir zwischen zwei Terminen, warum der polnische Roma-Verband besser in die Planung des Berliner Erinnerungsorts für die polnischen Opfer deutscher Besatzung einbezogen werden müsse.
"Wir haben das unseren Opfern des Holocausts versprochen. Es ist unsere heilige Pflicht, ihr Vermächtnis zu wahren. Wir bedauern es, dass Regierungen, Institutionen, Beamte darüber hinweggehen. Das ist ein Fehler", sagt er.
Roman Kwiatkowski (r.), der Vorsitzende des polnischen Roma-Verbands und  Kamil Majchrzak, Vorstandsmitglied des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora, in Anzug vor Mikrofonen
Roman Kwiatkowski (r.), der Vorsitzende des polnischen Roma-Verbands und Kamil Majchrzak, Vorstandsmitglied des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora kritisieren die Pläne des Auswärtigen Amts.© Wojtek Grabowski
"Auch die nachfolgende Generation der Holocaustopfer muss zu Worte kommen. Sonst verlieren wir uns in einer bürokratischen Formelsprache. Ohne die Stimme der nachfolgenden Generation ist Erinnerung unwirklich und unnatürlich. Damit so ein Erinnerungsort lebt, muss die deutsche Seite ihre Partner respektvoll behandeln."

Ein Denkmal und ein Haus für Ausstellungen

Derzeit plant eine Kommission des Auswärtigen Amts unter Leitung des ehemaligen Botschafters in Warschau, Rolf Nikel, den künftigen Gedenkort. Damit will das Auswärtige Amt einen Beschluss des Bundestages vom Oktober 2020 umsetzen. Die Idee für einen Erinnerungsort in Berlin an die deutschen Verbrechen in Polen während des Zweiten Weltkriegs war ursprünglich von einer privaten Initiative unter Beteiligung des Deutschen Poleninstituts formuliert worden.
Der aktuelle Stand der Planungen, wie er heute in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, umfasst sowohl ein Denkmal als auch ein Haus für Ausstellungen und Begegnungen. Der Ort für beides steht noch nicht fest. Detaillierte Konzepte, zumal für die politische Bildung und Begegnung am Ort, sollen erst ausgearbeitet werden. Polnische Opferverbände kritisieren, dass sie nicht genügend in die Planung eingebunden werden.
"Das Auswärtige Amt wies uns lediglich die Rolle von Schleppenträgern der auswärtigen Politik zu. Aber das sind wir nicht. Wir haben einen eigenständigen Beitrag geleistet als Nachkommen. Unsere Vorfahren, die Überlebenden der Shoah, des Holocaust an den Sinti und Roma und der deutschen Besatzungszeit haben auch einen eigenständigen Beitrag geleistet, um die Verbrechen der Deutschen während der Besatzung aufzuarbeiten, damit diese Erinnerung wachgehalten wird."
So argumentiert der in Berlin lebende Jurist Kamil Majchrzak, Enkel eines polnischen Auschwitz-Überlebenden und Vorstandsmitglied des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora.
"Wir wussten weder, wer in den Gremien dabei ist, noch was dort besprochen wird. Wir wissen nichts von dem Konzept, nichts von den Kriterien, nach denen dort gearbeitet wurde. Die Überlebenden und ihre Nachkommen haben ihre Repräsentanz, haben ihre Verbände, die Opferverbände, und die müssen beteiligt werden."
Dem Wunsch der polnischen Opferverbände, in die Planung einbezogen zu werden, hat man bislang mit zwei rund einstündigen Videokonferenzen entsprochen – unter Zuschaltung einiger Überlebender und Nachfahren.

Im Beitrag von Sebastian Engelbrecht erläutert der Vorsitzende der Expertenkommission für die Planung des Erinnerungsortes, Rolf Nikel, die Gründe für das Nichteinbeziehen der Opferverbände [AUDIO] . Die Kommission empfiehlt, die Opferverbände künftig in den noch zu schaffenden Gremien für die weiteren Planungen des Erinnerungsortes zu beteiligen.

Frage nach Entschädigung von elementarer Bedeutung

Marian Kalwary aus Warschau, vom polnischen Verband Jüdischer Kombattanten, Jahrgang 1930, hat einen Protestbrief mehrerer polnischer Opferverbände an das deutsche Außenministerium mitunterzeichnet. Beim Umgang der Deutschen mit den polnischen Opfern ist für ihn, einen Überlebenden des Warschauer Ghettos, allerdings eine andere Frage von elementarer Bedeutung – die Entschädigung.
"Wenn es um die Besatzung und die Ghettos geht, da sollten sich die Deutschen irgendwie zu einem gewissen Anstand durchringen. Egal ob das im Einklang mit dem deutschen Recht steht oder nicht, finde ich eine Ghetto-Rente von 10 Euro monatlich erniedrigend. Ich kenne Menschen, die diese Rente deshalb abgelehnt haben. Da es sich um eine Entschädigung für deutsches Verschulden handeln soll, wäre es in diesem Fall besser nichts zu geben, als ein Almosen wie für einen Bettler."
Kalwary hilft anderen Überlebenden und ihren Nachfahren bei der Beantragung der sogenannten Ghetto-Rente aus Deutschland. Die fällt sehr unterschiedlich aus, je nach damaligem Alter der Opfer und abhängig davon, ob sie ihre Arbeitsleistung auch dokumentieren können, was aus nachvollziehbaren Gründen oft nicht der Fall ist.

Bitterer Nachgeschmack bei Rentenauszahlung

Der Auszahlung der gesetzlich verankerten Rente legten deutsche Bürokraten, mit Unterstützung zuständiger Ministerien und Gerichte, immer wieder Hindernisse in den Weg. Wer damals 14 Jahre alt war, hat heute einen Rentenanspruch. Wer 12 Jahre alt war und die gleiche harte Arbeit verrichten musste, geht praktisch leer aus. Die einem gut gemeinten deutschen Gesetz folgende deutsche Praxis hinterließ bei vielen polnischen Betroffenen einen bitteren Nachgeschmack.
"Die Deutschen halten sich an bürokratische Regeln. Deshalb haben sie auch ein spezielles Recht geschaffen, dass ihnen das Morden und die Einrichtung von Vernichtungslagern erlaubte. Bei den Deutschen muss alles im Einklang mit dem Recht sein. Ordnung muss sein!", sagt Marian Kalwary.
Die Bundesrepublik geizt zwar keineswegs mit ritualisierten Gesten der Entschuldigung für nationalsozialistisches Unrecht. Wenn es sein muss, darf es auch ein Denkmal sein – oder ein Gedenkort. Doch Forderungen nach materiellem Ausgleich entzieht sich der deutsche Staat gern.
Erinnern ist billiger als entschädigen. Diese eigentümliche Taschenspieler-Logik haftet deutscher Vergangenheitspolitik immer wieder an – und sie weckt Misstrauen bei den polnischen Verbänden der Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Könnte am Ende auch der geplante "Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen" dazu dienen, die Entschädigungsforderungen vergessen zu machen?
Kamil Majchrzak vom Internationalen Komitee Buchenwald-Dora argwöhnt: "Insgesamt droht dieses Projekt durch die Weigerung, uns anzuerkennen zu scheitern. Es wird zu einem Symbol der Verschiebung der lebendigen Erinnerung der Überlebenden und Nachkommen zu einem staatlichen repräsentativen Akt. Dagegen verwehren wir uns, genauso wie, dass mit dem Polendenkmal offenbar die Entschädigung und Reparationsfrage ad acta gelegt werden soll."
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