Heimatregime sorgt für Streit in der Diaspora
Die Mehrheit der Eritreer, die nach Deutschland fliehen, sind orthodoxe Christen. Viele finden Anschluss in eritreischen Kirchengemeinden. Doch auch hier gibt es Streit über die Haltung zum dortigen Regime – in Berlin führte er zur Spaltung.
Schon bevor man die Philippus-Kirche am frühen Sonntagmorgen betritt, dringen Gesang und Weihrauchgeruch nach draußen. In dem 50er-Jahre-Bau der evangelischen Gemeinde in einer ruhigen Seitenstraße in Berlin Friedenau feiern eritreische orthodoxe Christen seit dreieinhalb Jahren jeden Sonntag Gottesdienst.
Seit einigen Monaten aber durchlebt die Gemeinde ein regelrechtes Drama. Es geht um Religion, vor allem aber um Politik. Mittendrin: die Gläubigen, wie Aved und Samha, die sich heute trauen lassen.
Aved: "Wir möchten zusammen leben, zur Zeit sind wir nicht zusammen."
Die beiden können nicht standesamtlich heiraten, weil ihnen Papiere fehlen. Wegen der Auflagen für Asylbewerber müssen sie daher zunächst in verschiedenen Bundesländern wohnen bleiben.
Aved:"Aber trotzdem heiraten wir kirchlich-orthodox. Wir hoffen, später zusammen zu leben."
Kirche als Heimat
45 Prozent der Eritreer sind orthodoxe Christen, unter den Flüchtlingen in Deutschland liegt ihr Anteil wesentlich höher. Kirche spielt für Eritreer auch und gerade in der Diaspora eine wichtige Rolle.
Freweyni Habtemariam: "Die Kirche ist aus meiner Beobachtung heraus eine Heimat, ein Halt, ein Schutz und auch eine Begegnungsstätte. Es gibt kaum Orte, an denen sie ungezwungen, regelmäßig sich treffen können, die Geflüchteten. Die Kirche ermöglicht das."
Die Germanistin Freweyni Habtemariam ist als Kind nach Deutschland gekommen. Sie übersetzt und dolmetscht für Tigrinya und Amharisch und kennt das Leben der Eritreer in Deutschland sehr gut. Heute freut sie sich, dass das Hochzeitspaar in traditionelle weiße Umhänge gekleidet ist. Sie hatte beim deutschen Zoll vermittelt, damit diese eingeführt werden konnten.
Die alten Umhänge, und hier kommen wir zum Drama, hat der abgespaltene Teil der Gemeinde mitgenommen. Nun gibt es zwei eritreische Sankt-Georgis-Gemeinden in Berlin. Die in der evangelischen Kirche Verbliebenen beten mit Pfarrer Msgun Tamzgi, die anderen mit Pfarrer Hzkiel Berihu. Zwei Kontrahenten, um die sich einige Nebenakteure scharen.
Die deutsche Kirchengemeinde freut sich über Belebung
Pfarrer Klaß: "Wir hatten ja gar nicht damit gerechnet, dass es so politisch werden könnte."
Paul Klaß ist evangelischer Pfarrer der Gemeinde, die den Eritreern seit 2015 ihre Kirchenräume zur Verfügung stellt.
Klaß: "Das macht uns als Kirchengemeinde ja auch Spaß, wenn man merkt: Hier ist Leben. Wenn man in der Woche schaut, wie viele Christen hier vorbei gehen und einen ganz anderen Umgang mit dem Gebäude haben, hier vor der Kirche beten, die Kirche küssen, sich freuen, wenn die Kirche offen ist. Das ist unglaublich wertvoll. Deshalb soll das weiter gehen. Und ich bin ganz froh, dass es weiter geht."
Weiter geht es mit Pfarrer Msgun. Er war die ersten zwei Jahre Hauptpfarrer der Gemeinde, dann wählte der Trägerverein Hzkiel Berihu zum neuen Kirchenleiter. Doch es kam zu Auseinandersetzungen und schließlich zum Bruch. Pfarrer Msgun blickt zurück:
"Wir waren nicht glücklich über die Trennung und hätten uns gewünscht zusammen zu bleiben. Wenn aber die Meinungen so unterschiedlich sind, kann man das nicht ändern."
Hinter den gegenseitigen Vorwürfen und Verwerfungen steht zunächst ein politischer Konflikt: Die Gemeinde unter Pfarrer Msgun möchte keinerlei Einfluss des eritreischen Regimes zulassen. Weil die Synode ihrer Heimatkirche diesem Regime nahe steht, will sich die Gemeinde vorerst unter den Schutz der koptischen Mutterkirche in Ägypten stellen. Pfarrer Hzkiel und seine Anhänger wiederum bestehen darauf, sich unter dem Dach der eritreisch-orthodoxen Synode zu organisieren.
Hzkiel: "Wir sollten unsere eigenen Probleme selbst lösen und Einfluss innerhalb der Synode ausüben, anstatt uns für eine andere Gemeinde zu entscheiden. Die koptische oder eine andere Kirche an diesem Konflikt zu beteiligen, ist unverantwortlich."
Die Bundeslade aus Eritrea ist umstritten
Dabei hatte es vor dem Streit so gut ausgesehen: 2015 und 2016 herrschte in der Gemeinde regelrechte Aufbruchsstimmung. Die Zahl der Mitglieder wuchs auf über 1000, und ein Höhepunkt war die Weihe der Bundeslade Anfang Januar 2016.
Doch heute ist diese Bundeslade das umstrittene Objekt im Drama der Berliner Gemeinde. Eine Bundeslade ist in der eritreisch-orthodoxen Kirche notwendig, um Menschen zu taufen und Paare zu trauen. Wie die äthiopischen gehen auch die eritreischen orthodoxen Christen davon aus, dass die israelitische Bundeslade mit den Original-Gesetzestafeln vom Berg Sinai nach Äthiopien gebracht wurde und dort bis heute aufbewahrt wird. Eine Kopie der Bundeslade befindet sich in jeder äthiopischen oder eritreischen Kirche.
In der Diaspora haben sich etliche Gemeinden für eine Bundeslade der koptischen Kirche entschieden, weil sie die Führung der eritreischen Synode nicht anerkennen. So hielt es zunächst auch die Berliner Gemeinde. Doch der abgespaltene Teil um Pfarrer Hzkiel betet seit einiger Zeit mit einer Bundeslade aus Eritrea.
Hzkiel: "Wir wollen in der eritreischen Synode bleiben und so die Regeln und Traditionen unserer Kirche beibehalten und für die nächste Generation bewahren. Dass wir die eritreische Kirche um eine Bundeslade gebeten haben, heißt nicht, dass wir für die Regierung sind oder für den Hausarrest von Abuna Antonius. Im Gegenteil, er muss freigelassen werden."
Abuna Antonius ist das über 90-jährige Oberhaupt der eritreisch-orthodoxen Kirche. Er steht seit mehr als zwölf Jahren unter Hausarrest, nachdem er sich gegen die Einmischung der Regierung in kirchliche Angelegenheiten ausgesprochen hatte. Die eritreische Synode handelte Hand in Hand mit der Regierung und enthob den Patriarchen seines Amtes.
Gerezgiher Ghebregergish, der zur Gemeinde von Pfarrer Msgun gehört, sieht den eritreischen Staatspräsidenten Isayas Afewerki hinter der Bühne des Kirchendramas die Fäden ziehen:
"Wenn er sieht, dass sich Menschen in den Kirchengemeinden zusammentun und etwas sinnvolles machen, dann schickt er seine Leute hin, um das zu behindern. In den Gotteshäusern der Muslime macht er es genauso. Und so ist der Berliner Konflikt nur ein Beispiel unter vielen."
Dem stimmt Pfarrer Msgun zu:
"Es gibt keine Gemeinde, die in Frieden ihre Dienste tun kann. Die Menschen in Eritrea stehen unter Kontrolle, da können wir nicht viel bewirken. Aber wenigstens wir in der Diaspora, wir haben angefangen uns zu treffen, zu sprechen, und wir arbeiten daran, auf den richtigen Weg zurückzukehren."
Ein Diakon der syrisch-orthodoxen Kirche will vermitteln
Auftritt des Diakons Georg König. Er gehört der syrisch orthodoxen Kirche von Antiochien an und hat 2013 die Caritas des syrischen Kreuzes in Deutschland gegründet. Für seine seelsorgerische Arbeit fährt er quer durch die Republik und kümmert sich zum Beispiel um Selbstmordfälle von Eritreern. 2017 hat er zwei Leichen in die Hauptstadt Asmara rückgeführt.
Auf dieser Reise sollte er auch den Patriarchen Abuna Antonius besuchen. Aber er durfte den Flughafen nicht einmal verlassen und reiste direkt nach Äthiopien und Ägypten weiter, um über die eritreische Schwesterkirche zu beraten. Seither widmet er sich im Auftrag des koptischen Patriarchen der eritreischen Kirche in der Diaspora.
König: "Absicht des Präsidenten war von vornherein, die Kirche für seine persönlichen Zwecke zu benutzen, auszubeuten regelrecht, und das ist ihm auch gelungen, bis heute. Wir verurteilen das aufs Schärfste. Und alles, was über die Botschaft hier in unseren Gemeinden getrieben wird – das ist unakzeptabel."
Dass über die Botschaften Kontrolle ausgeübt und so genannte Diaspora-Steuern eingetrieben werden, ist bekannt. Kürzlich haben die Niederlande aus diesem Grund einen eritreischen Spitzendiplomaten ausgewiesen. Viele Eritreer fürchten auch im Ausland den langen Arm des Regimes – der bis in die Kirchengemeinden reicht, wie Pfarrer Msgun bestätigt:
"Aktuell ist es leider so, dass viele Leute Angst haben, weil wir offen sprechen und Position bezogen haben. Einige, die noch Angehörige in Eritrea haben, werden unter Druck gesetzt und bleiben auch aus diesem Grund fern. Solche Einschüchterungen gibt es nicht nur in Berlin, die gibt es bundesweit und weltweit, aber wir haben uns entschieden, die Wahrheit auszusprechen und unsere Position klar zu formulieren."
Die Spaltung der Gemeinde geht durch die Familien
Kesete Tesfamicael ist extra aus Naumburg zum Gottesdienst nach Berlin gekommen. Die Spaltung der Gemeinde hat auch seine Familie getrennt.
Tesfamicael: "Ich wollte mein Kind in der Kirche taufen lassen, die ich für die richtige halte. Aber sie haben meine Frau davon überzeugt, dass das hier keine rechtmäßige Kirche und Bundeslade sei, und sie haben so gegen mich gehetzt, dass wir uns trennen mussten. Wir haben sechs Kinder. Jetzt versucht sie alles zu tun, damit ich sie nicht sehe. Ich möchte die Kinder nicht in politische Auseinandersetzungen reinziehen, darum bin ich in einer Zwickmühle."
Auf Pfarrer Hzkiel ist Tesfamicael nicht gut zu sprechen:
"Er hat versucht uns zu überzeugen, dass die Synode, die unseren Patriarchen inhaftiert hat, die rechtmäßige sei. Aber ich kenne aus eigener Erfahrung das Vorgehen des Regimes. Als dessen Gesandter kann mich Pfarrer Hzkiel nicht überzeugen."
Den Vorwurf, mit dem Regime verbunden zu sein, weist der Pfarrer vehement zurück:
"Wir sind gegen die Regierung, wir haben bisher nichts für die eritreische Regierung gemacht und werden das auch in Zukunft nicht tun."
Pfarrer Hzkiel und seine Anhänger wollen die eigene Kirchentradition durch den Verbleib in der eritreischen Synode bewahren. Pfarrer Msgun und seine Gemeinde entgegnen, auch sie folgten der eritreisch orthodoxen Liturgie und hätten sich lediglich institutionell und vorübergehend von der Synode abgewandt.
Nur eine Minderheit fordert die Freilassung des Patriarchen
Pfarrer Hzkiel argumentiert außerdem mit Mehrheiten. Er wurde von einer Mitgliederversammlung gewählt und hat mehr Diakone auf seiner Seite. Das leugnen Pfarrer Msgun und seine Mitstreiter nicht. Der aus Hessen angereiste Priester Adhanom nennt Zahlen:
"In Deutschland gibt es mehr als 200 Diener der Kirche, Priester und Diakone. Von denen stehen aber im Moment nur 60 für die Freilassung des Patriarchen."
Die synodenkritische Fraktion hat sich im Mai in Kassel versammelt, Priester Adhanom gehört zum Vorstand der Gruppierung, die den Schutz der koptischen Kirche sucht.
Vorbild ist Nordeuropa. Dort hat sich 2015 die eritreisch orthodoxe Diözese von Skandinavien und Finnland gegründet und einem koptischen Bischof untergeordnet – bis der Patriarch in Eritrea frei ist. Diesen Prozess will in Deutschland Georg König zusammen mit der Kasseler Versammlung vorantreiben.
König: "Der Heilige Stuhl Markus, der Heilige Stuhl Petrus haben sich bis heute, 2000 Jahre, niemals, niemals, nochmal: niemals, einer irdischen Macht unterstellt, und das werden wir niemals tun. Wir sind keinen Staatskirche. Kirche und Altar sind kein Selbstbedienungsladen."
Als "Militär-Synode" bezeichnet Diakon König die eritreisch orthodoxe Synode. Vom koptischen Patriarchen entsandt, organisiert er von oben eine Art "Kirche von unten". "David gegen Goliath" kommentiert er seine Mühen, mit denen er dem Drama ein Ende setzen möchte.
Die Spaltung spiegelt nicht zuletzt einen Generationenwechsel wider: Bis in die 90er Jahre hinein flüchteten Eritreer wegen des Unabhängigkeitskriegs gegen Äthiopien. Viele von ihnen stehen dem Regime positiv gegenüber, denn es ging aus der Befreiungsbewegung hervor. Die jüngere Generation hingegen, die in den letzten Jahren gekommen ist und inzwischen die Mehrheit stellt, ist vor eben diesem Regime geflüchtet.
"Ich kann es nicht hinnehmen, dass man hier als politischer Flüchtling des Regimes Schutz bekommt und sogar Räumlichkeiten für Gottesdienste, aber gleichzeitig die Nähe des Regimes sucht."
So kommentiert Gerezgiher Ghebregergish die Situation der Berliner Gemeinde.
Für manche bringt die Spaltung neue Redefreiheit
Als Pfarrer Msgun im so genannten Genesungsgottesdienst zu seiner Gemeinde spricht, ist ihm anzumerken, dass er sich befreit fühlt, trotz aller Unruhe. Freweyni Habtemariam dolmetscht leise:
"Lange Zeit habe ich Angst gehabt in der Kirche zu sagen, dass wir Inhaftierte haben, dass wir Angst haben. Das auszusprechen, war uns lange nicht möglich. Ich bin auch ein Flüchtling wie ihr. Ich bin in genau den Sorgen, die ihr habt. Ich hoffe, Gott möge uns die Kraft geben, einander zu respektieren und friedlich miteinander umzugehen und einander Kraft zu geben."
Beim ökumenischen Genesungsgottesdienst Mitte August kamen auch Geistliche anderer Kirchen, sowie die Bezirksbürgermeisterin. Pfarrer Hzkiel folgte der Einladung nicht. Er stellt sich gegen eine Politisierung des Konflikts, die doch unvermeidlich scheint.
Viele Berliner Gläubige leiden darunter, dass der Ort, der ihnen Ruhe und Kraft geben soll, in Aufruhr ist. Manche bleiben seit Beginn des Spaltungsdramas dem Gottesdienst fern. Die Dolmetscherin Freweyni Habtemariam geht hingegen erst wieder regelmäßig zur Kirche, seit sie die Gemeinde von Pfarrer Msgun kennen gelernt hat. Seit offen gesprochen und seit für die Flüchtenden gebetet wird, die in großen Zahlen in libyschen Folterlagern fest stecken oder im Mittelmeer ertrinken.
Habtemariam: "Das ist dann für mich – also die Kirche macht ihre Aufgabe. Und da kann ich mich damit identifizieren. Zuvor hätte ich in keiner dieser Kirchen beten können, die nur die Flagge, die Nation und den Präsidenten gedenken oder anbeten."