Erkenntnis? Vom Gerücht überholt!

Verschwörungstherorien und das Zika-Virus

Bekämpfung von Stechmücken in einem Park in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
Bekämpfung von Stechmücken in einem Park in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. © dpa-news / AP / Natacha Pisarenko
Von Volkart Wildermuth · 18.02.2016
Gerüchte, Verdächtigungen und grobe Vermutungen: Im Kampf gegen das Zika-Virus und die Zusammenhänge mit Fehlbildungen bei Säuglingen holpern sich Forschung und Politik durch ein Meer an Halbwahrheiten.
Moskitos. Seit 2015 übertragen sie in Brasilien auch das Zika Virus, und wenige Monate später wurden immer mehr Babys mit zu kleinem Kopf geboren, inzwischen über 4.100. Für Dr. Christina Frank vom Berliner Robert Koch Institut legt das nahe, dass hier ein Zusammenhang besteht. Doch der endgültige Beleg fehlt der Wissenschaft:
"Die kurze Antwort ist, sie ist sich noch nicht sicher."
Zumal noch gar nicht klar ist, ob es wirklich einen Anstieg der Mikrozephalie in Brasilien gibt. Offenbar ist dieses Leiden früher oft nicht gemeldet worden und umgekehrt haben sich viele der aktuellen Fälle nicht bestätigt. Epidemiologen kennen neun Kriterien, um zu belegen, dass ein Erreger eine Krankheit wirklich verursacht. Der zeitliche Zusammenhang ist nur eins davon. Ein anders ist die Biologie: Ist es denkbar, dass das Zika-Virus solche Symptome hervorrufen kann? Dafür spricht, dass das Virus im Gehirn einzelner verstorbener Kinder mit Mikrozephalie nachgewiesen werden konnte. Auch das vielleicht ein Zufall. Klarheit sollen neue Studien in Brasilien liefern:
"Zum Beispiel in Gruppen von schwangeren Frauen, die in Gebieten leben, wo Zika Virus Ausbrüche auftreten, und da guckt man dann, ob eben die Häufigkeit von Kindern mit Mikrozephalie unter Frauen, die in der Schwangerschaft Zika-Virus infiziert waren, höher ist, als unter Frauen, bei denen solche Infektionen nicht aufgetreten sind."

Das böse Moskito

Bis die Ergebnisse vorliegen, kann die Wissenschaft Zusammenhänge nur vermuten, spricht mit vielen Wenn's und Aber's. Das ist nicht jedermanns Sache und so gibt es genug Gruppen, die auch ohne Studien ihre eigenen Wahrheiten verkünden:

"Büchse der Pandora: genetisch veränderte Moskitos könnten Brasiliens Mikrozephalie Desaster verursacht haben",
denn deren künstliche Gene könnten ja das Zika-Virus aggressiv gemacht haben. Allerdings passt das weder zeitlich noch räumlich, auch wurden keine fremden Gene in den Viren entdeckt.

"Gegen Ende 2014 wurde für die Schwangeren in Brasilien eine Tdap-Impfung vorgeschrieben.. und zehn Monate später wurden die ersten Fälle von Mikrozephalie entdeckt."
Geimpft wird allerdings erst im letzten Drittel der Schwangerschaft, zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Mikrozephalie bereits im Ultraschall nachweisen lässt. Hier liegt die angebliche Ursache also nach der Wirkung.
"Argentinische Ärzte haben festgestellt, dass das Pestizid Pyryproxyfen wahrscheinlich die Ursache für Mikrozephalie sei (...)"
Belege? - Keine, außer, dass die Herstellerfirma mit Monsanto kooperiert. Andere Blogs beschuldigen Bill Gates oder spekulieren über Biowaffen. Den Psychologen Dr. Michael Wood von der Universität Winchester überraschen solche Verschwörungstheorien nicht:
"These events that are happening worldwide epidemics things like that are quite threatening and quite major events and it might in some way more psychological satisfying to see these as the result of a conspiracy than something like random mutation of a virus that has been around for ages." - "Solche weltweiten Epidemien erregen Furcht. Da kann es psychologisch befriedigender sein, sie mit einer Verschwörung zu erklären, als mit einer zufälligen Mutation eines längst bekannten Virus."
Große Ereignisse müssen große Ursachen haben, das klingt plausibler, wie viele psychologische Studien belegen. Das gilt gerade für neue Risiken. Zika sorgt für Schlagzeilen. Dagegen kennt kaum jemand das Cytomegalievirus, das jedes Jahr in den USA bei 5.000 Neugeborenen bleibende Schäden verursacht. In unübersichtlichen, bedrohlichen Situationen können Verschwörungstheorien auch ein Gefühl der Kontrolle vermitteln, meint Michael Wood. Ein Virus, ist unsichtbar, kann jeden treffen:
"If on the other hand you believed the microcephaly outbreak is caused by something like pesticides or vaccines than these things are easier to avoid." - "Wenn man aber glaubt, hier geht es um Impfstoffe oder Pestizide, dann sind das Dinge, die man leichter vermeiden kann."

Und auch die Gentechnik ist im Visier und mit ihr ein Konzern

Für die man zumindest jemand verantwortlich machen kann: Monsanto, die Gentechnik, die Impfindustrie oder Bill Gates wie hier infowars dot com:

"Infowars Currently a vaccine Zika doesn't exist but the necessity of one could bring Bill Gates lifelong world depopulation preoccupation one step closer."

"Die Nachfrage nach einem Zika Impfstoff könnte Bill Gates Plan, die Weltbevölkerung zu dezimieren einen Schritt voranbringen."
Verschwörungstheorien mag man belächeln, sie haben aber praktische Konsequenzen: der brasilianische Bundesstaat Rio Grande do Sul hat die Verwendung des angeprangerten Pestizids gestoppt und gibt damit ausgerechnet in der aktuellen Situation ein wirksames Mittel gegen die Moskitos aus der Hand. Der Verdacht reicht aus, auch ohne Belege. Die werden in den Diskussionsforen im Internet sowieso weniger diskutiert, als die angeblichen Lücken in der offiziellen Darstellung. Wenn das Zika Virus gefährlich wäre, dann müssten die meisten Problem doch in Afrika und Asien auftreten, wo dieses Virus schon seit langem verbreitet ist? Nicht unbedingt, denn dort machen die Menschen die Infektion schon als Kind durch:
"Und dann wäre die meisten Frauen schon immun und dann kann es sein, dass da sehr viel Zika Virus ist, sehr viele Infektionen aber eben diese Folge der Mikrozephalie eben möglicherweise überhaupt nicht auftritt."
Für die jungen Frauen in Lateinamerika ist das Zika-Virus aber ein neuer und damit vielleicht gefährlicher Erreger. Christina Frank ist durchaus dafür, auch anderen Spuren nachzugehen. Im Moment deuten die verfügbaren Daten aber auf das Zika-Virus hin. Das endgültig zu belegen, wird Zeit brauchen. Wissenschaft kann nicht auf Knopfdruck klare Antworten liefern. Unsicherheit ist unvermeidlich.
"Es ist immer schwierig: wie man es macht, macht man es verkehrt entweder man ist gründlich und eher langsam oder zu schnell und möglicherweise nicht alles bedacht."
Entsprechende Vorwürfe gibt es bei fast jeder Epidemie, bei der Vogel- und der Schweinegrippe genauso wie bei Ebola und jetzt bei Zika. Aber zur wissenschaftlichen Methode gibt es keine Alternative, so Christina Frank.
Ist der Zusammenhang Zika-Mikrozephalie endgültig beweisen? Nein. Aber trotzdem können Forscher schon heute vernünftige Ratschläge geben: Schwangere zum Beispiel sollten sich eine Reise in Zika-Gebiete gut überlegen.
"Aus so einem Vorsichtsprinzip, dass man es im Moment nicht ausschließen kann, dass dieser Zusammenhang besteht."
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