Erkennen sie die Melodie?

Von Ingo Kottkamp |
Noch nie gab es die Möglichkeit, so viele unterschiedliche Musik zu hören und zu kaufen wie heute - wenn man sie denn findet. Denn wer kann sich schon die Namen all der Bands, Titel und Interpreten merken? Und so gibt es immer wieder den Fall, dass einem ein Lied im Kopf herumgeht, ohne dass man einen Namen dazu hat. Für solche Fälle gibt es den Versuch einer Problemlösung im Internet. Ihr Name: "Query by Humming", also Suche durch Summen. Oder auch "Query by Tapping": Suche durch Tippen.
Wer kennt das nicht? Man kauft im Supermarkt ein, und völlig ungefragt beißt sich einem ein Ohrwurm im Kopf fest. Von wem war das nochmal?

Gewohnt, alle Antworten auf wichtige und nebensächliche Fragen im Internet zu finden, konsultiere ich eine der zahlreichen Musiksuchmaschinen. Musipedia ist ein offenes Projekt, bei dem jeder die Musikdatenbank erweitern kann. Nach einigen Mühen habe ich die erforderliche Software herunter geladen und ein Mikrofon an den Rechner angeschlossen. Jetzt bin ich gespannt, wie das System meinen Gesang interpretiert.

"Also, Query-by-humming-Systeme verlangen von dem Benutzer gewöhnlich, dass er auf einer Silbe singt; dass er keinen Text singt, weil das schwieriger mit der Signalverarbeitung zu untersuchen ist; es wird häufig gefordert vom Nutzer, dass man auf Silben singt wie na oder da, wobei der technische Hintergrund der ist, dass sich dann die einzelnen Töne leichter von einander trennen lassen technisch."

Jan-Mark Batke hat sich an der Technischen Universität Berlin damit beschäftigt, wie Melodiesuchmaschinen funktionieren und wie man damit möglichst große Datenbanken durchsuchen kann.

Inzwischen ist das Ergebnis ermittelt worden. Platz eins: Mozart, Sinfonie 39 in Es-Dur, erster Satz, drittes Thema. Nicht wirklich das, was ich gesucht habe. Es gibt jetzt die Möglichkeit, die Noten mit der Maus zu korrigieren und den Suchbereich auf Popmusik einzugrenzen. Aber viele Sucher kommen erst gar nicht so weit.

"Leute, die ganz unbefangen so ein System benutzen, haben meistens auch 'ne sehr niedrige Trefferquote. Meistens singen die Leute zu schnell und phrasieren die einzelnen Noten, die sie singen, so, dass das System nur wenige Chancen hat, das noch als einzelne Noten zu identifizieren."

Für alle, die nicht singen wollen oder können, gibt es noch andere Möglichkeiten. Sie bedienen eine virtuelle Klaviatur, klopfen den Rhythmus, oder tippen einfach ein, ob die Melodie sich auf- oder abwärts bewegt. Sehr viele Musikstücke können diese Systeme überhaupt nicht erkennen. Zum Beispiel das, das gerade im Hintergrund läuft.

"Ja, solche Stücke entziehen sich dann Query-by-humming-Systemen. Also da ist man ganz klar angewiesen auf eine möglichst singbare Melodie."

Aber offenbar habe ich auch die falsche Suchmaschine gewählt. Musipedia enthält derzeit 11.000 Klassikstücke, 17.000 Volkslieder und nur etwa 2500 Popsongs - die unbekannte Supermarktmelodie war also vermutlich gar nicht in der Datenbank.

Auf der Webseite http://mirsystems.info/ werden fast 40 Suchmaschinen aufgezählt. Darunter gibt es hoch spezialisierte für Musikwissenschaftler, die etwa Datenbanken über Renaissancemusik mit einem anspruchsvollen, gute Notenkenntnisse erfordernden Interface durchsucht. Ein anderes System ist auf populäre indische Musik spezialisiert.

Ist das ganze also eine von den tausend Spielereien, die die Welt nicht braucht, das Internet aber bietet? Zumindest ist bislang keines der bestehenden Systeme wirklich ausgereift. Trotzdem werden sie genutzt, und vor allem wird in sie investiert. Zum Beispiel hat die amerikanische Firma Thomson Multimedia die Programmierung eines Musiksuchsystems beim Fraunhofer Institut finanziell unterstützt. Der Markt an Tonträgern und Musikdateien ist so vielfältig geworden, dass die Musikindustrie ein Interesse daran hat, dem Verbraucher Orientierungsmöglichkeiten zu bieten. Die gesummte Melodie ist dabei nur eine in einem Bündel von Maßnahmen. Andere Systeme versuchen, Musik, die in Stil oder Stimmung verwandt ist, grafisch auf einer Karte anzuordnen. Und ein englischer Hersteller bietet an, die Musik vom Lautsprecher mit dem Handy aufzunehmen und sie dann anhand ihres akustischen Fingerabdrucks zu identifizieren.

"Was auf jeden Fall Query-by-humming-Systeme weiter bringen wird, ist die Möglichkeit der multimodalen Suche. Multimodal heißt, dass man mehrere Suchkriterien miteinander verknüpfen kann. Also zum Beispiel gesummte Anfrage plus etwas Textbeschreibung plus zum Beispiel Beschreibung der CD, wenn man weiß, wie die aussieht. Zum Beispiel "rotes Cover" oder so."

Wie man Musik so darstellen kann, dass sie maschinenlesbar und dabei auch für amateurhafte Anfragen auffindbar ist, bleibt auch für Datenbankexperten eine spannende Aufgabe. Am Ende geht es aber doch ums Verkaufen. Die Webseite musicline.de hat sich genau darauf spezialisiert. Sie ist ein Angebot des Verbandes der deutschen phonographischen Industrie und arbeitet mit der Software des Fraunhofer Instituts.

Und tatsächlich: diesmal klappt es! Der gesuchte Titel war Always and Forever von Shania Twain, und natürlich wird man sofort auf eine Seite weitergeleitet, wo man das Stück kaufen kann. Ein Glücksgriff, denn die Datenbank erfasst nur einen Bruchteil der lieferbaren Musik. Aber vielleicht sieht so ähnlich der Musikkauf von morgen aus - zumindest in einer Variante.